Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторов
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2. Schutz vor Verunstaltung
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Weit über die Funktion der Gefahrenabwehr hinaus greift der Schutz vor Verunstaltungen, den alle Landesbauordnungen kennen[89]. Unterschieden werden kann dabei zwischen den Verunstaltungsverboten[90] sowie den Ermächtigungen der Landesbauordnungen an die Gemeinden, sog. Gestaltungssatzungen zu erlassen, in denen bestimmte gestalterische Vorstellungen positiv festgelegt werden können[91]. Tatsächlich waren die Verunstaltungsverbote schon dem preußischen ALR bekannt, dem zufolge das Bauen nicht zur „Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze“ (§ 66 I 8 ALR) führen durfte[92]. Obwohl im bereits erwähnten Kreuzberg-Urteil gerade auf die Trennung zwischen Gefahrenabwehr und „Fürsorge für die öffentliche Wohlfahrt“ gepocht wurde[93], hielten sich die Verunstaltungsverbote, die nunmehr auf spezialgesetzliche Ermächtigungen gestützt wurden[94]. Nicht zu verkennen ist die den Verunstaltungsgeboten innewohnende Gefahr, dass sich die staatlichen Behörden zu einer ästhetischen Bevormundung aufschwingen.
3. Sozial- und Wohlfahrtspflege
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Eine weitere Funktion, die über die klassische Aufgabe des Bauordnungsrechts hinausführt, ist die sozialpflegerische, die in einigen wenigen Vorschriften der Landesbauordnungen zum Ausdruck kommt[95]. Die entsprechenden Regelungen sollen den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Teile der Bevölkerung Rechnung tragen und das Miteinander sozial ausgestalten[96]. Teilweise wird die Stellplatzverpflichtung[97] hierunter gefasst, weil mit ihr die Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen bezweckt werde[98]. Vor allem aber verfolgen die Bauordnungen unter dem Stichwort des „barrierefreien Bauens“[99] mit dem Schutz von Menschen mit Behinderung und älteren Menschen soziale Ziele[100]. Auch die Pflicht, bei der Errichtung von Gebäuden entsprechend der Art und Anzahl der Wohnungen in angemessener Nähe einen Kinderspielplatz anzulegen[101], ist eine Ausprägung der sozialpflegerischen Funktion des Bauordnungsrechts.
4. Umweltschutz
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Neu hinzugekommen ist für das Bauordnungsrecht ferner die Aufgabe des Umweltschutzes. So beziehen die allgemeinen Anforderungen, die die Landesbauordnungen an das Bauen stellen, als Schutzgut – entsprechend der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG – auch die „natürlichen Lebensgrundlagen“[102] ausdrücklich mit ein; freilich steht insofern noch die Abwehr von Gefahren im Vordergrund. Die Normierungen einiger Bauordnungen, sparsam mit Boden, Wasser und Energie umzugehen sowie Bauabfälle und Bodenaushub möglichst zu vermeiden[103], gehen dabei weit über die Gefahrenabwehr hinaus. Hinzu tritt mittlerweile eine nicht unerhebliche Anzahl einzelner dem Umweltschutz dienender Vorschriften. Zu nennen sind Regelungen, die den Klimaschutz im Blick haben, wie etwa Anforderungen an den energiesparenden Wärmeschutz[104], Privilegierungen klimaschützender Baumaßnahmen[105] oder die Verfahrensfreistellung entsprechender baulicher Vorhaben[106]. Einige Bauordnungen räumen zudem den Kommunen die Möglichkeit ein, Maßnahmen zur Wasser- und Energieeinsparung oder Nutzung erneuerbarer Energien durch den Erlass von örtlichen Bauvorschriften zu fördern[107].
