Absprachen im Strafprozess. Dirk Sauer
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Die §§ 160b, 202a, 212, 257b sind insgesamt von bemerkenswert unverbindlichem Charakter: Staatsanwaltschaft bzw. Gericht können, sie sollen oder müssen aber nicht das Gespräch suchen. Eine Begrenzung der denkbaren Gesprächsgegenstände findet sich im Gesetz nicht, und auch das, was konkret bei der Urteilsabsprache als „Bindungswirkung“ bezeichnet wird, ist in diesen allgemeinen Vorschriften keiner gesetzlichen Regelung zugeführt worden. Neben der Pflicht, die Gespräche aktenkundig zu machen, sowie der Verpflichtung, alle Verfahrensbeteiligten hinzuzuziehen,[17] kann sich dennoch weder im Ermittlungsverfahren noch im Zwischenverfahren oder im Hauptverfahren ein rechtsfreier Raum entwickeln, in dem gemachte Ankündigungen oder sogar Zusagen völlig folgenlos bleiben. Relevant wird dies insbesondere dann, wenn nach §§ 160b, 202a oder 212 geführte Gespräche sich um die Vermeidung der Hauptverhandlung drehen und der Beschuldigte sich bereit erklärt hat, an der entsprechenden Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens dadurch mitzuwirken, dass er zunächst einmal bestimmte Leistungen erbringt, also etwa Steuern nachzahlt, Schadensersatzansprüche anerkennt oder ähnliches. Hat in einem solchen Fall im Gegenzug die Staatsanwaltschaft oder das Gericht oder beide ein bestimmtes Prozessverhalten, etwa die Einstellung der Tat nach § 153a oder die Einstellung bestimmter Vorwürfe nach §§ 154, 154a[18] zugesagt, so gebietet es schon das fair-trial-Prinzip, dass man sich hieran dann auch hält.[19]
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Die entscheidende Frage ist aber natürlich diejenige, ob es konkrete Folgen hat, wenn dagegen verstoßen wird. Das Gesetz schweigt hierzu – auch nach Einführung des VerstG. Die bisherige Rechtsprechung (an der sich die Rechtspraxis wohl weiterhin orientieren wird) geht dahin, dass solches Fehlverhalten der Justiz strafmildernd wirken soll.[20] Das ist aus vielen Gründen nicht überzeugend. Sehr viel sinnvoller wäre es, wenn schlicht die zugesagten Folgen zwangsläufig einzutreten hätten, wenn also beispielsweise in dem Fall, in dem die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu einer Einstellung nach § 153a nach erbrachter „Schadenswiedergutmachung“ zusagt, sie dann aber doch verweigert, die Einstellung schlicht ohne die Zustimmung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden könnte, oder wenn eben dieser Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens schlicht einen Einstellungsgrund sui generis bilden würde.[21] Hier besteht für die Zukunft noch einiger Klärungsbedarf: Einerseits ist insbesondere der Schutz des Vertrauens des Beschuldigten in Zusagen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts kein von vornherein relevanter Gesichtspunkt, andererseits müssen die Lösungen in konkreten Problemfällen dem Gesetz entnommen werden oder zumindest mit dem Gesetz vereinbar sein. Es wird also beispielsweise nicht eine Bindung des Gerichts an irgendwelche von der Staatsanwaltschaft einseitig im Ermittlungsverfahren abgegebenen Zusagen angenommen werden können, und es wird auch nicht einfach die staatliche Seite in Haftung genommen werden können, wenn z.B. der beteiligte Verletzte später höhere Forderungen stellt als er dies ursprünglich im Strafverfahren zugesagt hatte.[22]
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Für den Verteidiger bedeutet dies praktisch, dass er seinen Mandanten eindringlich über die Risiken eines solchen Vorgehens aufklären muss. Insbesondere soweit eine Vorleistung des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren im Raume steht – falls eine solche überhaupt in Betracht kommen sollte –, wird der Mandant darüber zu informieren sein, dass die Staatsanwaltschaft im Fall der Fälle nicht an ihrer Zusage, etwa nach § 153 oder § 153a vorzugehen, festgehalten werden kann, selbst wenn diese Zusage im Rahmen einer aktenkundig gemachten Verständigung etwa nach § 160b gemacht wurde.
