Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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Auch vertikale Verstöße können mit hohen Bußgeldern belegt werden. Die Kommission ist hier in der Vergangenheit besonders aktiv geworden, wenn Unternehmen durch direkte oder indirekte Exportbeschränkungen den Binnenwettbewerb beeinträchtigt haben.47 Dieser Fokus setzt sich auch in jüngeren Bußgeldentscheidungen fort, in denen zudem Preisbindungen und Internetbeschränkungen eine große Rolle spielen.48
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Bußgelder von Kartellbehörden, einschließlich solcher der Europäischen Kommission, sind sowohl hinsichtlich des ahndenden Teils als auch dann, wenn sie einen wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen, bei dessen Bestimmung die Steuerlast berücksichtigt wurde, steuerlich nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.49 Anders ist es nur, wenn ein wirtschaftlicher Vorteil brutto abgeschöpft wird, da dann natürlich die Tatsache, dass diese Vorteile seinerzeit versteuert worden sind, jetzt durch entsprechenden Abzug korrigiert werden muss. Das Bundeskartellamt weist eingangs seiner Bußgeldleitlinien darauf hin, dass diese nur den ahndenden Teil betreffen.50 Da der Kommission diese Unterscheidung fremd ist, kann bei Kommissionsbußgeldern in geeigneten Fällen mit wirtschaftlicher Brutto-Abschöpfung argumentiert und so zumindest ein Teil des Bußgeldes steuerlich abzugsfähig sein. Bußgelder spielen zudem keine Rolle im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen. Dies bedeutet, dass Bußgelder weder auf Schadensersatzansprüche angerechnet werden können noch dass die Bußgeldfreiheit eines Unternehmens – etwa im Rahmen eines Kronzeugenantrags – dieses vom Risiko einer Schadensersatzpflicht befreit.51
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Die Bußgelder der Kommission richten sich allein gegen Unternehmen, nicht gegen die handelnden Unternehmensmitarbeiter. Trotz der immensen Höhe der von der Kommission verhängten Bußgelder ist ein Verstoß gegen das EU-Kartellrecht kein Strafrechtsverstoß.52
1.2 Bundeskartellamt
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Das deutsche Bundeskartellamt verfügt gemäß §§ 81ff. GWB für Kartellverstöße gegenüber Unternehmen über den gleichen maximalen Bußgeldrahmen wie die Kommission, d.h. es kann Bußgelder von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes verhängen (§ 81c Abs. 2 GWB). Mit der 10. GWB-Novelle wurde mit § 81c Abs. 4 GWB der Bußgeldrahmen für Unternehmensvereinigungen deutlich erhöht.53 Auch die Bußgelder gegen die Verletzung von Verfahrensanordnungen des Bundeskartellamtes haben sich deutlich erhöht. Der Bußgeldrahmen halbiert sich im Falle der Fahrlässigkeit, § 17 Abs. 2 OWiG.
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Durch eine Entscheidung des BGH zum Zement-Kartell54 hat sich bei der Interpretation der 10 %-Grenze zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht ein wichtiger Unterschied aufgetan: Während die Kommission, unbeanstandet von den Europäischen Gerichten, die 10 %-Grenze als sog. Kappungsgrenze ansieht, ist der daran angelehnten Auffassung des Bundeskartellamtes (und des Gesetzgebers) nun ein Riegel vorgeschoben worden. Nach dem Urteil des BGH ist die 10 %-Grenze als Obergrenze des Bußgeldrahmens anzusehen. Das Bundeskartellamt hatte 2013 auf dieses Urteil mit einer Anpassung seiner Leitlinien zur Bußgeldberechnung reagiert.55
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Nach diesen Bußgeldleitlinien setzt das Bundeskartellamt ein Gewinn- und Schadenspotenzial in pauschaler Höhe von 10 % des während der Dauer des Kartellverstoßes erzielten tatbezogenen Umsatzes des Unternehmens an.56 Ist der Zuwiderhandlung kein Umsatz beizumessen (z.B. bei einem Marktaufteilungskartell oder bestimmten Formen der Submissionsabsprachen), werden die Umsatzerlöse herangezogen, die ohne die Zuwiderhandlung vermutlich erzielt worden wären.57 Das so festgesetzte Schadenspotenzial wird mit folgenden Faktoren multipliziert, um der Gesamtunternehmensgröße Rechnung zu tragen:
