Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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Die Europäische Schadensersatzrechtsrichtlinie92 ist in Deutschland mit der 9. GWB-Novelle am 9.6.2017 umgesetzt worden.93 Kläger profitierten in sog. nachgelagerten oder follow-on-Schadensersatzklagen bereits vor dieser Umsetzung davon, dass die Gerichte an die rechtskräftige Feststellung des Kartellrechtsverstoßes durch eine Behörde oder ein (anderes) Gericht gebunden sind und die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes deshalb im Schadensersatzprozess keine Rolle mehr spielt. Zudem gibt es mittlerweile für nach dem 26.12.2016 entstehende Schadensansprüche mit § 33a Abs. 2 GWB eine gesetzlich geregelte widerlegliche Schadensvermutung für Preiskartelle, Quotenkartelle, gebietsbezogene Marktaufteilungen oder andere wettbewerbsschädigende Maßnahmen. Kartellanten, die gegen sie gerichtete Schadensersatzansprüche abwehren wollen, müssen für diese Ansprüche nunmehr darlegen, dass die von ihnen getroffene Absprachen nicht zu einem Schaden geführt haben, also einen Vollbeweis des Gegenteils gemäß § 292 ZPO erbringen.
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Ebenfalls gesetzlich erheblich erleichtert ist für Ansprüche, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind, die Geltendmachung von Schadensersatz durch mittelbar Geschädigte, die sich auf eine gesetzliche Vermutung der Schadensabwälzung gemäß § 33c GWB berufen können. Die Gesetzesreform hat zudem Ermittlungserleichterungen für potenzielle Kläger mit sich gebracht. So können Geschädigte nach § 33g GWB die Herausgabe von Unterlagen und Erteilung von Auskünften seitens der Kartellanten verlangen, die zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erforderlich sind.
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Nach deutschem Recht haften Kartellanten gegenüber den Geschädigten als Gesamtschuldner. Dies bedeutet konkret, dass ein Geschädigter seinen gesamten Schaden gegenüber einem Kartellanten geltend machen könnte, ohne dass er zu diesem Unternehmen überhaupt in einer Vertragsbeziehung gestanden haben muss. Kronzeugen haften für Ansprüche nach dem 26.12.2016 nur gegenüber ihren eigenen direkten und indirekten Abnehmern und sind auch beim entsprechenden Gesamtschuldnerinnenausgleich gegenüber anderen Kartellanten privilegiert.
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Durch die Entscheidung des EuGH in Sachen Otis wurde die Aktivlegitimation für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche deutlich erweitert: Der Gerichtshof hat entschieden, dass auch diejenigen von den Beteiligten eines Kartells Schadenersatz verlangen können, die nicht unmittelbar in die Wertschöpfungs- oder Lieferkette des kartellbefangenen Produktes eingebunden sind.94 Der EuGH hatte bereits kurz vor diesem Urteil die Passivlegitimation für eine Kartellschadensersatzklage klargestellt: Danach haften für einen Kartellrechtsverstoß alle Gesellschaften eines einzelnen Rechtsträgers, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, soweit ihnen, z.B. aufgrund einer 100 %-Beteiligung, eine Verantwortlichkeit für den Verstoß angelastet werden kann.95 Dies bedeutet praktisch, dass für den Verstoß eines Konzernunternehmens in jedem Fall die kontrollierende Muttergesellschaft in Anspruch genommen werden kann. Die Haftung von Schwestergesellschaften wird dagegen von der wohl h.M. verneint.96
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Für die Geschäftsführer von geschädigten Unternehmen gehört die Prüfung der Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen aus Kartellverfahren zu ihrer Treuepflicht gegenüber ihrem eigenen Unternehmen.97
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Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Durchsetzung von kartellrechtlichen Folge-Schadensersatzansprüchen nicht zwingend vor Gericht ausgetragen wird. Viele Unternehmen einigen sich außergerichtlich.98 Dies gilt vor allem für Unternehmen, die mit potenziellen Klägern in langjährigen Liefer- oder Abnahmebeziehungen stecken. Die im Rahmen von außergerichtlichen Streitbeilegungsvereinbarungen erzielten Ausgleichssummen fallen in ihrer Höhe nicht minder substanziell aus.
