Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
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![Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171415.jpg)
Der Verantwortungsbereich der Anästhesistin in der postoperativen Phase scheint uns hier nicht richtig bestimmt. Denn ob der Anästhesist auf der HNO-Station „Anordnungen“ treffen darf, ist fraglich, und außerdem lag der Notfallausweis des Patienten auf der Station vor, so dass dessen Krankheit den dort tätigen Ärzten und dem Pflegepersonal bekannt war.[96]
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(d) Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass gerade die unmittelbare postoperative und speziell postanästhesiologische Phase besonders haftungsträchtig sind. Auch alle bislang durchgeführten Untersuchungen haben übereinstimmend ergeben, dass in diesem kritischen Zeitraum ein erhöhtes Zwischenfallrisiko mit schwerwiegenden gesundheitlichen, oftmals auch tödlichen Folgen besteht, wenn es nicht rasch entdeckt und sachgemäß bekämpft wird. „Für den chirurgischen Patienten ist zu keiner Zeit seines Klinikaufenthalts die Gefahr einer Hypoxie so groß“ wie in dem unmittelbar postoperativen Stadium, betont auch die Rechtsprechung seit langem.[97] Deshalb muss gegen Überwachungsmängel, unzureichende Betreuung und Kontrolle des Patienten, Nachlässigkeiten des eingesetzten ärztlichen und nichtärztlichen Pflegepersonals, die zu frühe Verlegung vom Aufwachraum oder von der Intensiveinheit auf die Normalstation und gegen Zuständigkeitslücken Vorsorge getroffen werden.[98] Da der Patient in den ersten Stunden nach der Narkose einer kontinuierlichen Überwachung bedarf, muss nicht nur eine speziell unterwiesene Pflegekraft, sondern auch der für die Anästhesie verantwortliche Arzt jederzeit sofort einsatzbereit zur Verfügung stehen.[99] Konkret: Der Anästhesist bleibt auch nach der Extubation des Patienten verantwortlich, wenn er die Weiterbehandlung (infolge einer Atemdepression) übernommen hat oder „solange noch weiter die Gefahr unerwünschter Nachwirkungen der Narkose besteht“.[100] Er muss deshalb „etwa erforderliche ärztliche Kontrollen und die Beobachtung des Patienten vornehmen oder sicherstellen“ und „den in der chirurgischen Abteilung tätigen Arzt informieren“.[101] Keinesfalls darf der Anästhesist im Interesse des regulären Ablaufs des Operationsprogramms den von einer Atemstörung betroffenen Patienten verlassen, vielmehr ist dessen ständige Überwachung durch den erfahrenen und zuständigen Narkosearzt persönlich ein unabdingbares Gebot.[102]
Dies bedeutet, dass sich der Anästhesist u.U. ständig im Aufwachraum aufhalten muss, um notfalls sofort eingreifen zu können.[103] Die Verlegung eines Patienten auf die Krankenstation setzt eine „ausdrückliche ärztliche Anordnung“ voraus und darf nur geschehen, wenn sich der für den Aufwachraum zuständige Anästhesist „durch persönlichen Augenschein vom unbedenklichen Zustand des Patienten überzeugt hat“.[104] Hat ein Krankenhaus keinen Aufwachraum, muss der Patient für zumindest eine Stunde auf der Station eine Sitzwache erhalten, wodurch das Auftreten eines Zwischenfalls zwar nicht oder nicht immer verhindert, aber doch sofort bemerkt und dadurch sofort behandelt werden kann.[105] Ist ein Patient aufgrund seiner Krankengeschichte akut gefährdet und kommt es auf das rechtzeitige Erkennen von Symptomen an, müssen die Personen, die ihn überwachen, die dazu erforderliche fachliche Qualifikation haben. „Es darf jedenfalls nicht geschehen, dass – noch dazu in einer Universitätsklinik – ein Patient, bei dem mit einem lebensbedrohenden Zustand gerechnet werden muss, in eine Situation gelangt, in der ein solcher Zustand nach der Ausstattung dieser Station nicht (rechtzeitig) erkannt werden kann“.[106]
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(e) Für die ärztliche Praxis bedeuten diese Grundsätze, dass die Aufgaben- bzw. Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche zwischen den leitenden Ärzten im Krankenhaus im Allgemeinen und, soweit erforderlich, im konkreten Fall durch klare Absprachen, und zwar aus Beweisgründen schriftlich, festgelegt werden sollten, damit die jeweiligen Sorgfaltspflichten bestimmbar und für den Einzelnen voraussehbar sind. Das gilt z.B. auch für die Periduralanästhesie unter der Geburt. In der Frage, wer hier wann aufklären sollte, bedarf es einer klaren Regelung.[107] Dies gilt auch für die Aufklärung vor Bluttransfusionen[108]. Dadurch können zum einen unnötige Kompetenzkonflikte, zum anderen aber auch Lücken in der Patientenbetreuung und damit erhebliche Strafbarkeitsrisiken unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Körperverletzung oder fahrlässigen Tötung vermieden werden.
