Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
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b) Rechtliche Systematisierung von Organisationsfehlern
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Wie bereits eingehend systematisch dargestellt[15], bildet das fundamentale Tatbestandsmerkmal der Fahrlässigkeitsdelikte § 222 und § 229 StGB die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten. Diese Sorgfaltspflichtverletzung kann sich als Behandlungsfehler,[16] z.B. als individuelle ärztliche Fehlentscheidung in einer konkreten Behandlungssituation, darstellen, oder als Behandlungsfehler, der spezifisch aus einem zugrunde liegenden Organisationsdefizit resultiert. Infolgedessen überrascht nicht, dass angesichts der „Vielfältigkeit“ von Fallkonstellationen auch Organisationsdefizite im eigentlichen Sinne als „generalisierte Qualitätsmängel“ zur Typisierung von „Behandlungsfehlern“ herangezogen[17] bzw. als „Behandlungsfehler im weiteren Sinn“[18] charakterisiert werden. Gleichwohl können auch Organisationsdefizite als solche zu Strafbarkeit und Haftung führen, wenn ihnen eine Sorgfaltspflichtverletzung inhärent ist und daraus kausal ein tatbestandlicher Erfolg (Schädigung oder Tod eines Patienten) resultiert.
Davon zu unterscheiden ist der letztlich rein phänomenologische Aspekt, dass (z.B.) Behandlungsfehler im Sinne fehlerhafter Behandlungsentscheidungen eventuell unmittelbar schädigende Konsequenz für den Patienten haben, während Organisationsmängel praktisch regelmäßig überhaupt erst offensichtlich werden, wenn aus ihnen ein fehlerhaftes Behandlungsagieren im Einzelfall resultiert (z.B. der für den Bereitschaftsdienst auf der Intensivstation noch nicht hinreichend qualifizierte Weiterbildungsassistent stellt eine falsche Indikation). In dieser mangelnden Offenkundigkeit bzw. oftmals nur mittelbar nachteiligen Effektuierung von Organisationsdefiziten liegt gerade deren erhebliches (medizinisches und juristisches) Gefahrenpotential. Exakt unter dem Aspekt dergestalt „versteckter Risiken“ ist unabdingbar, in Kliniken und Arztpraxen ein Risk Management[19] zu etablieren, wie es initial vermittels des Patientenrechtegesetzes mit Inkrafttreten am 26. Februar 2013 in § 137 Abs. 1d SGB V a. F. i.V.m. § 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V explizit normativ vorgegeben wurde. Insofern ist aktuell auf die „Qualitätsmanagement-Richtlinie“ des G-BA gem. § 92 i.V.m. § 136 Abs. 1 SGB V im Hinblick auf die Verpflichtung der Leistungserbringer zum einrichtungsinternen Qualitätsmanagement gem. § 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V hinzuweisen (in Kraft getreten am 16.11.2016).
