Absprachen im Strafprozess. Dirk Sauer
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Der BGH schreckt dabei auch nicht davor zurück, zur Begründung einer empfundenen Strafbedürftigkeit zugleich tangierte Primärrechtsordnungen „fortzuentwickeln“. Dies war etwa am Beispiel des Umsatzsteuerstrafrechts in den letzten Jahren gut zu sehen, wo der BGH sub specie § 370 AO auf dem Gebiet der (Versagung der) Umsatzsteuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen gleichsam steuerrechtliche „Pionierarbeit“ leistete (vgl. BGH Beschl. v. 20.11.2008 – 1 StR 354/08 = BGHSt 53, 45 und Beschl. v. 19.2.2009 – 1 StR 633/08) und sich erst nach Widerspruch durch die Finanzgerichte (vgl. FG Baden-Württemberg Beschl. v. 11.3.2009 – 1 V 4305/08) zu einer Vorlage der relevanten Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH (Rs. R, Az.: C-285/09 = Slg. 2010, I-12605) genötigt sah (vgl. BGH Beschl. v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09).
Ausnahmen gibt es immer.
Zutreffend Wehnert StV 2002, 219.
Insoweit zutreffend Weigend NStZ 1999, 57 ff., 58. Richtig ist auch, dass § 153a nicht am „zwangfreien Zustandekommen des Schuldspruchs“ und auch nicht an Instruktionsmaxime und Unschuldsvermutung rührt. Dass Weigend in diesem Zusammenhang das Strafbefehlsverfahren, das insoweit deutlich problematischer ist, nicht erwähnt und nicht darlegt, warum dieses aus Sicht der absprachenkritischen Literatur anscheinend weit erträglicher ist als die Praxis der Urteilsabsprachen, ist indes nicht recht verständlich.
BVerfG Urt. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 = NJW 2013, 1058 ff.
Der Große Senat für Strafsachen setzte sich in der Entscheidung BGHSt 50, 40 zwar ausführlich auch mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dabei scheinen auch Zweifel durch (kritisch dazu zu Recht Meyer-Goßner NStZ 2007, 425 ff., 427). Indes wird man dem Gericht kaum unterstellen können, dass es seine eigene Rechtsprechung (oder gar die inzwischen erfolgte Umsetzung durch den Gesetzgeber) für verfassungswidrig hält. Ohne weiteres konsistent sind die diesbezüglichen Passagen, wenn man den Hinweis in der Entscheidung ernst nimmt, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung seien mit dieser Rechtsprechung erreicht (also nicht überschritten). Dass der BGH sich der damals beinahe allgemeinen Meinung anschloss, gesetzliche Regelungen seien aus verfassungsrechtlichen Gründen zwar nicht erforderlich, aber doch wünschenswert, war legitim, stellte aber für sich genommen eine rechtspolitische und keine rechtsdogmatische Aussage dar.
Also beispielsweise das Strafbefehlsverfahren, die Einstellung nach §§ 153, 153a sowie die Diversion im Jugendstrafverfahren.
Der Titel eines Beitrags von Schünemann aus dem Jahre 2004 (StraFo 2004, 293), in dem es u. a. auch um die Urteilsabsprache geht, lautet: „Ein Linsengericht zum Tausch für den Strafprozess von 1877?“.
Hieran haben auch die neu eingeführten §§ 160b, 202a, 212 und 257b nichts geändert; vgl. in Teil 2 Rn. 90 ff.
Harms FS Nehm S. 288 ff., 289.
Dass die Verteidiger von allen Beteiligten in der schwierigsten Lage sind, wird nicht immer erkannt; erfreulich deswegen der Hinweis von Fischer NStZ 2007, 433 in diesem Kontext auf die Notwendigkeit der Wahrung der Mandanteninteressen.
Zurückhaltender Satzger Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, Teil H, Kap. 3 Rn. 66 ff.; Ignor/Matt/Weider in MAH Strafverteidigung, Teil C, § 13 Rn. 86 unter Berufung u. a. auf Schünemann: Den Amtsträgern seien (Haupt-)Taten nach §§ 339 oder 258a StGB kaum einmal nachzuweisen. Bei den im Text geschilderten Beispielen dürfte das nicht so klar sein.
Vgl. insbesondere Teil 3 (Rn. 417 ff.).
Um nicht zu sagen: technokratische.
Das klingt bei manchen Autoren in der Tat an, so z.B bei Fischer NStZ 2007, 433 oder Weßlau StV 2006, 357 ff., 358 f. Bedenken kommen demgegenüber bezeichnenderweise in vielen Veröffentlichungen von Strafverteidigern zum Ausdruck, vgl. z. B. Gatzweiler NJW 1989, 1903 ff.; ders. StraFo 2001, 187 ff.; Weider StraFo 2003, 406 ff., 409, letzterer u. a. mit dem völlig zutreffenden Hinweis, dass für Verteidiger eine große Versuchung etwa darin bestehen kann, Absprachen durchzuführen, um die eigenen Nerven und Ressourcen zu schonen; vgl. zur Verantwortung des Verteidigers auch Widmaier StV 1986, 357 ff.
Zutreffend Meyer-Goßner StraFo 2001, 73. Das sachgerechte Verhalten im konkreten Fall wird im Schrifttum relativ selten näher eigens thematisiert, wirft aber zahlreiche Probleme und Zweifelsfragen auf, auf die im Text noch vielfach zurückzukommen sein wird.
Die Alternative zur aus Sicht des Verteidigers unvertretbaren Absprache besteht nicht darin, zum Schaden des Mandanten entsprechende Angebote auszuschlagen, sondern den Mandanten umfassend zu informieren und, strebt dieser den „Deal“ trotzdem an, das Mandatsverhältnis zu beenden sowie ihm ggf. einen weniger skrupulösen Kollegen zu empfehlen. Das wird merkwürdigerweise oft übersehen. Möglicherweise