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Sofern schließlich im Schrifttum Versuche unternommen werden, dem neuen § 202a im Hinblick auf die möglichen Gegenstände von Gesprächen zwischen den Verfahrensbeteiligten gegenüber § 160b eigenständige Konturen zu geben,[23] überzeugt dies nicht. § 202a spricht hier ebenso vom „Stand des Verfahrens“ wie § 160b. Dass die zusätzlich erforderliche Eignung, das Verfahren zu fördern, sich im Zwischenverfahren anders darstellen kann als im Ermittlungsverfahren, ist ebenso selbstverständlich wie der Umstand, dass die vorliegende Anklageschrift und die besonderen Vorschriften des Zwischenverfahrens hier – anders als im Ermittlungsverfahren oder später im Hauptverfahren – sinnvoll Thema der Gespräche sein können. Das sind aber Besonderheiten, die sich aus der Natur der Sache, insbesondere aus den für das jeweilige Verfahrensstadium sonst geltenden Vorschriften, nicht aber aus § 160b oder § 202a selbst ergeben.
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Für alle Gespräche nach diesen neu eingeführten Vorschriften gilt also im Prinzip: Es kann, soll oder muss aber nicht gesprochen werden. Wenn ein Gespräch stattfindet, müssen alle einbezogen werden, die als Verfahrensbeteiligte nach der allgemeinen Definition anzusehen sind. Dabei kann über alles gesprochen werden, was überhaupt im jeweiligen Verfahrensstadium als zulässiges Prozessverhalten angesehen werden kann, das Wesentliche ist aktenkundig zu machen und schließlich haben sich alle Beteiligten an das zu halten, was sie besprochen haben.
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Gegenstand solcher Gespräche, insbesondere im Ermittlungsverfahren, aber auch im Zwischenverfahren, werden vielfach und mutmaßlich häufiger als im Hauptverfahren Fragen möglicher Verfahrenseinstellungen nach den §§ 153 ff. bzw. einem Verfahren nach den §§ 407 ff. sein. Auf diese und entsprechende Regelungen aus dem Recht der Ordnungswidrigkeiten, dem Betäubungsmittel- und Jugendstrafrecht wird im Folgenden ein vertiefter Blick geworfen.
Anmerkungen
Dass das Gericht Einfluss auf eine Nachbesserung der Anklage nehmen kann, kommt bereits in § 202 zum Ausdruck.
So z.B. Meyer-Goßner/Schmitt § 202a Rn. 3.
Im ersteren Sinne bspw. Schlothauer in Niemöller/Schlothauer/Weider, § 160b Rn. 10; im letzteren Jahn/Müller NJW 2009, 2625 ff., 2627. Die Kritik von Fischer StraFo 2009, 177 ff., 186, wonach die Dokumentationspflicht voraussichtlich in der Praxis unerwünscht sei und daher zu Umgehungshandlungen führen werde, zeigt einmal mehr exemplarisch das beliebteste Argumentationsmuster der fundamentalistischen Absprachenkritiker und offenbart zugleich seine größte Schwäche: Ist das Gesetz nicht streng genug, so hat der Gesetzgeber versagt, anderenfalls ebenfalls, weil der Glaube, die Normadressaten würden sich an klare und scharfe Vorschriften halten, naiv sei. Der Fehler ist immer derselbe: Ausgehend von einem denkbaren negativen Menschen- (oder eher Juristen-) Bild wird an den Staat (genauer: die Legislative) die Erwartung gerichtet, die Judikative ein für alle Mal zu disziplinieren und jede Form der Absprache im Strafprozess entschlossen und nachhaltig zu unterbinden. Das Argument ist widersprüchlich, weil Personen, die sich an das Gesetz nicht halten, sich auch durch das Gesetz nicht verbieten lassen, das Gesetz zu brechen. Es ist außerdem ersichtlich von einer Art voraufklärerischem Misstrauen gegenüber der menschlichen Vernunft geprägt, das empirischer Bestätigung bedürfte, sich auf solche aber natürlich nicht stützen kann.
Vgl.