Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp

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Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht - Lisa Lamp

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Welt zu sein?«

      Dass sie damit nicht nur mich niedermachte, sondern auch ihre Schwester beleidigte, war ihr wohl nicht bewusst. Megaira sagte nichts darauf, doch sie stockte einen Moment beim Gehen und der Enthusiasmus aus ihrer Stimme verschwand, als sie weitersprach. »Daraufhin sind wir den Jägern gefolgt, die uns gerettet haben, und sind in Draven, der Stadt der Jäger, gelandet, wo wir uns nach den drei Moiren benannt haben.«

      »Wieso?«, warf ich ein, als Megaira endlich Luft holte, und hätte mir gleich danach gegen den Kopf schlagen können, als Alekto zu einer Antwort ansetzte: »Weil wir gerne stricken.« Diesmal reagierte ihre Schwester und warf ihr einen bösen Blick zu, den sie gekonnt ignorierte und genervt schnaubte. Was war ihr denn über die Leber gelaufen? Sie war zickiger als Nicole an ihren schlechten Tagen.

      »Weil wir Rache für unsere Schwester geschworen haben, aber das ist unwichtig. Was wollte ich erzählen? Richtig! Nach den Angriffen der bösen Hexe wurden wir hier zum Stützpunkt nach Viatrix versetzt, um Schadensbegrenzung zu leisten und zu versuchen, alles von den Menschen fernzuhalten. Ein Glück, dass wir dich und deine Freunde gefunden haben, bevor euch ihre Anhänger töten konnten. Sieh nur! Wir sind da.« Das Mädchen hatte die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege, sodass es anstrengend war, ihr über längere Zeit zuzuhören. Ich war froh, dass sie aufhörte zu reden. Gedanklich machte ich mir eine Notiz, in welcher Stadt wir waren. Der Name sagte mir nichts, aber Nicole oder Cassandra würden bestimmt wissen, wo wir uns befanden.

      Ohne dass ich es bemerkt hatte, waren wir vor einer großen Tür stehen geblieben, die sich schon nach dem ersten Klopfen von Megaira öffnete, die mich aufgeregt über die Schwelle in das Zimmer schob, das dem alten Büro meines Ziehvaters glich. Die Wände kahl, die Kästen staubig und in der Mitte ein riesiger Schreibtisch, der viel zu groß für den Raum wirkte. Oder für die Person, die dahinter saß und beinahe unter dem Holz verschwand. Morena Morgan hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sich in ihrem Sessel zurückgelehnt. Sie saß, weshalb ich ihre Größe nicht genau abschätzen konnte, aber sie durfte nicht größer sein als 1,50 m. Trotzdem sah sie nicht zierlich aus. Muskeln bedeckten ihren Körper und formten sie, als würde sie pausenlos trainieren. Ihre perfekt gezupften Augenbrauen, der schwarze, akkurat gebundene Pferdeschwanz und die ausdruckslose Miene taten ihr übriges, damit ich mich unter ihrem Blick unwohl fühlte. Ihrer Aura fehlte die Wärme, die Jona umgab und sie hatte auch nicht das Strahlen, das die Menschen dazu brachte, Hunter sofort zu mögen. Sie hatte mehr Ähnlichkeit mit ihrem Mann, als mit ihren Kindern. Starr, ernst, berechnend. Jede ihrer Bewegungen schien kontrolliert und steif, als hätte sie keine Ahnung, wie man losließ oder Spaß hatte.

      »Setzen!«, befahl sie und ich sah die drei Schwestern überfordert an, die nach einem scharfen Zischen von Morena den Raum verließen und die Tür hinter sich schlossen. Zögerlich ließ ich mich auf der anderen Seite des Tisches auf einem Stuhl nieder und versuchte, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken. Ich wusste nicht, was es war, Mel, aber ich wusste schon, bevor Hunters Mutter den Mund aufmachte, dass sie mich nicht mochte. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sie mit Mary zu Mittag gegessen hatte oder an der Art, wie sie mich ansah. Vielleicht auch daran, dass sie die drei Moiren weggeschickt hatte, die so schnell verschwunden waren, dass sie sich nicht mal bei mir verabschieden konnten.

      »Ich hasse Schwäche«, begann Morena und tippte mit ihrem Zeigefinger gegen ihren Oberarm, als wäre sie ungeduldig. Aber ich verstand nicht, weshalb. »Deshalb habe ich Caleb Morgan geheiratet und mit ihm Kinder bekommen. Er zeigte keine Schwäche und er hat mich gelehrt, es auch nicht zu tun.« Keine Schwäche? Redete sie von Gefühlen? Ich hatte mir schon gedacht, dass Caleb kein liebevoller Mann oder Vater war, aber so, wie Morena es beschrieb, klang sie als würde sie das Verhalten von ihm gutheißen. »Für meine Kinder wollte ich dasselbe, damit sie nicht verwundbar sind, und eine sehr lange Zeit hat meine Arbeit gefruchtet. Obwohl Jonathan sonderbar war, hat er sich an die Regeln seines Vaters gehalten und sich von allen abgekapselt und Hunter hatte in Nicole eine Partnerin gefunden, die genau wie ich für Caleb perfekt gewesen wäre, weil sie eine Kämpferin war und sich von niemandem zerstören ließ.«

      Wie konnte man als Mutter das für seine Kinder wollen? Ein trostloses Leben ohne Gefühle, gefangen in Einsamkeit und einer lieblosen Ehe.