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Wie wichtig insoweit exakte, allgemeine oder individuelle Abmachungen zwischen den beteiligten Ärzten oder Anordnungen des Krankenhausträgers sind, zeigt eine Entscheidung des LG Gießen[109]. Hier ging es um die Frage, ob der Anästhesist für den Tod eines 5-jährigen Kindes verantwortlich war, das nach einer Mandeloperation auf der Station in erheblichem Umfang nachgeblutet und dabei nach Ansicht des Sachverständigen bereits so viel Blut verloren hatte, dass auch eine Bluttransfusion etwa 2 Stunden später, als das Kind wieder in den Operationssaal kam, dessen Tod nicht mehr hätte verhindern können.
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Schöffengericht hatten fälschlicherweise keinerlei Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen des HNO-Arztes und des Anästhesisten vorgenommen, sondern gingen ohne nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach davon aus, dass der Anästhesist – trotz Fehlens einer konkreten Absprache oder Anordnung – für die Überwachung des Kindes auf der HNO-Station verantwortlich sei. Das Landgericht Gießen hat erfreulicherweise in der Berufungsinstanz die Unhaltbarkeit dieser Auffassung erkannt und den Anästhesisten freigesprochen, da das Kind sich nach dem Eingriff auf der Station im Aufgaben- und Verantwortungsbereich des – nicht einmal angeklagten(!) – HNO-Arztes befand und dieser daher für die postoperative Überwachung des Kindes Sorge zu tragen hatte.
Derartige Fälle mit zu Unrecht beschuldigten Anästhesisten sind keine Seltenheit. Wenn jedoch der Zustand des Patienten eine lückenlose Überwachung erforderlich macht, wegen des fehlenden Aufwachraums der Patient aber sofort auf die (z.B. chirurgische) Station kommt, gelangt er in die Obhut und damit Verantwortung der zuständigen Ärzte und Pflegekräfte der bettenführenden Abteilung. Insoweit fehlt dem Anästhesisten die Anordnungskompetenz auf der Station, es sei denn, dass entsprechende Absprachen zwischen den Abteilungen getroffen worden sind.[110]
In diesen Zusammenhang gehört auch eine Entscheidung des LG Aurich[111]. Nach einer Ohrmuschel-Korrekturoperation kam es bei einem 3 Jahre alten Kind postoperativ in einem Krankenhaus ohne Aufwachraum zu einem tödlichen Zwischenfall, bei dem sich eine schleichende Ateminsuffizienz entwickelte, die von dem mit der Überwachung beauftragten Pflegepersonal nicht erkannt wurde. Das LG verneinte im Gegensatz zum Amtsgericht ein Überwachungs- und Organisationsverschulden des Anästhesisten.
„Dies folgt nicht etwa daraus, dass Komplikationen, die sich aus der Operation selbst ergeben, in die Verantwortung des HNO-Arztes fallen, denn die Störung bei dem Patienten war narkosebedingt. Die Zuständigkeitsverteilung in der postoperativen Phase ergibt sich im […] Hospital aus den räumlichen Umständen und den Absprachen zwischen