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Unternehmen, die wegen eines Kronzeugenantrags volle oder teilweise Bußgeldfreiheit erlangt haben, haben vor der Umsetzung der 9. GWB-Novelle das uneingeschränkte Risiko getragen, zu gleichrangigen Beklagten im Rahmen nachgelagerter Schadensersatzforderungen zu werden. Da die erfolgreiche Rolle des Kronzeugen die Einräumung des kartellrechtswidrigen Sachverhaltes voraussetzt, hat sich die für einen Kronzeugenantrag erforderliche Kooperation damit später durchaus als nachteilig bei der Verteidigung gegen Schadensersatzforderungen erwiesen. Das Folgerisiko von Schadensersatzklagen ist für Kronzeugen auch mit der Umsetzung der Gesetzesreformen nicht grundsätzlich beseitigt. Kronzeugen haften ihren direkten und indirekten Abnehmern nach wie vor vollumfänglich für die durch die Kartellrechtsverletzung entstandenen Schäden. Wie oben aufgeführt, werden sie allerdings gegenüber Schadensersatzforderungen Dritter privilegiert, die sie lediglich im Rahmen der Haftung aller Kartellanten als Gesamtschuldner treffen. Auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage ist also nach wie vor in die Risikoabwägung einzubeziehen, ob ein Kronzeugenantrag in der konkreten Situation für das Unternehmen der richtige Schritt ist (siehe dazu ausführlich unter Rn. D 4ff.).
6. Kommerzielle Risiken durch Reputationsverlust, Kundenreaktionen, langwierige Untersuchungen, personelle Konsequenzen
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Kartellrechtsverstöße ziehen nicht nur Risiken aus unmittelbaren Rechtsfolgen nach sich, sondern führen auch zu einer Reihe weiterer kommerzieller Risiken, die erheblichen Einfluss auf das weitere Schicksal des Unternehmens haben können.
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Investoren und Anlegern sind die Konsequenzen des ungünstigen Ausgangs eines Verfahrens durch die Kartellbehörden gut bekannt. Muss ein Unternehmen einräumen, Beteiligter in einem Kartell- oder Missbrauchsverfahren zu sein, hat dies insbesondere bei börsennotierten Unternehmen regelmäßig einen unmittelbaren Einfluss auf den Unternehmenswert. Dies gilt meist schon dann, wenn die Einleitung eines Verfahrens bekannt wird, obgleich dessen Ausgang offen ist. Die Eröffnung eines kartellrechtlichen Verfahrens hat zudem einen erheblichen Einfluss auf anstehende Transaktionen. Ein Erwerber wird sich nur dann zum Kauf eines am Kartellverfahren beteiligten Unternehmens entschließen, wenn er meint, die kartellrechtlichen Risiken abschätzen und in Form des Kaufpreises oder der Vertragsverhandlungen kompensieren zu können.
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Reputationsverlust und schlechte Presse nach Eröffnung eines Kartellverfahrens wirken sich regelmäßig auch auf die Kundenbeziehungen aus. Unternehmen müssen in Jahresgesprächen schon weit vor Abschluss eines Kartellverfahrens erleben, dass sie für ihr vermeintliches Fehlverhalten von Kunden zur Rechenschaft gezogen werden. Aus Unternehmenssicht positiv ist, dass sich durch ein finanzielles Entgegenkommen gegenüber Kunden Schadensersatzklagen ggf. vermeiden lassen.
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In Ausschreibungsmärkten bedeutet ein Kartellrechtsverstoß gemäß § 124 GWB einen fakultativen Ausschluss eines Unternehmens von weiteren Ausschreibungen. Die Registrierung derartiger Verstöße wird durch das vom Bundeskartellamt geführte Wettbewerbsregister nunmehr formalisiert.99 Eine vorzeitige Löschung des Eintrags ins Wettbewerbsregister ist durch Selbstreinigung möglich. Damit wird eine Situation gesetzlich verankert, die bereits in der Vergangenheit in Verfahren