Faktor | 2–3 | 3–4 | 4–5 | 5–6 | > 6 |
Gesamtumsatz d. Unternehmens i.S.d. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB | < 100 Mio. € | 100 Mio. € bis 1 Mrd. € | 1 Mrd. € bis 10 Mrd. € | 10 Mrd. € bis 100 Mrd. € | > 100 Mrd. € |
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Innerhalb des Bemessungsspielraums erfolgt eine Eingrenzung des Bußgeldes anhand der 10 %-Obergrenze auf der Grundlage der Gesamtabwägung der schärfenden und mildernden Faktoren. Dabei zieht das Bundeskartellamt tatbezogene Kriterien wie Art und Dauer des Verstoßes, Bedeutung der Märkte sowie Organisationsgrad unter den Beteiligten heran und hält fest, dass für schwerwiegende Kartellverstöße wie insbesondere Preis-, Quoten-, Gebiets- und Kundenabsprachen eine Einordnung im oberen Bereich stattfinden wird. Relevante tatbezogene Kriterien sind die Rolle des Unternehmens im Kartell, dessen Marktstellung, Besonderheiten der Wertschöpfungstiefe, der Grad des Vorsatzes/der Fahrlässigkeit, vorangegangene Verstöße und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.58 Die Bußgeldpraxis des Bundeskartellamtes ist herber Kritik ausgesetzt. Diese setzt vor allem an dem Auseinanderfallen der Bußgeldzumessung des Amtes mit dem Vorgehen der Gerichte an, die sich für die Bußgeldzumessung nicht an den Leitlinien des Bundeskartellamtes, sondern allein am gesetzlichen Rahmen orientieren. Praktische Folge ist, dass eine Überprüfung der behördlichen Bußgelder vor Gericht für betroffene Unternehmen zu einer substanziellen Verböserung führen kann.59
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Das Bundeskartellamt behält sich vor, die wirtschaftlichen Vorteile aus der Zuwiderhandlung im Rahmen des Bußgeldverfahrens oder eines separaten Verfahrens nach §§ 32, 34 GWB zu entziehen.
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Anstelle der Verhängung eines umsatzbezogenen Bußgeldes kann das Bundeskartellamt Verstöße auch nach dem festen Bußgeldrahmen des § 81c Abs. 1 GWB ahnden. Schwere Kartellrechtsordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße von bis zu EUR 1 Mio., sonstige Kartellrechtsordnungswidrigkeiten gemäß § 81 Abs. 4 S. 5 GWB mit einer Geldbuße von bis zu EUR 500.000 belegt werden.
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Für die hier in Rede stehenden Verstöße, die mit einem wirksamen Compliance-Programm aufgedeckt bzw. verhindert werden sollen, spielt der feste Bußgeldrahmen in der Regel keine Rolle. Diese Verstöße werden nach dem umsatzbezogenen Bußgeldrahmen sanktioniert. Mit der zunehmenden Bedeutung zivilrechtlicher Folge-Schadensersatzklagen (sog. follow-on damage claims), ist der Gedanke der Vorteilsabschöpfung bei der Bemessung von Bußgeldern durch das Bundeskartellamt schon lange in den Hintergrund getreten. Die derzeitigen Bußgelder des Bundeskartellamtes sind reine Ahndungsbußgelder.
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Das Bundeskartellamt ist eine sehr aktive Verfolgungsbehörde, die der Kommission auch in der Höhe der für Kartellrechtsverstöße verhängten Bußgelder kaum nachsteht.
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Das bislang höchste Bußgeld in seiner Geschichte von insgesamt EUR 646 Mio. verhängte das Bundeskartellamt gegen mehrere führende Stahlhersteller wegen Kartellabsprachen bei Grobblechen im Dezember 2019.60 Nur wenige Wochen zuvor hatte das Bundeskartellamt bereits Bußgelder in Höhe von EUR 100 Mio. gegen verschiedene Automobilhersteller wegen Absprachen beim Einkauf von Langstahl verhängt.61 Im Januar 2020 sanktionierte das Bundeskartellamt verschiedene Anbieter von Pflanzenschutzmitteln mit einem Gesamtbußgeld von EUR 156 Mio. Die Unternehmen hatten ihre Bruttopreislisten