      »Und dann kamst du.« Morena machte eine Pause, als wollte sie, dass ich etwas sagte, doch ich wusste nicht, was. Ich hatte keine Ahnung, was mir die Frau mitteilen wollte. Machte sie mich für die Trennung von Nicole und Hunter verantwortlich? Oder für den Tod ihres Mannes? Bei Letzterem war ich nicht mal anwesend und ich war mir sicher, dass Nicole Hunter schließlich doch verlassen hätte, wenn er sie nicht davor in die Wüste geschickt hätte. Irgendwann wäre Nicole auch ohne Rabiana klar geworden, dass ihre Fassade ihr nichts als Leid und Feinde brachte, und sie hätte sich für die Liebe entschieden. Spätestens wenn sie Orion begegnet wäre, aber den Kommentar verkniff ich mir lieber, bevor er das nächste Ziel von Morena wurde. »Du bist schwach und ziehst alle in deiner Umgebung mit in den Abgrund. Wie ein Anker, der sich an freie Schiffe hängt und sie nicht mehr loslässt. Erbärmlich. Aber ich werde nicht zulassen, dass meinen Kindern etwas zustößt. Jona hast du erfolgreich um den Finger gewickelt, aber für Hunter besteht noch Hoffnung, auch wenn er dir nachläuft und den Boden küsst, auf dem du stehst. Weiß die Göttin, was er an dir findet.«

      Ungläubig fiel mir die Kinnlade hinunter und ich sah Morena mit aufgerissenen Augen an, die mich weiterhin kalt musterte. Die Göttin wusste genau, was Hunter an mir fand, aber das würde ich ihr nicht auf die Nase binden. Wie konnte sie es wagen, Diana in ihre verrückte Weltanschauung zu ziehen und sie infrage zu stellen? Das Schicksal hatte Hunter an mich gebunden, und ob gut oder schlecht, es war nicht zu ändern. Aber statt das zu akzeptieren und sich das Beste für ihren Sohn zu wünschen, saß sie selbstgefällig in ihrem Stuhl und betrachtete mich, als wäre ich den Sauerstoff nicht wert, den ich verbrauchte. Eiskalt machte sie mich für alles verantwortlich, das schiefgelaufen war. Als hätte ich nicht versucht, St. Ghidora allein zu verlassen, um Jaimie zu finden oder meine Freunde gebeten, in Sicherheit zu bleiben, statt mir zu folgen. Ich hatte sie auch nicht gezwungen, nach mir zu suchen, als Rabiana mich gefangen genommen hatte. Das taten Freunde füreinander, ohne aufgefordert worden zu sein. Weil sie mich beschützen wollten. Weil ich ihnen wichtig war. Aber ich würde nicht versuchen, Morena das zu erklären. Auf eine verdrehte, kranke Weise schien sie zu glauben das Beste für ihre Söhne zu tun, was mehr war, als man von Caleb Morgan behaupten konnte. Leider glaubte sie auch genau zu wissen, was sie anzustellen hatte, um Jona und Hunter ihre Lebensweise aufzuzwingen.

      »Ich bin nicht schwach«, sagte ich verteidigend und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, der meine Worte Lügen strafte. Meine Stimme klang fest, auch wenn ich mich wie ein Schulmädchen fühlte, das zum Direktor zitiert wurde, weil es zum ersten Mal ungehorsam war.

      »Doch bist du. Ich wollte Hunter glauben, der seine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass du uns rettest, aber du schaffst es nicht einmal, dich gegen Mary durchzusetzen, sonst hättest du sie dazu gebracht, dich herzubringen. Sie ist eine Jägerin. Sie ist stark, setzt sich durch und sie passt perfekt zu Hunter. Er wird das auch noch begreifen. Wenn du so stark wärst, wie er dich hält, würdest du für dich selbst kämpfen, anstatt deine Freunde in Gefahr zu bringen. Aber das wirst du nicht, richtig? Du wirst sie weiter als lebendige Schutzschilde verwenden und das kann ich nicht zulassen. Das verstehst du doch sicher, oder?«

      Mel, kennst du die Szenen in Filmen, wenn die Farben dunkler werden, die Musik leiser, der Takt schneller und sich die Atmosphäre ändert, weil dem Zuschauer klar werden soll, dass etwas Wichtiges passiert? Der Schauspieler atmete absichtlich schneller und man konnte lautes Herz klopfen hören, bevor die Erkenntnis in den Verstand der Zuschauer tropfte. So einen Moment hatte ich gerade. Ich befeuchtete meine ausgetrockneten Lippen mit meiner Zunge, sah auf das sprudelnde Glaswasser, das vor Morena stand und dessen Prickeln überlaut in meinen Ohren klang. Hunters Mutter schluckte und ihre Augen drehten sich immer wieder unauffällig auf den Kalender, der neben einer Mappe stand, auf der ein kleiner Rabe an der oberen Ecke aufgezeichnet war und der nächste Tag rot eingekreist

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