Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
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(f) Nach denselben Grundsätzen bejahte der BGH[112] die Verantwortung des Operateurs, der einen vom Anästhesisten zur Narkose gelegten zentralvenösen Zugang in Gestalt einer Verweilkanüle nach der Operation zur Infundierung von Medikamenten weiterverwandte, dabei aber nicht genügend fixierte bzw. überwachte, so dass die Patientin – ein 4 Monate altes Mädchen – an einem Entblutungsschock starb. Wörtlich heißt es:
„Zwar ist die Kanüle in der Operation von dem Anästhesisten gelegt worden, um die Narkose der Patientin zu ermöglichen; die Entscheidung zu dieser Maßnahme, ihre Durchführung und eine gefahrenvorbeugende Kontrolle in der operativen und in der postnarkotischen Phase bis zur Wiedererlangung der Schutzreflexe der Patientin und bis zu ihrer Verlegung in die Krankenstation waren dessen Sache, nicht die Aufgabe des Urologen. Hier hat sich der Zwischenfall aber zu einem Zeitpunkt ereignet, zu dem die Patientin schon 2 Tage auf der Kinderchirurgischen Station lag, die Narkose und ihre Nachwirkungen längst nicht mehr in Frage standen und es nunmehr nur noch um die therapeutische Nachbehandlung des operativen Eingriffs ging […] Dieser Behandlungsabschnitt gehört grundsätzlich nicht mehr zum Verantwortungsbereich der Anästhesie, sondern zur fachlichen Zuständigkeit des hier die Nachbehandlung weiterführenden Operateurs. Die Entscheidung über das Belassen der Kanüle zur Applikation von Medikamenten ebenso wie die Anwendung von Maßnahmen zur Sicherung vor Komplikationen, die mit der Weiterverwendung der Kanüle verbunden sein könnten, waren – soweit diese Entscheidungen von einem Arzt zu treffen waren – in dieser Phase“ dem Urologen zugewachsen. [113]
Ein weiteres instruktives Beispiel für die postoperative Kompetenzverteilung bietet eine Entscheidung des LG Karlsruhe[114]:
Nach Entfernung eines gutartigen Tumors an der Bauchspeicheldrüse in Allgemeinnarkose, kombiniert mit einer Katheterperiduralanästhesie (sog. Epiduralanästhesie), wurde der Patient auf die Chirurgische Station (zurück-)verlegt. Dort entwickelte sich im Bereich der Kathetereinstichstelle über Tage ein Abszess und eine Querschnittslähmung, die trotz der Klagen des Patienten über anhaltende Rückenschmerzen nicht rechtzeitig erkannt wurden. Erst am 10. postoperativen Tag stellte man die Diagnose „Querschnittslähmung“, die jedoch auch durch eine neurochirurgische Operation nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, so dass der Patient heute an den Rollstuhl gefesselt ist.
Auch in diesem Falle ist nicht der Anästhesist, der durch die Periduralanästhesie den Abszess verursacht hatte, für die eingetretene Körperverletzung verantwortlich, vielmehr war der Patient bereits auf die Chirurgische Station zurückverlegt, für die die dort tätigen Chirurgen die Verantwortung tragen. Das Landgericht Karlsruhe wertete die unterbliebene Hinzuziehung der Anästhesisten durch die Chirurgen deshalb als (groben) Behandlungsfehler. Eine Haftung des zuständigen Anästhesisten käme jedoch dann in Betracht, wenn er am 2. postoperativen Tag über die Rückenschmerzen des Patienten informiert wurde, den Periduralkatheter entfernte und dabei einen auffälligen Befund (Rötung an der Einstichstelle) bemerkte, darüber aber seine chirurgischen Kollegen nicht informiert hätte.
