Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
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![Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171415.jpg)
Im Rahmen adäquaten Risk Managements gehören somit alle Aspekte der Struktur- und Prozessqualität von Gesundheitseinrichtungen – sei es in der Klinik oder in der Arztpraxis[58] – auf den Prüfstand, um den gegebenen Ist-Zustand mit dem anzustrebenden Soll-Zustand abzugleichen, damit auf dieser Grundlage Schwachstellen, d.h. Risiken, erkannt und behoben werden können, um auch dergestalt möglichst positive Behandlungsqualität zu gewährleisten.
2. Insbesondere: Organisationsfehler im Rahmen der Arbeitsteilung
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Strafrechtlich stellt sich das Problem, ob die tatsächliche Arbeitsteilung auch eine rechtliche Verantwortungsteilung zur Folge hat oder aber eine „Verantwortungsvervielfachung“ durch Aufsichts-, Kontroll- und Organisationspflichten in bestimmtem Umfang Platz greift.[59] Mit der wachsenden Zahl der im Einzelfall in die Betreuung des Patienten eingeschalteten Personen nimmt das Fehlerrisiko zu. Da es jedoch unerträglich wäre, wenn jeder für jeden Sorgfaltspflichtverstoß des anderen, für jede Zuständigkeits- oder Informationslücke strafrechtlich einzustehen hätte, muss die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze (die Behandlung des Patienten) so beschränkt werden, dass ihre Übernahme individuell noch zumutbar, gleichzeitig aber das Sicherheitsbedürfnis und der Schutz des Patienten gewahrt bleiben. Diese – notwendige – Haftungsbegrenzung wird – dies ist heute in Rechtswissenschaft und Medizin allgemein anerkannt – in sinnvoller Weise durch zwei insbesondere von Weissauer begründete und in die Praxis umgesetzte Kriterien erreicht: zum einen durch das Prinzip der strikten Arbeitsteilung und zum anderen durch den Vertrauensgrundsatz[60], der in der „Freiheit zum Handeln“ wurzelt, die im „Verschuldensprinzip des geltenden Rechts“ ihren Ausdruck findet.[61]
a) Teilbarkeit der Verantwortungsbereiche: Prinzip der Einzel- und Eigenverantwortlichkeit
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Bis Ende der 50er-/Anfang der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts galt die „klassische“, in der Tradition verwurzelte Auffassung von der Unteilbarkeit ärztlicher Verantwortung für den Patienten. Dementsprechend kam Engisch – bezogen auf das Verhältnis Chirurgie/Anästhesie – zu dem Ergebnis, „ungeachtet der Berechtigung, sich in gewissen Grenzen auf den Narkosefacharzt und sein einwandfreies Funktionieren zu verlassen“, müsse „im Interesse des dem Operateur sich anvertrauenden Patienten die allgemeine Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit des Chirurgen vor wie während wie nach der Operation bei Bestand“ bleiben und „suprema lex“ sein.[62] Die Verantwortung des Operateurs, heißt es an anderer Stelle, sei
„nach der heute herrschenden rechtlichen Auffassung immer noch eine so allumfassende, dass sie ungeachtet der Geltung des Vertrauensgrundsatzes niemals in irgendeinem Sektor schlechthin entfällt, denn „Teilung“ der Verantwortung würde bedeuten, dass es einen Bereich gibt, um den sich der Chirurg unter gar keinen Umständen zu kümmern hätte, in dem der Anästhesist ausschließlich die Verantwortung trägt. Einen solchen Bereich gibt es aber nicht“. [63]
Judikatur und rechtswissenschaftliches Schrifttum haben sich jedoch – angeführt durch ein Gegengutachten von Weissauer aus dem Jahre 1961 – in eine andere Richtung entwickelt. An die Stelle der Unteilbarkeit der ärztlichen Verantwortung ist „in der modernen Organisationsform eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens von wissenschaftlich ausgebildeten Vollspezialisten“[64] und (oder) qualifiziertem ärztlichen und (oder) nichtärztlichen Personal die Teilbarkeit der Verantwortungsbereiche als tragender Grundgedanke getreten. Es gilt das Prinzip der Einzel- und „Eigenverantwortlichkeit jedes der Spezialisten“[65] für alle ihnen jeweils zu eigenständiger Erledigung übertragenen Aufgaben und Tätigkeiten. Mit dem Übergang der fachlichen Zuständigkeit, für die das Weiterbildungsrecht die Grundlage bildet, geht auch die rechtliche Verantwortung über. Die ärztliche Zusammenarbeit ist, wie Weissauer treffend formuliert,[66] ein „Teamwork“, sei es (horizontal) Gleichberechtigter oder (vertikal) in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zueinander Stehender. Dessen Grundlage ist einerseits die medizinisch exakt umrissene und nach „Maßgabe von Gebietsbezeichnungen, berufsständischen Vereinbarungen und der konkreten Rollenverteilung“[67] erfolgte Aufgabenzuweisung, andererseits die entsprechende Aufteilung der strafrechtlichen Verantwortung für den jeweiligen Fachbereich bzw. die dem Einzelnen aufgrund seiner Ausbildung oder Funktion zugewiesene Tätigkeit. Dies entspricht dem Grundsatz, dass strafrechtliche Schuld höchstpersönliches, individuelles, eigenes Verschulden voraussetzt und im Rahmen arbeitsteilig organisierter Bereiche daher geprüft werden muss, wer für welchen Vorgang oder welche Maßnahme zu welchem Zeitpunkt zuständig und verantwortlich war. „Jeder Arzt hat grundsätzlich nur den Facharztstandard desjenigen medizinischen Fachbereichs zu gewährleisten, in den die von ihm übernommene Behandlung fällt“.[68] Strafrechtliches Einstehenmüssen für fremdes Verschulden ist unserer Rechtsordnung fremd.
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Ein instruktives Beispiel hierfür ist ein vom OLG Zweibrücken[69] entschiedener Fall:
Im Rahmen eines nicht planmäßigen Geburtsverlaufs scheiterte die zunächst durchgeführte Zangengeburt infolge eines (relativen) Missverhältnisses zwischen Beckenausgang und kindlichem Kopf, so dass ein gewisser Zeitdruck entstand und eine Notschnittentbindung im Operationssaal notwendig wurde.
Als der Gynäkologe den ersten Operationsschnitt setzte, stellte er sogleich fest, dass die Wunde nicht blutete, was auf einen Zusammenbruch des Kreislaufs hindeutete. Auch der Anästhesist bemerkte jetzt, dass die Patientin zyanotisch geworden war, so dass er sie extubierte und über die Maske mit reinem Sauerstoff beatmete. Dennoch gelang es ihm nicht, die Vitalfunktionen der Patientin wiederherzustellen.