I. Überblick
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Modellhaft kann im Bauordnungsrecht zwischen zwei verschiedenen Typen von Kontrollen unterschieden werden, der präventiven und der repressiven Kontrolle (siehe Rn. 111)[108]. Im Bauordnungsrecht lag das Schwergewicht traditionell bei der Baugenehmigung als präventiver Kontrolle. Tatsächlich sehen die Landesbauordnungen im Ausgangspunkt noch vor, dass die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung einer (baulichen) Anlage der Baugenehmigung bedarf[109], obwohl sich im Zuge der Deregulierung seit den 1990er Jahren ein allmählicher Abbau der präventiven Kontrolle vollzogen hat. An die Stelle des traditionell umfänglichen Baugenehmigungsverfahrens ist für die meisten baulichen Anlagen ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren, eine Genehmigungsfreistellung[110] oder gar eine völlige Verfahrensfreistellung getreten. Diese Deregulierung soll – erstens – den Bauherrn in die Lage versetzen, seine baulichen Vorstellungen beschleunigt umzusetzen, was ihn freilich nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften entbindet[111]. Die Einhaltung soll – zumindest der Theorie nach – von den Bauaufsichtsbehörden im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen kontrolliert werden (repressive Kontrolle). Das zweite Ziel der Deregulierung – die Entlastung der Verwaltung – wird durch den eintretenden Bedeutungszuwachs der repressiven Kontrolle allerdings in Frage gestellt.
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Die Deregulierung im Baurecht hat ihren Preis. Sie zieht verschiedene Folgen nach sich, die insgesamt nicht unproblematisch sind und derer man sich zumindest bewusst sein sollte. Die Auswirkungen können unterteilt werden in Konsequenzen für den Bauherrn, für den Nachbarn sowie für die Verwaltung. Für den Bauherrn besteht die entscheidende Konsequenz der Deregulierung in einem Verlust an Rechtssicherheit und einem größeren Maß an Eigenverantwortung. Ob sein Vorhaben wirklich den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, dafür trägt (soweit dies die Bauaufsichtsbehörde nicht mehr oder – wie im vereinfachten Genehmigungsverfahren – nicht mehr vollumfänglich prüfen muss) nicht mehr der Rechtsträger der Behörde die (Haftungs-)Verantwortung, sondern allein der Bauherr oder die von ihm beauftragten Architekten bzw. Ingenieure und Sachverständigen. Aus diesem Grund wird von der Privatisierung des Bauordnungsrechts gesprochen[112]. Daher verwundert es nicht, dass in denjenigen Bundesländern, die dem Bauherrn trotz des Vorliegens der Voraussetzungen für einen deregulierten Kontrollmechanismus die Möglichkeit einräumen, in das (vereinfachte) Baugenehmigungsverfahren einzutreten, dieses „Wahlrecht nach oben“[113] häufig ausgeübt wird[114]. Für den Nachbarn führt die Deregulierung tendenziell zu einem Verlust an Rechtsschutz. Der Wegfall der Genehmigungspflichtigkeit eines Wohnhauses[115] bedeutet etwa, dass er nicht mehr die für ihn praktikablen Rechtsbehelfe Anfechtungswiderspruch und -klage zur Hand hat. Stattdessen ist der Nachbar auf das Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde angewiesen, das er nur auf dem für ihn zunächst weniger erfolgversprechenden Weg des Verpflichtungswiderspruchs und der Verpflichtungsklage erreichen kann[116]. Seitens der Verwaltung sind – auch angesichts der Personalknappheit – Vollzugsdefizite bei der staatlichen Überwachung zu beklagen[117]. Insgesamt ist die Entwicklung der Deregulierung daher nicht zu begrüßen[118], wenngleich eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) durch die Verlagerung auf die repressive Überwachung nicht behauptet werden kann[119]. Mit der skizzierten Entwicklung, die im Bauordnungsrecht stattgefunden hat, fügt sich dieses Rechtsgebiet in die allgemeine Entwicklung des Verwaltungsrechts der letzten Jahrzehnte ein: Deregulierung und Privatisierung waren Schlüsselbegriffe der Verwaltungsrechtsreform[120].
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