Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten. Frank Rehfeld
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"Was ist mit Maziroc und diesem anderen Mann?", fragte sie, als sie aufgesessen hatte. "Sollen wir nicht auf die beiden warten?"
"Ich denke, um die brauchen wir uns keine Sorgen zu machen", entgegnete Kenran'Del. "Wir haben untereinander abgesprochen, dass jeder sich auf eigene Faust durchschlagen soll. Wahrscheinlich werden sie sogar noch vor uns zurück in Therion sein."
Er wollte sich ebenfalls in den Sattel schwingen, doch als er sich mit der linken Hand am Sattelknauf hinauf zu ziehen versuchte, verzog er das Gesicht zu einer Grimasse, stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus und glitt zurück, sodass er fast gestürzt wäre. Ein paar Sekunden lang presste er seine rechte Hand auf die immer noch blutende Wunde, die offenbar doch schlimmer zu sein schien, als er Miranya glauben machen wollte. Gleich darauf rang er sich ein knappes Lächeln ab und schwang sich auf das Pferd, diesmal ohne den linken Arm dabei allzu stark zu belasten.
Sie ritten ein Stück querfeldein, bis sie auf einen Weg und kurz darauf eine Straße gelangten, die direkt nach Therion führte. Wie Miranya schon vermutet hatte, als sie zu der Mühle gebracht worden war, befand sie sich gar nicht so weit außerhalb der Stadt. Entsprechend dauerte es nicht einmal eine Viertelstunde, bis sie Therion wieder erreichten. Kenran'Del brachte sie zu dem Gasthaus, in dem Miranya schon vor ihrer Entführung abgestiegen war, weshalb es einige schlechte Erinnerungen in ihr weckte, die sie jedoch rasch wieder verdrängte. Wie er gesagt hatte, erwartete Maziroc sie dort bereits. Auch Barkon und die anderen Zwerge, die sie auf dem Weg hierher begleitet hatten, waren in der Wirtsstube versammelt und sichtlich froh, sie unversehrt wiederzusehen. Den Fremden, der sich an der Mühle zunächst als Kenran'Del ausgegeben hatte, entdeckte sie nicht, aber sein Schwert lag auf dem Tisch, an dem Maziroc und die Zwerge saßen.
Vor Freude und Erleichterung umarmte Miranya den Magier und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"So eine Begrüßung lasse ich mir gefallen", kommentierte Maziroc schmunzelnd. "Vielleicht sollte ich aus dem Orden der Ishar austreten und mich in Zukunft ganz der Rettung junger, hübscher Frauen aus den Händen irgendwelcher Finsterlinge widmen."
"Stell dir das nicht so einfach vor", wandte Kenran'Del ein. "Ich habe den gefährlichsten Teil erledigt, aber mich hat sie nicht umarmt, geschweige denn geküsst. Genau genommen hat sie sich bislang nicht einmal bei mir bedankt, wenn ich mich richtig erinnere."
"Alles zu seiner Zeit. Bei Euch werde ich mich jetzt erst einmal um Eure Verletzung kümmern", sagte Miranya streng und deutete auf einen Hocker. "Setzt Euch bitte und zieht Euren Mantel aus."
"Kein Grund, gleich so formell zu werden", entgegnete er lächelnd. "Vorhin hast du mich auch mit du angesprochen."
"Das war, bevor ich wusste, wer Ihr seid."
"Und nur, weil du jetzt meinen Namen kennst, hat sich so viel geändert? Ich mache dir einen Vorschlag. Ich werde der folgsamste Patient sein, den du je hattest, wenn du dafür aufhörst, mich so förmlich anzureden. An solchen Formalitäten hat mir noch nie etwas gelegen, und da wir einen Großteil der nächsten Zeit wohl zusammen verbringen werden, habe ich wenig Lust, jedes Mal zu überlegen, wen ich wie ansprechen muss."
"Ihr seid geheimnisvoller und von mehr Legenden umgeben als jeder andere Mensch, dem ich je begegnet bin", erklärte Miranya. "Außerdem seid Ihr zumindest Maziroc zufolge ein großer Held. Schon allein deshalb gebührt Euch mein Respekt. Aber Ihr könnt etwas von dieser Distanz abbauen, wenn Ihr mir sagt, wer oder was Ihr seid."
"Einfach nur dein Patient, wenn du meinem Vorschlag zustimmst." Er breitete in einer ergebenen Geste die Arme aus und blickte sie fragend an.