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Die Korrelation von Behandlungsfehler und Organisationsmangel mögen folgende Beispiele verdeutlichen:
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• | Sieht ein Anästhesist im Rahmen ambulanter Eingriffsdurchführung im niedergelassenen Bereich generell davon ab, die Patienten postoperativ einer personell und apparativ gesicherten postnarkotischen Aufwachphase zu unterziehen, stellt sich dies im Einzelfall als behandlungsfehlerhaft dar. |
• | Gleiches gilt im Ausgangspunkt für den Krankenhausanästhesisten, der Narkosen ohne anschließend gehörig gestaltete Aufwachphase durchführt, weil HNO-Eingriffe bei Kleinkindern im Klinikum organisatorisch „vorgegeben“ in einem Operationssaal ohne zugehörigen Aufwachraum erfolgen. Im Wissen darum versucht der die Narkose durchführende Anästhesist, die Kinder nach OP-Ende möglichst lange unter seiner Kontrolle im OP-Saal zu halten. Bei erforderlichem Patientenwechsel unterliegen die Kinder bis zur Verlegung auf die Station der Kontrolle ihrer anwesenden Eltern im OP-Vorraum bzw. des in Wechselvorgänge involvierten Personals. Die Eltern werden darauf hingewiesen, notfalls eine Klingel zu betätigen, damit fachkundige Hilfe aus dem angrenzenden OP-Saal hinzutreten könne. Unter diesem Kontrollregime erlitt ein Kind aufgrund Sauerstoffmangelsituation eine schwerste Hirnschädigung, weshalb die Staatsanwaltschaft sowohl gegen den narkoseführenden Arzt als auch gegen den Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, der eine entsprechende Eingriffsdurchführung „zugelassen“ hatte, Anklage zum Landgericht erhob. Bezüglich beider wurde das Verfahren – ohne Hauptverhandlung – gem. § 153a StPO unter Auflage zur Zahlung empfindlicher Geldbeträge eingestellt.[20] Der Anästhesist berief sich darauf, er habe die Narkose trotz Widerspruchs „auf Weisung“ des Chefarztes ausführen „müssen“. Der Chefarzt machte geltend, bei der Leitung des Klinikums im Hinblick auf die unzulängliche OP-Organisation remonstriert zu haben. Von dort aus sei unter Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel keine Abhilfe geschaffen worden. |
Auf der Grundlage der vorangehenden Ausführungen sind nachfolgend weitere Differenzierungen vorzunehmen.
aa) Organisationsverschulden versus Übernahmeverschulden
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Die Verletzung der Sorgfaltspflicht zu adäquater Organisation durch den insoweit Zuständigen, beispielsweise einen Chefarzt betreffend sachgerechte Behandlungsabläufe in seiner Abteilung, wird üblicherweise kurz als „Organisationsverschulden“ bezeichnet. Ein solches mag darin liegen, dass von vornherein keine adäquaten Organisationsstrukturen geschaffen werden, defizitäre Organisationsstrukturen mangels Kontrolle unentdeckt bleiben oder auf erkannte Defizite schlicht nicht reagiert wird. Resultiert daraus kausal ein tatbestandlicher Erfolg im Sinne der Körperverletzung bzw. Tötung eines Patienten, ist der einschlägige Straftatbestand grundsätzlich erfüllt.
Prima facie könnte anderes gelten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Rahmen insuffizienter Organisation tätig werden und denen infolgedessen fehlerhafte Behandlungsentscheidungen unterlaufen. Allerdings wird beispielsweise dem zur Ausübung eines Bereitschaftsdienstes noch ungenügend qualifizierten Weiterbildungsassistenten grundsätzlich überhaupt nicht angelastet, etwa eine Befundauffälligkeit übersehen bzw. eine falsche Indikation gestellt zu haben. Vielmehr liegt der Vorwurf ihm gegenüber darin, dass er verkannt hat, in einer Behandlungssituation „überfordert“ gewesen zu sein. Er hätte erkennen können und müssen, im Eigentlichen nicht befähigt zu sein, die richtige Behandlungsentscheidung treffen zu können. Infolgedessen hätte er a priori gegen seine Diensteinteilung (für den Bereitschaftsdienst oder etwa auch zur selbständigen Durchführung eines operativen Eingriffs) remonstrieren oder in der konkreten Behandlungssituation den Hintergrunddienst aktivieren müssen. So hat im o. a. Fall eines fehlenden Aufwachraums zur postoperativen Überwachung der narkoseführende Arzt diese Unzulänglichkeit klar erkannt und sich gleichwohl auf eine Narkosedurchführung „eingelassen“. Genau darin liegt ein „Übernahmeverschulden“,[21] welches mit dem zugrundeliegenden Organisationsverschulden korrespondiert.
Entsprechendes gilt für den in den Fall involvierten Chefarzt der anästhesiologischen Abteilung, der – als „Mitarbeiter“ seines Dienstherrn bzw. der Klinikleitung – die Ausführung von Narkosen ohne adäquate postnarkotische Überwachung letztlich „zugelassen“ hat.
bb) Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Leitungszuständigen
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„Wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes (fahrlässige Körperverletzung,