Compliance-Handbuch Kartellrecht. Jörg-Martin Schultze
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Europäisches Kartellrecht ist auf der Ebene der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht.10 Dies gilt auch für alle von der Kommission erlassenen Verordnungen, etwa zur Fusionskontrolle, und insbesondere für die sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (siehe dazu unter Rn. B 104ff.). Die zur Erläuterung dieser Verordnungen ebenfalls von der Kommission erlassenen Leitlinien und Merkblätter haben dagegen nur für die Kommission selbst unmittelbare rechtliche Bindungswirkung, sofern sie nicht unmittelbar den Verordnungstext erläutern (siehe dazu unter Rn. B 110).
3. Kartellrechtsordnungen anderer Länder außerhalb des EWR
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Obgleich sich in allen Kartellrechtsordnungen weltweit gewisse gemeinsame Grundkonzepte wiederfinden, weichen die nationalen Kartellrechtsregeln, einschließlich deren Umsetzungen durch nationale Kartellbehörden und Gerichte, durchaus substanziell voneinander ab.
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Für ein international agierendes Unternehmen bedeutet dies, dass Compliance-Bemühungen alle Absatzmärkte eines Unternehmens im Blick haben müssen. Wie z.B. Bußgeldentscheidungen der chinesischen Kartellbehörde in Höhe von EUR 56 Mio. im sog. LCD-Bildröhrenkartell im Januar 2013,11 der südkoreanischen Kartellbehörde in Höhe von USD 854 Mio. gegen den Chiphersteller Qualcomm im Jahr 201612 oder ein Bußgeld der japanischen Kartellbehörde in Höhe von USD 330 Mio. gegen verschiedene Bauunternehmen im Juli 201913 zeigen, lässt sich die Kartellrechtsverfolgung nicht einem Land oder einer bestimmten Form der Marktwirtschaft zuordnen. So hat Indien seine zunächst nur in der Theorie existente Kartellrechtsordnung schon vor Jahren „scharf gestellt“. Auf dem lateinamerikanischen Kontinent ist Brasilien bei Kartellrechtlern schon seit Langem als ein Land bekannt, in dem die Kartellrechtsverfolgung einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Das Gleiche gilt auf dem afrikanischen Kontinent für Südafrika.14
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Wenn das Compliance-Konzept grundsätzlich steht, ist es je nach räumlichem Tätigkeitsgebiet des Unternehmens somit unverzichtbar, die Compliance-Maßnahmen, etwa in Form von Schulungen oder Verhaltensrichtlinien, auch im Ausland auszurollen. Hierfür ist die Einschaltung lokaler Anwälte notwendig, auch wenn diese sich gut an einem einmal ausgearbeiteten Konzept orientieren können. Umgekehrt ist stets sicherzustellen, dass im Ausland erarbeitete Compliance-Maßnahmen nicht unreflektiert auf die lokale deutsche Organisation übertragen werden.
7 Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, ABl. EU 2004 C 101/07; Merkblatt des Bundeskartellamtes zur Inlandsauswirkung, Januar 1999. 8 Art. 3 Abs. 2 S. 1 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2008 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 L 1/1 (VO 1/2003); § 22 Abs. 2 GWB. 9 Siehe dazu unter Rn. B 213ff. 10 Für Deutschland siehe § 22 Abs. 1 GWB. 11 Siehe Pressemitteilung der chinesischen Kartellbehörde v. 13.1.2013, abrufbar unter http://english.mofcom.gov.cn. 12 Siehe Pressemitteilung der koreanischen Kartellbehörde v. 28.12.2016, abrufbar unter www.ftc.go.kr. 13 Siehe Pressemitteilung der japanischen Kartellbehörde v. 31.7.2019, abrufbar unter www.jftc.go.jp. 14 Für einen globalen Überblick siehe OECD Competition Trends 2020, abrufbar unter https://www.oecd.org/daf/competition/OECD-Competition-Trends-2020.pdf.
III. Kartellrechtliche Grundbegriffe
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Es gibt Grundbegriffe und -prinzipien, die für die kartellrechtliche Beurteilung jeder unternehmerischen Verhaltensweise relevant sind. Um das Verständnis der unter Rn. B 95ff. kursorisch dargestellten Kartellrechtsvorschriften zu erleichtern, werden einige dieser Grundbegriffe hier „vor die Klammer“ gezogen und erläutert.
1. Wettbewerbsbeschränkung
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Ziel des Kartellrechts ist die Steigerung der Verbraucherwohlfahrt, indem der Wettbewerb vor Beschränkungen durch Unternehmen geschützt wird. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Wettbewerb und Verbraucherwohlfahrt so zusammenhängen, dass mehr Wettbewerb mehr Verbraucherwohlfahrt und weniger Wettbewerb eine geringere Verbraucherwohlfahrt bedeuten. Liegt keine Wettbewerbsbeschränkung vor, bedarf es keines Schutzes des Wettbewerbs und kartellrechtliche Regeln kommen nicht zum Tragen. Das Kartellrecht legt dabei das sog. Selbstständigkeitspostulat zugrunde, wonach jedes Unternehmen eigenständig entscheiden muss, welche Geschäftspolitik es auf dem Markt verfolgt. Wird diese Freiheit beeinflusst – gleich ob diese Beeinflussung Zweck oder Folge des Handelns eines anderen Unternehmens ist –, liegt grundsätzlich eine Wettbewerbsbeschränkung vor.15
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Das europäische und deutsche Kartellrecht lassen es im Grundsatz ausreichen, dass ein unternehmerisches Verhalten das Potenzial zu einer Wettbewerbsbeschränkung hat. Die Unterscheidung zwischen bezweckter Wettbewerbsbeschränkung (oder im Englischen restriction by object) und bewirkter Wettbewerbsbeschränkung (im Englischen restriction by effect) kommt in der Praxis bei den Nachweiserfordernissen der Auswirkungen von Beschränkungen auf den Wettbewerb durch Behörden und Gerichte zum Tragen. Für bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, d.h. Beschränkungen, die schon ihrem Wesen nach als schädlich für den Wettbewerb anzusehen sind, wie z.B. Kartellabsprachen, muss kein Nachweis eines wettbewerbsschädlichen Potenzials mehr erbracht werden; er wird vielmehr vermutet.16 Bei der Feststellung bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen ist dies anders. Hier kommt es auf Auswirkungen auf die Marktbedingungen an.
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Die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen wird in der Compliance-Arbeit häufig überschätzt: Geht es bei dieser doch ganz vorrangig darum, die bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen abzustellen, d.h. solche, die aufgrund ihres Inhalts, der verfolgten Ziele und des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs wettbewerbswidrig sind. Diese aufzuspüren, setzt keine Marktanalyse voraus. Oder mit den plastischen Worten des Generalanwalts Bobek in seinen Schlussanträgen in Sachen Budapest Bank et al. zur Frage, wie man bezweckte und bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen voneinander unterscheidet:17
„Wenn es wie ein Fisch aussieht und wie ein Fisch riecht, kann man davon ausgehen, dass es ein Fisch ist. Sofern dieser konkrete Fisch nicht auf den ersten Blick etwas ganz Seltsames an sich hat, wie etwa, dass er keine Flossen hat, in der Luft schwebt oder wie eine Lilie riecht, dann ist kein eingehendes Sezieren dieses Fisches notwendig, um ihn als solchen zu qualifizieren. Wenn der betreffende Fisch