Die Magie von Pax. Sarah Nicola Heidner
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»Sofia, du bekommst heute doch auch einen Mentor«, sagte Bea tröstend und biss herzhaft von ihrer Pizza ab. »Ja, und derjenige wird sich auch sehr freuen, jemanden ohne Magie unterrichten zu dürfen«, sagte ich sarkastisch. »Mentoren sind dazu da, die Magie der jeweiligen Schüler auszubilden, damit diese später einen zu ihnen passenden Beruf erlernen können. Aber was soll der Mentor denn schon mit mir machen?«
Ich sollte mich beruhigen. Dadurch, dass ich mal wieder wütend auf mich selbst wurde, bekam ich auch keine Magie. Bea seufzte nur und schaute mich dann aus ihren großen, blauen Augen lieb an. (Das war der Grund, weshalb ich ihr niemals einen Wunsch abschlagen konnte.)
»Wir ziehen uns jetzt gleich um, und dann werden wir unsere Eltern abholen, okay?« Schon wieder ein Grund, weshalb ich mich eigentlich in meinem Bett verkriechen und den Abend verschlafen sollte – das Verhältnis zwischen meinen Eltern und mir war sehr … gespannt (eine nette Umschreibung dafür, dass es ihnen scheiß egal war, was ich machte).
Bea und ich brachten unsere Tabletts weg und liefen dann die breite Wendeltreppe nach oben zu den Schlafräumen. Die Flure waren schmal und grau, an den Wänden blätterte die Farbe ab und die Nummern auf den Türschildern waren schon lange nicht mehr zu erkennen. Das lag daran, dass die Blaukutten, die mächtigsten aller Magier (sie konnten die Elemente beherrschen!), das meiste Geld verdienten und natürlich für sich ausgaben (Idioten).
Beas und mein Zimmer war sehr klein und einfach eingerichtet. Es gab zwei Holzbetten, einen großen Schreibtisch, den wir uns teilen mussten – der deshalb auch ziemlich chaotisch aussah – und einen alten Schrank, dessen linke Tür vor Jahren einmal herausgefallen war, sodass jetzt jeder, der unser Zimmer betrat, als erstes unsere Schlafanzüge sehen konnte (nicht, dass uns – besonders mich – sehr viele besuchen würden).
Bea hatte darauf bestanden, dass ich auch ein Kleid anziehen musste. Sie sah aus wie ein Engel, in ihrem roten Kleid, das perfekt zu ihren Augen passte. Ihre blonden, lockigen Haare fielen ihr sanft auf die Schulter. Ich lächelte sie an. Mein Kleid war ebenfalls rot, weil die Rotkutten nicht nur im Beruf oder in der Schule rot trugen, sondern sich auch meistens im Alltag auf diese Farbe beschränkten. Ich hatte das Kleid selbst ausgesucht, weil ich nicht auffallen wollte – und nicht, weil ich mich wirklich den Rotkutten zugehörig fühlte. Tatsächlich sah ich sehr unauffällig aus, als Bea und ich uns im Spiegel in unserem kleinen Badezimmer betrachteten. Das Kleid passte zu meinem dicken, schwarzen Haar, und meine dunklen Augen funkelten gefährlich (okay, ich wusste, warum mich alle für einen Freak hielten. Nicht nur, dass ich keine Magie hatte, ich sah auch noch aus wie ein Freak). Hoffentlich würden die Schüler heute mit ihren Eltern lieber über die Mentoren, die sie bekommen würden, reden, und nicht über den magielosen Freak an ihrer Schule.
»Bereit?«, fragte Bea und öffnete die Tür. Auf dem Flur standen rotgekleidete Schüler in Gruppen zusammen, hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich aufgeregt über den bevorstehenden Abend. Während sie jedoch von Freude erfüllt zu sein schienen, krampfte sich mein Magen bei dem Gedanken an die Mentoren und meine Eltern zusammen.
»Nein, kein bisschen«, ich schüttelte den Kopf und folgte Bea nach draußen.
Bea und ich mischten uns unter die Schülermenge, die in Richtung Eingangshalle strömte. In der riesigen Halle angekommen, löste sich die Menge auf und die Schüler liefen kreischend auf ihre Eltern zu, die sie seit Wochen nicht mehr gesehen hatten. Überall lagen sich Familien in den Armen und der Lärmpegel stieg von Minute zu Minute an, weil immer mehr Schüler ihren Eltern hysterisch schreiend um den Hals fielen. Mein Magen zog sich zusammen und ich klammerte mich an Beas Arme.