Miranya musste lachen. Das Zusammentreffen mit einer jahrtausendealten Legende hatte sie sich ganz anders vorgestellt, und weniger denn je entsprach auch Kenran'Del selbst dem Bild, das sie sich nach Mazirocs Beschreibung von ihm gemacht hatte. Er sah nicht nur so aus, sondern er verhielt sich auch wie ein ganz normaler Mensch, und mit seiner Natürlichkeit nahm er auch ihr einen Teil ihrer Scheu vor ihm. Vermutlich war genau das seine Absicht, und wenn, dann hatte er Erfolg damit.
Am unangenehmsten an ihm berührte sie jedoch seine völlige mentale Stille. Miranya erinnerte sich mittlerweile daran, dass Maziroc diese bei der Schilderung seiner ersten Begegnung mit Kenran'Del erwähnt hatte, doch war ihr dies nicht sonderlich bewusst im Gedächtnis geblieben, weshalb sie bei ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm zuvor nicht einmal mehr daran gedacht hatte. Seit sie ihn kannte, versuchte sie schon, wenigstens einige wenige Impulse aufzufangen, doch es gelang ihr nicht. Auf dieser mentalen Ebene schien er gar nicht zu existieren, und das war eine äußerst fremdartige Erfahrung für sie.
"Nein", antwortete sie mit Verspätung auf seine Frage und wurde damit schlagartig wieder ernst. "Wenn ich zu einer vertraulichen Anrede übergehe, dann ist das auch ein Zeichen von Freundschaft und Vertrautheit, und die lasse ich mir nicht vorschreiben. Auch wenn Ihr mir das Leben gerettet habt, so sind wir uns doch noch fremd. Dazu kommen Euer Name und Euer Ruf. Man mag es für unsinnig halten, aber im Moment bilden sie noch eine Mauer zwischen uns. Vielleicht ändert sich das, wenn wir uns besser kennenlernen, aber gegenwärtig ziehe ich eine distanzierte, ehrenvolle Anrede für Euch vor. Ich hoffe, Ihr könnt das akzeptieren."
"Ihr lasst mir ja keine andere Wahl", antwortete er, nun ebenfalls die förmlichere Anrede wählend, wie sie erleichtert feststellte. "Allerdings werde ich mich wohl bemühen müssen, dass wir uns möglichst schnell besser kennenlernen, damit wir auf diesen Unsinn verzichten können."
"Dagegen ist nichts einzuwenden." Miranya nickte zufrieden. "So, und nachdem das geklärt ist, lasst mich jetzt endlich Eure Wunde sehen", verlangte sie. "Sonst brauchen wir uns nämlich möglicherweise gar keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie wir uns in Zukunft ansprechen werden. Während ich Euch verarzte, könnt Ihr mir ja einige der unzähligen Fragen beantworten, die mir auf der Zunge liegen."
"Ich würde tun, was sie sagt", warf Maziroc ein, der das Gespräch mit sichtlicher Erheiterung verfolgt hatte. "Sie hat ihren eigenen Kopf, und zwar einen ausgesprochenen Dickkopf, den sie immer durchzusetzen versucht."
Miranya warf ihm einen strafenden Blick zu. Sie fand die Bemerkung gar nicht lustig.
"Vor allem hat sie einen recht hübschen Kopf", erwiderte Kenran'Del. Bereitwillig zog er seinen Mantel aus. Der Ärmel des Hemdes war mit Blut getränkt und klebte an seiner Haut. Die Schwertklinge hatte ihm einen Schnitt zugefügt, der zwar schlimmer aussah, als er tatsächlich war, doch hatte er viel Blut verloren. Wenn sie die Verletzung nicht sofort versorgte, bestand außerdem die große Gefahr, dass diese sich entzündete und zu einem möglicherweise tödlichen Wundbrand führte. Er mochte eine lebende Legende sein, doch auf jeden Fall war er ebenso verletzbar wie jeder andere Mensch auch.
"Das muss unbedingt fachkundig verarztet werden", stellte Miranya fest. "Aber ich würde mich nur ungern hier in der Schankstube darum kümmern." Sie winkte den Wirt herbei, der gerade Wein an einen anderen Tisch brachte. "Erinnert Ihr Euch noch an mich?", fragte sie. "Ich bin vor einigen Tagen hier abgestiegen."
"Oh ja", antwortete er. "Ihr seid die junge Vingala, die kurz nach ihrer Ankunft so überraschend verschwunden ist." Er deutete auf die Zwerge. "Eure Begleiter haben sich ziemliche Sorgen um Euch gemacht."
"Jetzt bin ich ja zurück." Miranya hatte wenig Lust, ihm genauere Erklärungen für ihre Abwesenheit zu liefern. "Ist mein Zimmer noch frei?"
"Wir haben es die ganze Zeit für Euch freigehalten und auch Eure Sachen dort gelassen. Eure Begleiter haben es während der letzten Tage bezahlt."
Ein wenig überrascht über diese Geste der