Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug. Bernd Volckart
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VI. Nebenfolgen und ähnliche Maßnahmen
VII. Freiheitsentziehende Maßregeln
VIII. Freiheitsbeschränkende Maßregeln
IX. Jugendstrafrechtliche Sanktionen
Teil 2 Vollstreckung II Mandant ist in Freiheit › I. Vorbemerkungen
I. Vorbemerkungen
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Nicht nur im Bereich der Vollstreckung von Geld- und Nebenstrafen, Nebenfolgen und nicht freiheitsentziehenden Maßnahmen sind viele Mandanten noch (oder wieder) auf freiem Fuß: Auch im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Strafen und Maßregeln gilt es, die Verteidigung nach Rechtskraft fortzusetzen, um die bevorstehende oder wieder drohende Vollstreckung nach Möglichkeit zu verhindern oder zumindest im Interesse der Mandanten zu modifizieren. Die allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Maßnahmen und Verteidigungsmöglichkeiten werden hier im Zusammenhang mit der Freiheitsstrafe dargestellt, worauf an zahlreichen anderen Stellen verwiesen wird.
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Der Kriminalprognose kommt bei vielen vollstreckungsrechtlichen Entscheidungen eine große Bedeutung zu. Wenn es um die Prognose über die zukünftige Legalbewährung – im Strafvollzug wie bei der Maßregelunterbringung – geht oder eine Entscheidung über Vollzugslockerungen vorbereitet werden soll, bedarf es besonderer Sachkenntnis der Verteidigung. Oftmals werden psychiatrische und/oder psychologische Sachverständige in die Entscheidungen einbezogen, deren Auswahl bei der Verteidigungsstrategie eine wichtige Rolle spielen kann. Das Thema wird an dieser Stelle bearbeitet, auch wenn prognostische Einschätzungen insb. bei der Strafrestaussetzung (§§ 57, 57a StGB), der Erledigung bzw. Aussetzung der Maßregeln (§ 67d StGB), bei Bewährungswiderruf und Anordnungen der Führungsaufsicht sowie im Strafvollzug große Bedeutung erlangen (s.u. Rn. 168 f., 187 f., 214 ff., 299 ff., 346, 423 ff., 440 ff., 446 ff., 458, 492 f., 498 ff., 527, 561 ff., 587 ff.).[1]
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Obwohl sich die Führungsaufsicht in den allermeisten Fällen an die Vollstreckung anschließt (s.u. Rn. 475 f.), wird sie ebenfalls hier abgehandelt, weil unabhängig von ihrem jeweiligen Eintritt sich die Verteidigung in der Führungsaufsicht zumeist im ambulanten Sektor abspielt, der verstärkt Beachtung verdient.
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Den Abschluss bildet das Kapitel über formell- und materiell-rechtliche Besonderheiten bei der Vollstreckung jugendstrafrechtlicher Sanktionen, genauer: bei der Verteidigung von noch auf freiem Fuß befindlichen Mandanten, denen die Vollstreckung solcher Sanktionen droht, wobei an zahlreichen Stellen auf die vorherigen Kapitel verwiesen wird.
Anmerkungen
Ausf. Pollähne 2011, 73 ff.
Teil 2 Vollstreckung II Mandant ist in Freiheit › II. Kriminalprognose
II. Kriminalprognose
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Die öffentliche Debatte über sog. „Bewährungsversager“ und schwere Rückfälle von Straftätern hat kriminalpolitische Rahmenbedingungen geschaffen, die vorzeitige Entlassungen und Lockerungen erschweren. Das Klima ist von Dämonisierung und Skandalisierung geprägt.[1] Das Ansehen des Straftäters als „Bestie“, „Monster“ o.Ä. verhindert eine fachgerechte soziale Integration. Wird die Entlassung mit dauerhafter polizeilicher Observation verbunden, erscheint die vermeintliche Gefährlichkeit des Entlassenen in der öffentlichen Meinung noch bestätigt.[2] Zunehmend wird das Bedürfnis nach vollkommener Sicherheit geäußert. Die reale oder vermeintliche Kriminalitätsfurcht der Bürger und das Bild der tatsächlichen Kriminalität klaffen z.T. erheblich auseinander: Gewalt- und Sexualdelikte sind rückläufig und trotzdem steigt die Zahl der Anordnungen von Sicherungsverwahrung. Ursachen für die Fehleinschätzung werden auch bei den Medien gesucht. Tondorf[3] fordert die am Strafverfahren Beteiligten auf, das geschilderte gesellschaftliche Klima gelassen zu registrieren und sich gegen überspannte Sicherheitsansprüche resistent zu zeigen; an einem richtungsweisenden „Gegenprogramm“ sollte gemeinsam gearbeitet werden.
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Die Kriminalprognose ist ein aussichtsreiches Feld für eine erfolgreiche Verteidigung, wenn man sich den gewachsenen Ansprüchen und Diskussionsansätzen stellt. Nicht nur sind die wissenschaftlichen Anforderungen an die Inhalte, die fachlichen Standards und die empirische Validität eines Gutachtens fortwährend gestiegen, auch die Anforderungen an die Person des Sachverständigen selbst, seine berufliche Ausrichtung (Psychiater oder Psychologe), seine Berufserfahrung als Forensiker[4] sowie seine praktische Erfahrung als Gutachter haben erheblich an Bedeutung gewonnen. Oftmals kann über die Auswahl des „richtigen“ Sachverständigen eine Prognoseentscheidung und damit der Ausgang des Verfahrens vorgezeichnet sein. Boetticher u.a.[5] haben in einer Expertenkommission aus Richtern, forensischen Psychiatern und Psychologen, Sexualmedizinern, weiteren Wissenschaftlern und Juristen Mindestanforderungen für Gutachten zusammengestellt. Aber bereits die systematische Auflistung stößt auf Kritik; unterschiedliche Praxiskonventionen und Konzeptionen von nicht an der Empfehlung beteiligten Experten können eine ganz andere Vorgehensweise empfehlen. So ist die fast ausschließliche Präsenz der Psychiater als forensische Sachverständige in Frage zu stellen; denn auch Kriminologen[6] und Psychologen kommen als Gutachter in Betracht. Aber bereits zwischen Juristen und Psychiatern gibt es Verständnisschwierigkeiten.[7] Auch zahlenmäßig sind die Anforderungen an Gutachten seit dem SexualdelBekG gestiegen; aufgrund des kriminalpolitischen Hintergrundes sollen bei Prognoseentscheidungen der Gerichte und Vollzugsbehörden Sachverständige hinzugezogen werden[8] (§§ 454 StPO, 57, 67d StGB, 88 JGG). Alle Entscheidungen erfordern ein hohes Maß an Verantwortung und Sachverstand – von Gerichten und Sachverständigen gleichermaßen. An die Ausbildung und Fortbildung sind angesichts der weitreichenden Folgen einer Entscheidung – auch für die Allgemeinheit, vor allem aber für die Mandanten – hohe Ansprüche zu stellen. Das BVerfG