Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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IV. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Kartellrecht
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Ein Verstoß gegen das Kartellrecht kann nicht nur in Europa und in Deutschland, sondern auch in nahezu allen anderen Kartellrechtsordnungen gravierende Folgen haben.32
1. Bußgelder
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Aus Unternehmenssicht stehen die drastischen Bußgelder für Kartellrechtsverstöße bei der Risikoabwägung und der daran anknüpfenden Compliance-Arbeit im Unternehmen an erster Stelle. Die Bedeutung kartellrechtlicher Compliance besteht deshalb zu einem zentralen Teil darin, dieses Bußgeldrisiko für künftiges Verhalten des Unternehmens auszuschalten und für vergangenes zu identifizieren.
1.1 Europäische Kommission
„Heute haben wir mit der Verhängung von Rekordgeldbußen wegen eines schweren Kartellverstoßes ein Ausrufezeichen gesetzt. [...] Unsere Botschaft ist klar: Kartelle haben in Europa keinen Platz.“
Magrethe Vestager, am 19.7.2016 anlässlich der Verhängung erster Bußgelder in dem mit insgesamt nahezu EUR 4 Mrd. bebußten LKW-Kartell.
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Nach Art. 23 Abs. 2 lit. a VO 1/2003 kann ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen Art. 101 AEUV sowie Art. 102 AEUV von der Kommission mit Bußgeldern von bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen belegt werden. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen einer einstweiligen Anordnung der Kommission zuwiderhandelt oder gegen eine Verpflichtungszusage verstößt (Art. 23 Abs. 2 lit. b und c VO 1/2003).
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Die Berechnung der konkreten Bußgelder im Falle eines Kartellverstoßes richtet sich nach den Bußgeldleitlinien der Kommission.33
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Der Ausgangspunkt für die Bußgeldberechnung ist danach ein Grundbetrag von bis zu 30 % des sog. tatbezogenen Umsatzes, d.h. des Wertes der von dem betroffenen Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des EWR verkauften Waren und Dienstleistungen, die in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit dem Verstoß stehen. Im Regelfall legt die Kommission als Bemessungsgrenze den tatbezogenen Umsatz im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr zugrunde.34 Der so ermittelte Wert wird mit der Anzahl der Jahre multipliziert, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war.35 Zeiträume bis zu sechs Monate werden mit einem halben, Zeiträume von mehr als sechs Monaten werden als ein ganzes Jahr gerechnet. Zusätzlich und von der Dauer des Verstoßes unabhängig fügt die Kommission einen Betrag zwischen 15 % und 25 % des tatbezogenen Umsatzes als reine „Abschreckungsgebühr“ hinzu.36 In der bisherigen Fallpraxis der Kommission entsprach dieser Betrag der Prozentzahl des Grundbetrages.
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Als erschwerende Faktoren, die den Grundbetrag und damit das Bußgeld erhöhen können, berücksichtigt die Kommission eine Fortsetzung des Verstoßes oder einen erneuten Verstoß, die Verweigerung der Zusammenarbeit mit und ohne Behinderung der Kommissionsuntersuchung sowie die Rolle eines Unternehmens als Anführer oder Anstifter des Verstoßes.
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Mildernde Umstände sind die nachgewiesene Beendigung des Verstoßes nach dem Eingreifen der Kommission außer im Falle geheimer Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (insbesondere von Kartellen); Fahrlässigkeit, beigebrachte Beweise zur Geringfügigkeit sowie Nachweise, dass das Unternehmen den Verstoß nicht umgesetzt hat, aktive Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission außerhalb der Kronzeugenregelung sowie der Nachweis, dass das wettbewerbswidrige Verhalten durch Behörden oder geltende Vorschriften genehmigt oder ermutigt wurde.37
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Compliance-Programme werden von der Kommission – anders als von einigen nationalen Kartellbehörden38 – nicht als mildernder Umstand bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.39 Sie sind nach EU-Kartellrecht auch nicht geeignet, die Zurechnung des Fehlverhaltens eines einzelnen Unternehmensmitarbeiters gegenüber dem Unternehmen zu verhindern. So heißt es hierzu auf der aktuellen Webseite der Kommission:40
„The Commission welcomes and supports efforts by the business community to ensure compliance with EU competition rules. If an infringement is found, however, the mere existence of a compliance strategy will not be taken into consideration when setting the fine: the best reward for a good compliance strategy is not to infringe the law.“
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Die Bußgelder der Europäischen Kommission fallen in ihrer Höhe oftmals drastisch aus. Trotz dieses Umstandes bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Rechtmäßigkeit in einem Verwaltungsverfahren vor dem Hintergrund des vergleichbaren italienischen Kartellverfahrensrechts.41 Zuvor hatte bereits das Europäische Gericht die Rechtmäßigkeit der Bußgeldfestsetzung nach den Bußgeldleitlinien der Kommission bestätigt.42 Folgende „Rekord-Bußgelder“ der Kommission stechen heraus:
Die Kommission verhängte 2017/2018 das bisher höchste Bußgeld in einem Kartellverfahren in Höhe von EUR 3,8 Mrd. gegen verschiedene internationale Hersteller von LKW, die 14 Jahre lang Bruttolistenpreise und die Weitergabe von Kosten für die Einhaltung von Umweltnormen an ihre Kunden abgesprochen hatten.43 Die bisher höchste Gesamtbußgeldsumme der Kommission gegen ein einzelnes Unternehmen erging gegen Google/Alphabet, das wegen drei verschiedener Verstöße gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot in den Jahren 2017, 2018 und 2019 mit Bußgeldern von insgesamt EUR 8,25 Mrd. sanktioniert wurde.44
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Diese Bußgelder dürfen nicht