Das Verhältnis des Vermögensnachteils bei der Untreue (§ 266 StGB) zum Vermögensschaden beim Betrug (§ 263 StGB) unter besonderer Berücksichtigung des Gefährdungsschadens. Steffen Evers
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I. Die Untreue als das klassische Wirtschaftsdelikt unserer Zeit
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Besonders deutlich werden Zustand und Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts im Tatbestand der Untreue als dem „typischen Wirtschaftsverbrechen unserer Zeit“[2].[3] Ihr wird infolge der sehr weiten Tatbestandsformulierung die Rolle einer immer passenden[4]„Allzweckwaffe“[5] bei der Ahndung von Unregelmäßigkeiten in der Wirtschaft angetragen. Hinzu kommt eine ebenfalls sehr weite Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Daher werden Zweifel an ihrer Verfassungsgemäßheit laut[6] und in fast jeder Veröffentlichung zur Untreue die von Hellmuth Mayer 1954 getätigte Äußerung zitiert,[7] dass „sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt […] kein Gericht und keine Anklagebehörde [weiß], ob § 266 [StGB] vorliegt oder nicht.“[8]
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Durch ihre Flexibilität und Offenheit wird die Untreue zum Regulierungsinstrument in der Wirtschaft. Durch sie werden stetig neue Strafbarkeitsbereiche erschlossen, neue Fallgruppen gebildet. Beispiele sind die Parteienuntreue[9], die Haushaltsuntreue[10], die Untreue durch unordentliche Buchführung[11], durch Kick-Back-Zahlungen[12], durch das Bilden von sog. schwarzen Kassen[13], um nur einige Bereiche zu nennen. Gerade in den Fällen, in denen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Verdacht stehen, gegen vermögensrelevante Regeln verstoßen zu haben, ist man schnell mit der Untreue bei der Hand, um Handlungsbereitschaft zu demonstrieren und dem alten Vorwurf zuvor zu kommen, die Kleinen zu hängen, die Großen aber laufen zu lassen. Die öffentliche Meinung wird dabei zusätzlich durch die fälschliche Bezeichnung als „Veruntreuung“ beeinflusst, die suggeriert, es ginge um persönliche Bereicherung.[14] Dies ist aber nur selten der Fall. In der Regel handelt es sich um Fälle, in denen angestellte Wirtschaftsakteure versuchen, für ihre Arbeitgeber Gewinne zu erwirtschaften. Gelingt dies nicht und sind Verluste die Folge, wird schnell von Untreue gesprochen; veruntreut, d.h. in die eigene Tasche gewirtschaftet, wurde aber nicht.
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Neben einem empirisch feststellbaren Anstieg der Anzahl der Untreueverfahren[15] ist auch die Bedeutung der Untreue in der wissenschaftlichen Diskussion um ein Vielfaches gestiegen.[16] Auch dort hat die Untreue seit Jahren „Hochkonjunktur“[17] bzw. ist eine „Untreuemode“[18] entstanden.[19]
Teil 1 Einleitung › B. Das Wirtschaftsstrafrecht als Feld einer Richtungsentscheidung › II. Das Verhältnis von Vermögensnachteil und Vermögensschaden als Ansatzpunkt einer Rekonturierung des Wirtschaftsstrafrechts
II. Das Verhältnis von Vermögensnachteil und Vermögensschaden als Ansatzpunkt einer Rekonturierung des Wirtschaftsstrafrechts
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Die vorliegende Untersuchung reiht sich in die Bandbreite der Publikationen zur Untreue ein. Sie versteht sich allerdings nicht als abstrakte Darstellung der Unbestimmtheit und Weite des Tatbestandes, sondern greift einen wesentlichen Teilaspekt der Problematik heraus und versucht diesen umfassend zu beleuchten; das Verhältnis des Vermögensnachteils als tatbestandlichem Erfolg des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB) zum Merkmal des Vermögensschadens, dem tatbestandlichen Erfolg des Betruges (§ 263 StGB) bzw. umgekehrt das Verhältnis des Begriffs des Vermögensschadens zum Begriff des Vermögensnachteils.
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Dieses Thema bietet sich gleich aus mehreren Gründen an. Zum einen können gleich beide Kerntatbestände des im StGB geregelten Wirtschaftsstrafrechts[20] hinsichtlich ihrer tatbestandlichen Erfolge untersucht und, im Falle der identischen Handhabung der Begriffe, eine Systematisierung der Verletzungsdelikte des Wirtschaftsstrafrechts insgesamt erreicht werden. Zum anderen haben gerade die Begriffe Vermögensnachteil und Vermögensschaden im Laufe des vergangenen Jahrhunderts eine immense Ausweitung erfahren, so dass diese einerseits stellvertretend für die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts insgesamt stehen und andererseits vermeintliche Restriktionsansätze hier den größten Erfolg versprechen. Zuletzt erfreut sich gerade der Bereich der angesprochenen Ausweitung beim Deliktserfolg, die mit dem Begriff der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ in Verbindung steht, in der wissenschaftlichen Diskussion mehr denn je großer Aktualität und Beliebtheit.
Anmerkungen
Zu den verschiedenen Standpunkten zur Begrifflichkeit des Wirtschaftsstrafrechts vgl. Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und AT, 27 ff. (§ 1, Rn. 59 ff.).
Schünemann Organuntreue, 7; ders. NStZ 2006, 196.
Vgl. zur Diskussion um die Einordnung der Untreue als Wirtschaftsdelikt Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 890 ff.
Ransiek ZStW 116 (2004), 634; Hermann Die Begrenzung der Untreuestrafbarkeit in der Wirtschaft am Beispiel der Bankenuntreue, 7.
Seier Die Untreue (§ 266 StGB) als „Allzweckwaffe“, in: Kohlmann/Nestler/Seier/Walter/Walther/Weigend (Hrsg), Entwicklungen und Probleme des Strafrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, 105; Zerbes Untreue im Rechtsvergleich: Überlegenheit des Missbrauchskonzepts?, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 158, 163; Hamm NJW 2005, 1993, 1994; Mitsch JuS 2011, 97; Perron GA 2009, 219, 222.
Vgl. MüKo/Dierlamm StGB, § 266, Rn. 3 ff.; Lesch DRIZ 2004, 135; Seier Die Untreue (§ 266 StGB) in der Rechtspraxis, in: Bernsmann/Ulsenheimer (Hrsg.), Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen, 145, 153; ders. Die Untreue (§ 266 StGB) als „Allzweckwaffe“, in: Kohlmann/Nestler/Seier/Walter/Walther/Weigend (Hrsg), Entwicklungen und Probleme des Strafrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, 105, 112; Labsch Untreue (§ 266 StGB), 196; Letzgus NJW-Editorial, Heft 35/2010; Otto Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 311; Kargl ZStW 113 (2001), 565, 576, 589; Hamm NJW 2001, 1694, 1696; Kiethe WM 2003, 861, 867 („bedenklich unbestimmt“); Perron GA 2009, 219, 232 („nicht tolerierbar“); wohl auch Arzt FS Bruns, 365, 367 („rechtstaatlich gefährlich vage[...] Formulierung“).
Vgl. Bräunig Untreue in der Wirtschaft, 22; Dierlamm NStZ 1997, 534, 536; Saliger ZStW 112 (2000), 563; Selle/Wietz ZIS 2008, 471; Tsambikakis StRR 2008, 404; Schünemann NStZ 2006, 196, 197; Hohn wistra 2006, 161, 162; Ignor/Sättele FS Hamm, 211, 212; Günther FS Weber, 311, 312; Perron GA 2009, 219; Schramm Untreue