Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
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Die Straflosigkeit der Teilnahme an der Selbsttötung muss trotz des dort geltenden Einheitstäterbegriffs auch für eine fahrlässige Teilnahme gelten[54]. Für die Beteiligung an einer Selbstgefährdung (insbesondere durch Betäubungsmittelmissbrauch) hat dies erst nach einer Reihe zweifelhafter Entscheidungen BGH 32, 262 klargestellt[55]. Aber auch jetzt noch bejaht der BGH eine Haftung bei Garantenstellung (JR 79, 429 m. abl. Anm. Hirsch), sogar eine Garantenstellung durch die Beteiligung[56]. In zwei Fällen der täuschenden Veranlassung seiner Tötung durch einen Lebensmüden hat die Rechtsprechung fahrlässige Tötung durch das Werkzeug bejaht (BGH NStZ 03, 537, OLG Nürnberg JZ 03, 745[57]).
Die Mitwirkung von Ärzten an der Selbsttötung widerspricht zwar nicht mehr dem ärztlichen Ethos, ist aber immerhin „keine ärztliche Aufgabe“ (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2004 DÄBl. 108, S. A 346). Hiermit darf jedoch die Straffreiheit dieses Verhaltens nicht ausgehebelt werden[58].
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Der Unterstützung der Selbsttötung durch die Schweizer Organisationen Dignitas und Exit, nach der Kündigung ihrer Gebäude z.T. in Wohnwagen auf Parkplätzen[59], begegnete die Rechtsprechung zunächst durch eine Verurteilung wegen unzulässiger Überlassung von Betäubungsmitteln (BGH 46, 279).
Nach langen Kontroversen und mehreren Entwürfen (Schöch FS Kühl 585 ff.) wurde durch Gesetz vom 3.12.2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt (§ 217 StGB). Diese Regelung ist gesetzestechnisch perfekt: strafbar ist die geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung. Die Regelung lässt keine Lücke; darunter fällt schon die Überlassung zur Selbsttötung geeigneter Tabletten. Ein Erfolg ist nicht erforderlich (BT-Drucks. 18/5373 S. 19); strafbar ist also nicht nur die vollendete, sondern schon die versuchte Beihilfe zur Selbsttötung. Die erforderliche „Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“ kann kaum einschränkend wirken, da sie sich nicht auf die Selbsttötung zu beziehen braucht; hinsichtlich ihrer genügt bedingter Vorsatz (BT-Drucks. 18/5373 S. 19).
Die Regelung greift in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG ein; die Beschränkung dieses Grundrechts ist nicht verhältnismäßig[60]. Mehrere Verfassungsbeschwerden sind anhängig. Die Regelung verstößt auch gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR (NJW 02. 2851; 11, 3773; 13, 2953[61]).
Angesichts dieser uferlosen Weite erhält das Erfordernis der Geschäftsmäßigkeit wesentliche Bedeutung. Geschäftsmäßigkeit ist erst gegeben, wenn jemand beabsichtigt, die Suizidbeihilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit zu machen[62]. Dies ist nicht schon bei einer wiederholten Tat anzunehmen; angesichts der Weigerung vieler Ärzte zu entsprechenden Tätigkeiten ist mit der Konzentrierung entsprechender Hilfsersuchen bei zur Tat bereiten Personen zu rechnen. Der Gesetzgeber wollte eine „regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung“, „regelmäßige Angebote“ und „eine Normalität suggerierende Angebote“ verhindern; straflos soll es bleiben, wenn „im Einzelfall nach sorgfältiger Überlegung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung zu einer Selbsttötung Beihilfe geleistet wird“[63].
Rechtsvergleichung in ZStW Bd. 128, 24 ff.
Anmerkungen
OLG München NJW 87, 2942 m. zahlr. Nachw. A.A. Exner Frank-Festgabe 1930 I 596; Geilen JZ 74, 153; Schilling JZ 79, 159 ff.; Herzberg JA 85, 344 und JZ 88, 182; Kutzer NStZ 94, 112.
Schroeder Täter 90 ff., 129 f. Zust. Jähnke LK11 Vor § 211 Rn. 29.
Nachw. bei Rosenau LK Vor § 211 Rn. 104.
BGH GA 84, 95; 86, 508 m. Anm. Charalambakis 485; Brandts/Schlehofer JZ 87, 442; Neumann JA 87, 244. Kaum glaublicher Fall BGH 32, 38 m. Anm. Roxin NStZ 84, 71; Schmidhäuser JZ 84, 195; Sippel NStZ 84, 357; Neumann JuS 85, 677; T. Hermann ZfL 03, 110.
Geilen JZ 74, 151; Herzberg, Täterschaft u. Teiln., 1977, 40; Sinn SK § 212 15; Jähnke LK11 Vor § 211 26; i.Erg. auch Schilling JZ 79, 167. Eingehende Darstellung der Unterschiede bei Dölling FS Maiwald 119.
Roxin NStZ 87, 347; Herzberg JuS 88, 775. Für Abgrenzung nach der Eigenverantwortung auch hier Neumann JA 87, 244 ff.; Hohmann/König NStZ 89, 304 ff., nach der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt Roxin NStZ 87, 348 mit bedenklicher Ausweitung der straflosen Beihilfe. Dagegen Herzberg JuS 88, 771; Schroeder ZStW 106, 570, 579.
Eser/Sternberg-Lieben S/S § 216 11, W/Hettinger 164, Pähler MDR 64, 647 und Roxin 140 Jahre GA, 185. Kritisch Merkel aaO 79 f.
Bockelmann ZStW 66, 117; Heinitz JR 55, 105; Grünwald GA 59, 121; Gallas JZ 60, 649, 690; BGH 24, 342; Roxin FS Gallas 245; van Els NJW 72, 1476; Welp JR 72, 427; Wagner aaO 31 ff.; Geilen JZ 74, 145 (m. zutr. Beschränkung auf bloße Förderungshandlungen); Schroeder LK11 § 16 183; Herzberg JuS 75, 175; Spendel JuS 74, 749. A.A. Schmidhäuser FS Welzel 821 f.; Kohlhaas JR 73, 53 (dessen Gegenbeispiele jedoch nur „unfreie“ Selbsttöter betreffen). Zu weitgehend Roxin FS Gallas 245 f., wonach auch die fahrlässige Herbeiführung einer „unfreien“ Selbsttötung straflos sein soll.
Anm. Roxin NStZ 84, 411; weiterführend BGH NStZ 87, 406.
BGH NStZ 84, 452; 85, 319 m. Anm. Roxin;