Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
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![Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171415.jpg)
c) Systemische Aspekte adäquater Organisation
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Dem Arzthaftungsrecht ist die Kontrolle inhärent, ob „der Patient die von ihm zu beanspruchende medizinische Qualität auch erhalten hat“.[36] Ungeachtet divergierender ratio legis gilt entsprechendes zumindest im Effekt auch für die strafrechtliche Beurteilung konkreter ärztlicher Behandlungsmaßnahmen. Die vom Patienten „zu beanspruchende medizinische Qualität“ impliziert im Ergebnis eine Behandlung mit „Facharztqualität“.[37] Auf die Gewährleistung solcher Facharztqualität muss der gesamte komplexe Betrieb von Kliniken – gleiches gilt in kleinerem Maßstab für Arztpraxen – „in der Spitze“ bei der Behandlung des Patienten infrastrukturell ausgerichtet sein.[38] Dem entspricht im Übrigen auch die sozialrechtliche Anordnung von § 70 Abs. 1 S. 2 SGB V. Demnach muss die Versorgung der Versicherten „ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden“. Die dergestalt vorgegebene Qualität der Patientenbehandlung – mit dem Ziel möglichst positiver Ergebnisqualität – ist über die Schaffung und Entwicklung adäquater Struktur- und Prozessqualität abzusichern.
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So hat es mit der Erfüllung der primären Organisationspflicht eines Krankenhausträgers (bzw. auch Praxisbetreibers) zur zweckmäßigen Organisation der Klinik unter Einschluss einzelner Abteilungen und Bereiche nicht sein Bewenden. Vielmehr muss fortlaufend und routinemäßig nachvollzogen und sichergestellt werden, dass die gegebene Organisationsstruktur tatsächlich effektiv ist. Dies impliziert als sekundäre Organisationspflicht die „Kontrolle, ob die Erstanweisungen eingehalten werden, wirksam sind oder Verbesserungen vorgenommen werden müssen“.[39] Dabei gehört es sowohl zu den primären als auch zu den sekundären Organisationspflichten sicherzustellen, dass die tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie die sonstigen Medizinalpersonen in ihren Fachabteilungen und Funktionsbereichen die ihnen übertragenen Aufgaben fachlich einwandfrei erledigen, wozu gehört, dass sie strukturell vorgegeben in die Lage versetzt werden, diese Aufgaben lege artis erledigen zu können.
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Letzteres bildet gerade den Kern der Verpflichtung zu adäquater Organisation unter allen infrastrukturellen Aspekten für die Leitungszuständigen aller Ebenen und Bereiche (Krankenhausträger, z.B. Vorstand und Geschäftsführer; Chefärzte, Pflegedirektion, Laborleitung etc. und auch Praxisinhaber). Insoweit haben „das Wohl des Patienten und seine Sicherheit“[40] stets die Maxime zur Definition von Ausgangspunkt und Ziel aller organisatorischen Bemühungen zu bilden.[41] Dabei sind rechtlich keine Abstriche aus wirtschaftlichen Erwägungen und insbesondere wegen eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten erlaubt, denn es gilt eben, dass „das Wohl des Patienten und seine Sicherheit (Vorrang haben)“ und „nicht etwa eine bequemere“ – hinzuzufügen wäre: von wirtschaftlichen Erwägungen geleitete – „Organisation des Klinikdienstes“.[42] So können sich beispielsweise Krankenhausträger und Ärzte keinesfalls „darauf berufen …, ein Mangel an ausreichend ausgebildeten Fachärzten zwinge zum Einsatz auch relativ unerfahrener Assistenzärzte“.[43] So muss der Krankenhausträger beispielsweise „organisatorisch gewährleisten, dass er mit dem vorhandenen ärztlichen Personal seine Aufgaben auch erfüllen kann“, was in gleicher Weise (z.B.) die den Chefärzten der Abteilungen eines Krankenhauses obliegenden Organisations- und Überwachungspflichten berührt.[44]
Kann der Behandlungsbetrieb nicht nach diesen Maßgaben strukturiert und gestaltet werden, bedarf es notwendigerweise einer Einschränkung des Behandlungsprogramms soweit, bis es mit den vorhandenen Ressourcen sachgemäß bewältigt werden kann. „Illegale Praktiken“ und „Umimprovisationen“ sind keinesfalls zulässig.[45]
d) Risk Management als Instrument adäquaten Qualitätsmanagements
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Das „Wohl des Patienten“ im Sinne möglichst positiver Ergebnisqualität zur weitestgehenden Erhaltung bzw. Wiederherstellung seiner Gesundheit bildet das Ziel aller Behandlungsmaßnahmen. Dies erfordert „letztlich“ eine Behandlung nach den Regeln ärztlicher Kunst, d.h. in Ansehung der komplexen medizinischen Leistungsprozesse – nicht nur, aber vor allem in Kliniken – zur Zielerreichung ein adäquates Behandlungsmanagement. Selbstverständlich ist insofern zunächst die persönliche fachliche Qualifikation und Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften und sonstigen Medizinalpersonen gefordert. Darüber hinaus resultiert adäquates Behandlungsmanagement aus Maßnahmen zur Qualitätssicherung, wozu alle persönlichen und institutionellen Leistungserbringer im Gesundheitswesen gesetzlich verpflichtet sind (§ 135a Abs. 1 S. 1 SGB V). Darüber hinaus müssen die Leistungserbringer einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einführen und – im Sinne der o.a. Sekundärorganisation – weiterentwickeln (§ 135a Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Ein Instrument solchen Qualitätsmanagements ist sogenanntes Risk Management, dessen Etablierung nunmehr auch normativ vorgegeben ist (vgl. dazu auch die „Qualitätsmanagement-Richtlinie“ des G-BA, welche am 16.11.2016 in Kraft getreten ist; siehe dazu bereits Rn. 198).
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Risk Management hat zum Ziel, aktiv nach Schadensursachen und Risikofeldern in medizinischen Betriebssystemen zu suchen, um präventiv Haftungsfälle zu vermeiden, was – umgekehrt – die Erzielung positiver Behandlungsqualität impliziert.[46] Wäre das Risiko „fehlender Aufwachraum“ im o. a. Fallbeispiel[47] von vornherein (Primärorganisation) bzw. im weiteren Verlauf (Qualitätsmanagement im Rahmen der Sekundärorganisation) festgestellt und unterbunden worden, hätte sich – zum einen – dieser tragische Zwischenfall mit – zum anderen – allen daraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen vermeiden lassen. Genau diese Überlegung bildet den Ausgangspunkt für die Erkenntnis zum Erfordernis einer Etablierung adäquaten Risk Managements als Instrument des Qualitätsmanagements.
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Als Gegenstände routinemäßig kontinuierlichen Risk Managements zur prophylaktischen Feststellung von Mängeln in der Struktur- und Prozessqualität seien hier[48] folgende grundlegenden Organisationszusammenhänge beispielhaft[49] genannt:
• | Erforderliche Gewährleistung einer Patientenbehandlung mit Facharztqualität unter den Aspekten Auswahl, Anleitung und Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; deren Einarbeitung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung; Berücksichtigung medizinischer Leitlinien bei der Patientenbehandlung; qualifizierte Diensteinteilungen etwa in Ambulanzen und im Bereitschaftsdienst, |
• | Dokumentationsmanagement, |
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