Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer

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Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Praxis der Strafverteidigung

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Der Anästhesist darf seine Mitwirkung nur dann verweigern, wenn das Narkoserisiko offensichtlich höher als das Operationsrisiko einzuschätzen oder aber der Operateur, z.B. infolge eines epileptischen Anfalls, erkennbar seinen Aufgaben nicht gewachsen ist[87]. Der Anästhesist, der diese „Kompetenzkompetenz“ des Operateurs – von solchen Ausnahmefällen abgesehen – nicht beachtet und seine Mitwirkung bei der Operation verweigert, setzt sich nicht nur der Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen aus, sondern auch seine berufliche Existenz aufs Spiel, da die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses in einem derartigen Fall für rechtens befunden wird.[88]

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       Andererseits aber muss der Anästhesist nötigenfalls alles in seiner Macht Stehende tun, um den Operateur zum Abbruch einer keineswegs dringlichen Operation (Entfernung der Polypen bei einem 11-jährigen Kind) zu bewegen und seinen Standpunkt auch durchzusetzen, wenn sich z.B. in der ersten Phase des Eingriffs zweimal eine äußerst bedrohliche Verlegung des Tubus ereignet, die beide Male nur durch sofortige Extubation beseitigt werden konnte. Hier darf die Operation nicht fortgesetzt, vielmehr muss nach der Ursache der Beatmungschwierigkeiten gesucht werden, da dann der Narkosezwischenfall bei der dritten (!) Intubation mit bleibenden schweren cerebralen Funktionsstörungen vermieden worden wäre.

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       Eine 38-jährige Patientin wurde nach einer fast 7 Stunden dauernden Operation (Reithosenplastik) in ansprechbarem Zustand auf die dem Chirurgen unterstehende Intensivstation gebracht, auf der ein Assistenzarzt und eine Krankenschwester den Nachtdienst versahen. In der Nacht erlitt die Patientin durch starke Nachblutungen einen erheblichen Blutverlust, der vom Nachtdienstpersonal nicht bemerkt und ausgeglichen wurde, so dass sie am folgenden Tag morgens nach einem erfolglosen Rettungsversuch infolge Herz-Kreislaufversagens starb.

      Die Anästhesistin war daher im vorliegenden Fall freizusprechen, was das Landgericht in I. Instanz leider verkannt hatte, nach Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils durch den BGH dann jedoch rechtskräftig aussprach.

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      Für den angeklagten Gynäkologen kam es auf diese Frage nicht an: „Weder nach der Berufsregel noch nach der hausinternen Regelung war er für die Überwachung der Patientin nach Beendigung der Operation verantwortlich, so dass er mit Recht freigesprochen wurde.

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       Der Patient litt an einer Insuffizienz der Nebennierenrinde (sog. Morbus Addison). Er nahm auf ärztliche Verordnung seit 1982 zur Substituierung der fehlenden Hormone u.a. morgens und abends ein Cortisol-Präparat ein. Wegen wiederholten Nasenblutens wurde er als Kassenpatient in der HNO-Klinik stationär aufgenommen. Er legte dort seinen Notfallausweis vor, in dem sein Leiden bezeichnet und vermerkt war, dass im Falle einer Erkrankung oder bei einem Unfall der Corticoidmangel auszugleichen sei.

       Als nach vorübergehender Besserung erneut stärkeres Nasenbluten auftrat, legten zwei HNO-Ärzte am Abend eine sog. Bellocq-Tamponade, bei der unter Vollnarkose der Durchgang zwischen Nasen- und Rachenraum verschlossen wurde. Die Narkose, die eine Anästhesistin vornahm, dauerte 75 Minuten, der Eingriff selbst war nach ca. 35 Minuten beendet. Nach der Operation kam der Patient wieder auf die Station, wo er einige Stunden später von einem Pfleger ohne Atmung und Puls aufgefunden wurde. Die Reanimationsbemühungen der Ärzte blieben erfolglos.

       Weder während noch nach der Operation erhielt der Patient Cortisol-Präparate, so dass sich die Frage stellte, welchem der Ärzte, den Operateuren (HNO-Ärzten) oder der Anästhesistin, dieser Behandlungsfehler zuzurechnen war.

      Das OLG hatte alle drei Ärzte sowie den Krankenhausträger zu Schadensersatz verurteilt. Der BGH hingegen hob das Urteil gegen die HNO-Ärzte auf und verwies die Sache an das OLG zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung zurück. Im Übrigen beließ er es bei der Verurteilung der Anästhesistin und des Krankenhausträgers.

      In den Urteilsgründen heißt es zur Abgrenzung der Verantwortung von Operateur und Anästhesist in der prä-, intra- und postoperativen Phase:

„Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist in der präoperativen Phase der Anästhesist für die Vorbereitung der Narkose zuständig. Seine Sache ist es, das geeignete Betäubungsmittel auszuwählen und den Patienten durch sorgfältige Prämedikation hierauf einzustellen. Dazu gehört auch, dem Patienten diejenigen Medikamente zu verabreichen, die ihm aufgrund seines Gesundheitszustands schon zu diesem Zeitpunkt zur Aufrechterhaltung seiner vitalen Funktionen in der Narkose gegeben werden müssen. Präoperativ waren deshalb […] allein die Anästhesistin und nicht die (HNO-Ärzte) für die Substituierung der fehlenden NNB-Hormone bei dem Patienten verantwortlich“.
„In der intraoperativen Phase, also während der Dauer des chirurgischen Eingriffs selbst, waren sowohl die Operateure als auch die […] Anästhesistin mit der Behandlung […] befasst. Auch für diesen Zeitraum gilt der […] Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung, und zwar dahin, dass der Chirurg für den operativen Eingriff mit den sich daraus ergebenden Risiken, der Anästhesist für die

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