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(g) Um die Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen Gynäkologen und Anästhesisten für den Tod einer Patientin nach einer Kaiserschnittoperation ging es in der (zivilrechtlichen) Entscheidung BGH NJW 1987, 2293[115]. Dort heißt es unter Bestätigung der oben dargelegten Grundsätze:
„Für die unterlassenen diagnostischen Maßnahmen während der postoperativen Phase der Behandlung der Patientin nach der Kaiserschnittoperation ist der Zweitbeklagte nicht verantwortlich. Er ist nur als Anästhesist tätig geworden, und nur insoweit ist er an der Behandlung der Patientin beteiligt gewesen. Die Anästhesie bei der Kaiserschnittentbindung hatte nicht er geführt, so dass ihn auch deswegen keine nachwirkenden Pflichten bei der postoperativen Beobachtung und Weiterbehandlung der Patientin trafen. Es war nach allem nicht seine Aufgabe, sich an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu beteiligen, die nicht mit der Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie bei der Wundrevision zusammenhingen. Vielmehr war die Behandlung der Patientin im Übrigen nach der Arbeitsteilung zwischen dem Gynäkologen und ihm als Anästhesisten allein die Aufgabe des Gynäkologen.
Es begründet aber keine Haftung für Unterlassungen bei der Behandlung der Patientin, dass er in seinem anästhesiologischen Aufgabenbereich die Befunde nicht erhoben hat. Er war für die Therapie im Übrigen nicht zuständig und hatte in sie allenfalls einzugreifen, wenn er über zusätzliches und besseres Wissen verfügte oder wenn er offensichtliche ärztliche Versäumnisse erkannte, auf die er dann seine Kollegen hinzuweisen hatte.“
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(h) Von besonderer Haftungsrelevanz sind alle „Schnittstellen“ im Krankenhaus und deshalb unbedingt regelungsbedürftig. Subsidiär wird in der Judikatur auf die interdisziplinären Absprachen zwischen den beteiligten Fachverbänden bzw. Fachgesellschaften, z.B. über die Lagerung des Patienten auf dem OP-Tisch, die Vornahme von Bluttransfusionen oder die postoperative Schmerztherapie zurückgegriffen[116]. Wurde der Patient entsprechend den Vorgaben des Operateurs vom Operationspfleger gelagert, haben Operateur und Anästhesist eine Kontrollpflicht[117]. Während die Durchführung der Lagerung zum Verantwortungsbereich des Operateurs gehört, ist der Anästhesist für die Lagerung der Extremitäten verantwortlich, die er für die Narkoseüberwachung sowie für die Applikation von Anästhetika und Infusionen benötigt.[118] Für die postoperative Lagerung und Umlagerung bis zur Beendigung der postanästhesiologischen Überwachung liegt die Verantwortung beim Anästhesisten, soweit nicht besondere Umstände die Mitwirkung des Operateurs erfordern. Hinsichtlich der postoperativen Schmerztherapie gilt: „Zuständig ist im Aufwachraum und auf interdisziplinären Intensiveinheiten unter seiner Leitung der Anästhesist, auf Bettenstationen und fachgebundenen Intensivstationen dagegen der Operateur.[119]
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(i) Weitere Beispiele zur horizontalen Arbeitsteilung:
• | zwischen Chirurg und Radiologen: Beruht die fehlerhafte Indikationsstellung für eine Operation auf einer unzutreffenden Befundung des Röntgenbildes durch den Radiologen, so haftet der Chirurg nicht.[120] Der Orthopäde muss die MRT-Auswertung des Radiologen nicht überprüfen.[121] Handelt es sich jedoch um einen schwerwiegenden, gefährlichen Eingriff und ist die zusätzliche Überprüfung „von Zeit und Schwierigkeitsgrad her dem Operateur zumutbar“, muss der Chirurg die Gegenkontrolle von Röntgenaufnahme, Computer- oder Kernspintomogrammen und anderen technischen Aufzeichnungen vornehmen[122]. Den Radiologen trifft hingegen keine Pflicht zur Überprüfung der Indikation, wenn ihm ein Patient zur Hirnangiographie[123] oder zum Darmröntgen[124] überwiesen wird; |
• | zwischen Neurologie und Neurochirurgie;[125] |
• | zwischen Gynäkologen und Pathologen;[126] |
• | zwischen Neurologie und Orthopädie;[127] |