»Ich geh dann mal«, sagte sie leise zu mir und begrüßte ihre Eltern, die mich mit einem abschätzigen Blick bedachten. Natürlich wollte niemand, dass ihre Tochter mit mir befreundet war. In diesem Moment sah ich meine Eltern, eine kleine Frau mit rötlichen Haaren und den dicken Mann neben ihr. Zögerlich machte ich ein paar Schritte auf sie zu und der Mund meiner Mutter verzog sich sofort.
»Hallo Sofia«, sagte sie kühl, mein Vater schwieg.
»Äh … Hi«, sagte ich vorsichtig.
»Wir haben gehört«, meine Mutter senkte die Stimme, »dass du trotz deiner fehlenden Magie einen Mentor bekommst. Ist das wahr?« Ich nickte mit trockenem Mund. Wie ich die Gespräche mit meinen Eltern hasste! Sie arbeiteten beide als Zaubertrankmischer, kein besonders angesehener, aber auch kein schlechter Beruf. Rotkutten hatten allgemein nicht viele Aufstiegsmöglichkeiten.
»Nun denn, hoffen wir, dass er dir ein bisschen helfen kann. Hast du dich übrigens schon einmal umgesehen wegen deines Berufes? Ich schätze mal, du wirst in einer Familie das Hausmädchen spielen können. Ich habe gehört, dass Familie Meier jemandem zum Putzen sucht, sie ist ja eine der angesehensten Rotkuttenfamilien. Es wäre wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für dich, an ein bisschen Geld zu kommen. Was meinst du dazu, Sofia?«
Ich wollte das alles gar nicht hören, wollte meine Zukunft nicht im Blick haben. Vor allem wollte ich nicht, dass meine Eltern mir vorschrieben, was ich zu tun hatte.
»Ich habe noch zwei Jahre mit meinem Mentor«, sagte ich deswegen bestimmt. »Und außerdem bin ich sechzehn und sehr wohl in der Lage, mich alleine zu informieren.«
Wir schwiegen; es war ein unangenehmes Schweigen, das mich unruhig machte und den Blick senken ließ. Ich seufzte erleichtert auf, als der Direktor die Halle betrat und sofort auch alle anderen Gespräche verstummten. Yu Weiß war ein großer, schlaksiger Mann mit kurzen, braunen Haaren. Man munkelte, er sei eine Blaukutte, aber niemand wusste das genau. Ich glaubte, dass er mindestens eine Schwarzkutte wäre, die sehr viel mehr Macht als die Rotkutten hatten, aber noch nicht so viel wie die Blaukutten. Schwarzkutten gab es häufiger, sie machten etwa achtzehn Prozent der Bevölkerung aus, Blaukutten nur zwei. Der Rest waren Rotkutten. Allerdings waren Schwarzkutten böse und der Schulleiter schien mir sehr freundlich zu sein, also traf das vermutlich nicht zu.
»Die Mentoren sind nun bereit. Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Der Strom aus Eltern und Schülern führte uns aus der Halle hinaus durch die Mensa in unseren Saal, in dem alle Feiern abgehalten wurden. Die Bänke waren längs auf dem zerkratzen Boden verteilt aufgestellt; vorne auf der Bühne standen etwa dreißig Mentoren vor den geflickten, zugezogenen Vorhängen.
Meine Eltern und ich setzten uns in eine der letzten Reihen und warteten schweigend, bis Yu Weiß die Bühne betrat.
»Liebe Eltern, liebe Schüler«, begann er mit seiner sanften Stimme. »Schon wieder ist ein Jahr vorbeigezogenen und nun haben genau zweiunddreißig Schüler den zehnten Jahrgang hinter sich gelassen. Morgen schon wird der Unterricht der Mentoren beginnen. Ihre Kinder begeben sich nun auf den Weg der Entfaltung ihrer Kräfte. Das hat viel mir ihrer Magie, aber auch mit der geistigen Stärke jedes einzelnen zu tun. Was die Mentoren von den Schülern halten, ist sehr wichtig, auch für den späteren Beruf. Aus diesem Grund sind es sehr kluge Rotkutten, die sich unserer Schüler annehmen werden. Ich selbst habe die Mentoren dieses Jahr ausgewählt und auch ich bin dieses Jahr Mentor.«
Sofort tuschelten die Schüler in den Reihen vor mir. Jeder wollte Yu Weiß als Mentor haben, aber wahrscheinlich würde er die mächtigste