Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer

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Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer Praxis der Strafverteidigung

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verursacht hat“.[22] Demgemäß ist die Frage aufzuwerfen, wie es um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Klinikträgern bzw. ihren Organwaltern (z.B. Geschäftsführern) steht, die etwa unter Hinweis auf „fehlende finanzielle Mittel“[23] keine quantitativ und/oder qualitativ gebotene Personalaufstockung, Herstellung adäquater räumlicher Kapazitäten oder Vorhaltung erforderlichen Equipments genehmigen, weshalb auf ihnen nachgeordneten Organisationsebenen bzw. in der Linie im Rahmen möglicher Infrastruktur „behelfsmäßig“ bzw. „den Mangel verwaltend“ gearbeitet werden „muss“. Insofern ist rechtspraktisch in der Tat zu konstatieren, dass in der Spitze Führungsverantwortliche von Kliniken von strafrechtlicher Verfolgung – schon im Sinne dahingehender Ermittlungen – regelmäßig ausgenommen sind.[24] So besteht für die genannten Leitungsverantwortlichen zwar grundsätzlich die „Pflicht zur Vermeidung organisationsbedingter Sorgfaltspflichtverletzungen“, woraus eine „(Neben-)Täterschaft“ im Hinblick auf die Tatbestände der §§ 222 und 229 StGB resultieren kann,[25] doch bleibt dieser Aspekt bei strafrechtlichen Ermittlungen fast durchgängig außer Betracht.

      Dieser Befund findet sichtbaren Ausdruck in folgendem Vermerk einer Staatsanwaltschaft:

      Verfahrensgegenständlich war der Vorwurf fahrlässiger Tötung infolge der Transfusion von Fremdblut mit inkompatibler Blutgruppe ohne vorgängige Verträglichkeitsprüfung durch eine Anästhesiefachschwester auf Anordnung der Anästhesistin im Rahmen eines nächtlichen Notfalleingriffs.

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      Infolge der Transfusion einer Blutkonserve mit inkompatibler Blutgruppe verstarb der Patient trotz einer Blutaustauschtransfusion und intensivmedizinischer Maßnahmen. Die Blutkonserve war von einer Assistenzärztin, die nach ihrer Approbation erst 8 1/2 Monate im Klinikum angestellt war, vorgenommen worden. Zum Zeitpunkt der Transfusion hatte sie in der Klinik eine 63-Stunden-Woche mit anschließendem mehr als 12-stündigem ununterbrochenem Notdienst hinter sich, wobei sie aktuell mehrere Maßnahmen für verschiedene Patienten gleichzeitig zu überwachen hatte. Dabei entging ihr die Verwechslung, da durch das Labor zwei Blutkonserven für zwei verschiedene Patienten gleichzeitig ausgehändigt worden waren. Die Konserven selbst ermangelten einer Blutgruppenkennzeichnung. Diese ergab sich vielmehr aus dem Begleitdokument, dass in unübersichtlicher Art und Weise mit einer Vielzahl von Daten gestaltet war.

      Die Angeklagte räumte den ihr angelasteten Sachverhalt ein, wobei sich das Gericht in der Hauptverhandlung davon Überzeugung verschaffen konnte, dass sie das Geschehen aufs Schwerste beeindruckt hat, worunter sie auch nach wie vor litt. Der vernommene Sachverständige bezeichnete erhebliche strukturelle Mängel in der Krankenhausorganisation, „die fast zwangsläufig zu einem Versagen der Angeklagten führen mussten“ (Dienstplangestaltung, Übermüdung, gemäß Ausbildungsstand inadäquate Aufgabenzuweisung, insbesondere mangelnde Schulung zur Durchführung einer Bluttransfusion; insofern hatte sich die Klinikverwaltung am Tag nach den Vorkommnissen von der Angeklagten die inhaltlich unzutreffende Erklärung unterschreiben lassen, dass sie eine entsprechende Fortbildung erhalten habe).

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      In diesem Zusammenhang darf auch nicht verkannt werden, dass rechtliche Risiken im Zusammenhang mit infrastrukturellen Gegebenheiten und daraus resultierenden Organisationserfordernissen nicht nur im Hinblick auf die hier abzuhandelnden Fahrlässigkeitsdelikte, sondern auch aus einer Vielzahl sicherheitsrechtlicher bzw. nebenstrafrechtlicher Normen drohen. Hier seien nur beispielhaft das Arbeitszeitgesetz, das Medizinproduktegesetz, das Arzneimittelgesetz, das Betäubungsmittelgesetz, das Transfusionsgesetz und das Infektionsschutzgesetz mit ihren – auch empfindlichen – Sanktionsfolgen bei Verstößen genannt. Von entsprechenden Sanktionskonsequenzen können insbesondere die Organisationszuständigen auf allen Ebenen betroffen sein. Dabei löst die potentielle Sanktion tatbestandlich der Normverstoß als solcher aus, ohne dass es – wie im Falle der

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