Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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In Kartellrechtsordnungen vieler Länder innerhalb und außerhalb von Europa sind Kartellrechtsverstöße – anders als nach europäischem und grundsätzlich auch nach deutschem Kartellrecht – Straftatbestände. Das US-Kartellrecht stuft Verstöße gegen den Sherman Act als Verbrechen ein, die mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren sanktioniert werden können. Vertreter des amerikanischen Department of Justice werden dabei nicht müde zu betonen, dass sie Haftstrafen gegen persönlich Verantwortliche als die wirksamste Abschreckungsmaßnahme bei Kartellverstößen ansehen. Laut Statistik des Department of Justice betrug die durchschnittliche Haftdauer für Kartellrechtsverstöße in Jahren 2010 bis 2018 19 Monate.83 Bereits im März 2010 kam es zu einer ersten Auslieferung eines englischen Managers an die US-Verfolgungsbehörde.84 Insgesamt sitzt eine große Zahl ausländischer Unternehmensvertreter Haftstrafen in den USA wegen Kartellrechtsverstößen ab.
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Auch in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten85 sowie in Ländern außerhalb der EU86 sind Verstöße gegen das Kartellrecht Strafrechtstatbestände.
3. Zivilrechtliche Nichtigkeit
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Eine Vereinbarung, die gegen ein Kartellrechtsverbot verstößt, ist nichtig.87 Die Nichtigkeit nach deutschem und/oder EU-Kartellrecht im Rahmen einer Vertragsvereinbarung betrifft grundsätzlich nur die wettbewerbsbeschränkenden Klauseln. Das Schicksal der restlichen Vereinbarung bestimmt sich nach nationalem Recht.88 Für die Frage nach den Konsequenzen für andere Vertragsklauseln wird salvatorischen Klauseln eine große Bedeutung beigemessen. Diese Bedeutung hat sich durch die BGH-Rechtsprechung in Sachen Tennishallenpacht zumindest für standardisierte salvatorische Klauseln jedoch deutlich abgeschwächt. Ist die salvatorische Klausel, wie oft üblich, als allgemeine Geschäftsbedingung vereinbart, bewirkt diese lediglich eine Beweislastumkehr zugunsten desjenigen, der sich auf die Wirksamkeit des Restvertrages beruft. Oder umgekehrt: Die Darlegungs- und Beweislast für die Gesamtnichtigkeit des Vertrages nach § 139 BGB trifft diejenige Partei, die sich entgegen der Erhaltungsklausel auf die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages beruft.89
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Die zivilrechtliche Nichtigkeit kartellrechtswidriger Vereinbarungen ist im Kontext von Hard-core-Kartellen nur selten relevant. Die wenigsten Unternehmen sind heute noch derart unbedarft, den Versuch zu unternehmen, die Einhaltung dieser Abreden gerichtlich einzuklagen. Passiert es doch, wird sich auch das Bundeskartellamt der Sache annehmen: Gemäß § 90 i.V.m. § 87 GWB sind die Zivilgerichte verpflichtet, das Bundeskartellamt über Rechtsstreitigkeiten zu informieren, deren Ausgang ganz oder teilweise von Normen des deutschen oder europäischen Kartellrechts abhängt.
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Von besonderer Bedeutung ist die zivilrechtliche Nichtigkeit kartellrechtlicher Verträge dagegen im Zusammenhang mit Lizenzverträgen, Forschungs- und Entwicklungskooperationen, Liefer- oder Vertriebsverträgen oder auch im Transaktionskontext. Hier hat die Nichtigkeit beschränkender Klauseln oder gar des ganzen Vertrages (etwa bei einem Verstoß gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot) erhebliche kommerzielle Konsequenzen, da mit diesen Verträgen oft ein hohes Investitionsvolumen einhergeht.
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Auch der Verstoß gegen das Missbrauchsverbot ist verboten und ein entsprechendes Verhalten folglich nach § 134 BGB nichtig.
4. Wettbewerbsregister
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Am 29.7.2017 ist das Gesetz zur Einführung des Wettbewerbsregisters in Kraft getreten.90 Im März 2021 hat das Bundeskartellamt den Betrieb des Registers, das in Form einer elektronischen Datenbank geführt wird, aufgenommen; die Mitteilungs- und Abfragungspflichten sind jedoch erst anwendbar, sobald sie im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Öffentliche Auftraggeber sind danach ab einem Auftragswert von EUR 30.000 verpflichtet, das Wettbewerbsregister im Rahmen von Vergabeverfahren einzusehen und zu prüfen, ob Unternehmen an Wirtschaftsdelikten beteiligt waren und deshalb von einem Auftrag auszuschließen sind oder ausgeschlossen werden können. § 123 Abs. 1 und 4 GWB beinhalten Delikte, für die rechtskräftige Verurteilungen, Strafbefehle oder Bußgeldentscheidungen zwingend zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen (darunter Bestechung, Menschenhandel, Bildung krimineller Vereinigungen, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Vorenthalten von Sozialabgaben, Steuerhinterziehung). Zu den in § 124 GWB aufgeführten fakultativen Ausschlussgründen zählen Submissionsabsprachen sowie Verstöße gegen das Kartellrecht. Nach drei (fakultative Ausschlussgründe) bzw. fünf Jahren (zwingende Ausschlussgründe) sind die Einträge zu löschen. Allerdings haben Unternehmen die Möglichkeit, durch eine Selbstreinigung eine vorzeitige Löschung zu erwirken. Die Voraussetzungen der Selbstreinigung sind in § 125 GWB explizit geregelt: Dazu ist erforderlich, dass das Unternehmen (i) für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, (ii) die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat, und (iii) konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
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Letzteres setzt ein wirksames Compliance-Programm voraus. Wie dieses konkret ausgestaltet werden muss, hat das Bundeskartellamt als Registerbehörde in seinen Anfang Juni 2021 zum Zwecke der öffentlichen Konsultation veröffentlichten Entwurfsfassungen von „Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“ sowie von „Praktischen Hinweisen für einen Antrag“ dargelegt (abrufbar unter www.bundeskartellamt.de/DE/Wettbewerbsregister).
5. Schadensersatzrisiken
„Einen ergänzenden Beitrag zur Abschreckungswirkung des Kartellrechts leistet in den letzten Jahren zunehmend das Instrument privater Schadensersatzklagen. Müssen Kartellmitglieder neben einem empfindlichen Bußgeld auch mit zusätzlichen Forderungen der geschädigten Kunden auf Schadensersatz rechnen, schwächt dies spürbar die Attraktivität illegaler Absprachen. Die Bedingungen für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen haben sich durch die zunehmende gerichtliche Praxis und höchstrichterliche Entscheidungen in den vergangenen Jahren weiter verbessert.“
Informationsbroschüre des Bundeskartellamtes 2017 – Erfolgreiche Kartellverfolgung – Nutzen für Verbraucher und die Wirtschaft
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In der Praxis haben die finanziellen Risiken durch Schadensersatzklagen in Folge von Kartellrechtsverstößen mittlerweile eine Bedeutung eingenommen, die die behördlichen Bußgelder im Summe um ein Vielfaches übersteigen können.91 Das Geltendmachen von kartellrechtsbedingten Folgeschäden ist dabei durch umfassende Gesetzesreformen erheblich erleichtert worden. Dahinter steht der politische Wille auf EU-Ebene, durch einen deutlich erleichterten