Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich

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Handbuch des Strafrechts - Bernd  Heinrich

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einzustehen;[940] jedermann darf darauf vertrauen, dass die Rechtsordnung nichts Unmögliches von ihm fordert. In den Worten von Magnus:[941] Es wäre ungerecht, jemanden für die Verletzung einer Pflicht zu bestrafen, wenn er bei Einhaltung dieser Pflicht genau denselben Erfolg herbeigeführt, also keine Chance gehabt hätte, den Erfolg zu vermeiden. In diesen Fällen ist – so eine weitere Erwägung – der eingetretene Erfolg nicht mehr geeignet, generalpräventiv die Notwendigkeit zu verdeutlichen, dass der vom Handelnden übertretenen Verhaltensanforderung zwecks Rechtsgüterschutzes nachzukommen ist.[942] Diese Problematik stellt sich auch dann, wenn sich die Pflichtwidrigkeit nicht aus der Verletzung abstrakter Gefährdungstatbestände (also bspw. im Straßenverkehr aus Vorschriften der StVO), sondern aus der allgemeinen Pflicht ergibt, die Verletzung von Rechtsgütern zu vermeiden, mithin auch im Falle einer sorgfaltswidrigen ärztlichen Behandlung.[943]

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      Dieser Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist festgestellt, wenn die hypothetische Frage „Was wäre geschehen, wenn der Täter sich in der konkreten Situation pflichtgemäß verhalten hätte?“ zu der Antwort führt, dass der Erfolg vermieden worden wäre.[944] Zur Beantwortung dieser hypothetischen Fragestellung darf nur der dem Täter vorwerfbare Tatumstand durch ein sorgfaltsgemäßes Verhalten ersetzt werden; darüber hinaus darf an der konkreten Tatsituation nichts verändert werden.[945] Die Zurechnung eines durch Fahrlässigkeit bewirkten Erfolges entfällt hingegen nicht deshalb, weil ein (pflichtwidriges) Verhalten Dritter bzw. ein hypothetisches Opferverhalten oder Naturereignisse denselben Erfolg herbeigeführt hätten;[946] anderenfalls wäre dem Rechtsgut des Opfers die normative Garantie genommen.[947]

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      Gerade im Falle einer ärztlichen Sorgfaltswidrigkeit wird diese hypothetische Fragestellung häufig keine sicheren Schlüsse zulassen.[948] Als Beispiel[949] sei hier die Konstellation einer risikoreichen Operation am offenen Herzen genannt, bei der der Patient durch einen groben Kunstfehler des Arztes getötet wird. Dann gilt auch hier, dass Zweifel, ob bei pflichtgemäßem Verhalten der Erfolg vermieden worden wäre, nach dem Grundsatz in dubio pro reo zugunsten des Täters zu berücksichtigen sind. Anders formuliert heißt dies: „Wenn sich die Zweifel an der Ursächlichkeit des vorwerfbaren Verhaltens zu einem für eine vernünftige, lebensnahe Betrachtung beachtlichen Grade verdichtet haben, so dürfen sie nicht zum Nachteil des Angekl. unberücksichtigt bleiben.“[950] Auf das soeben angeführte Beispiel bezogen: Der Arzt wäre freizusprechen, wenn nicht sicher auszuschließen ist, dass der Patient auch bei einer lege artis durchgeführten Operation gestorben wäre. Der Vermeidung des Erfolges steht es gleich, wenn es bei sorgfaltsgemäßem Verhalten zu einem geringeren als dem tatsächlich eingetretenen Schaden (also nur zu einer Körperverletzung statt zum Tode) gekommen wäre.[951] Bei der fahrlässigen Tötung genügt die Feststellung, dass der Tod des Opfers auch nur geringfügig früher eintrat, als er ohne die Pflichtwidrigkeit eingetreten wäre;[952] andernfalls wäre dem Schutzgut „Leben“ seine normative Garantie, die jegliche Beeinträchtigung verbietet, entzogen.[953] Dies gilt nicht nur für aktives ärztliches Tun (bspw. ein Operationsfehler, der zu Beschädigung eines Blutgefäßes führte), sondern auch für die hypothetische Kausalität von Unterlassungen (etwa eine trotz vitaler Indikation nicht durchgeführte Operation).[954] Schneider[955] betont zu Recht, dass unter der – im Ansatz ja allgemein geteilten – Prämisse, wonach der strafrechtliche Lebensschutz Quantitätsabwägungen gegenüber insgesamt immun zu sein hat, dogmatisch nicht schlüssig zu begründen ist, weshalb dies für Unterlassungstaten anders zu beurteilen sein sollte.[956] In der Tat dürften die Bemühungen, im Falle des Unterlassens zwischen – wie auch immer abzugrenzenden[957] – irrelevanten kurzfristigen und belangvollen wesentlichen Lebensverlängerungen zu unterscheiden,[958] ihren Grund in dem von der ärztlichen Heilbehandlung zu trennenden Problembereich der Sterbehilfe i.w.S. finden, nämlich in einer unausgesprochenen Interessenabwägung zwischen den Belangen des alsbald Sterbenden und denen des untätig bleibenden Lebensrettungsgaranten.[959] Diese Abwägung ist dann möglicherweise mit den Lebenserhaltungs- sowie Gesundungsinteressen anderer Kranker untrennbar verbunden, womit die intrikate Frage einer gerechten Verteilung medizinischer Ressourcen aufgeworfen ist.[960] Dogmatisch betrifft diese Diskussion, die zu der Voraussetzung einer nicht nur unwesentlichen potenziellen Lebensverlängerung geführt wird, im Übrigen gar nicht die Frage der Kausalität, sondern entweder bereits die der Sorgfaltswidrigkeit[961] oder die der im Falle sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens (i.d.R. allerdings gegebenen) objektiven Zurechenbarkeit sowie diejenige der Zumutbarkeit.[962] – Hiervon zu trennen ist die Frage, ob in derartigen Fällen der Todeserfolg noch in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsvorschrift fällt (Rn. 159 ff.).

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      Hierfür genügt es im Übrigen, wenn auf Tatsachen gestützte, mehr als nur theoretische Zweifel daran verbleiben, dass ein pflichtgemäßes Verhalten den Erfolgseintritt verhindert hätte.[963] Abweichend hiervon will Roxin nach dem von ihm entwickelten „Risikoerhöhungsprinzip“[964] – im Falle des Unterlassens: Risikoverminderungsprinzip[965] – den Täter auch dann für den Erfolg verantwortlich machen, wenn er das Risiko für den Eintritt dieses Erfolges erhöht hat, ohne dass feststeht, dass der Erfolg bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Täters mit Sicherheit ausgeblieben wäre. Die objektive Zurechnung des Erfolges soll also bereits dann erfolgen können, wenn das Verhalten des Täters zu einer gegenüber der Normalgefahr gesteigerten Gefährdung des Angriffsobjekts geführt hat, weil die jeweils in Betracht kommenden Sorgfaltspflichten auch zu beachten seien, wenn nicht sicher sei, ob dadurch Gefahren vermieden würden.[966] Bei Anwendung dieser ebenfalls Kausalität und Risikozusammenhang voraussetzenden Risikoerhöhungslehre wäre zwar der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht verletzt,[967] der nach dieser Auffassung eben erst dann eingreift, wenn zweifelhaft ist, ob durch das sorgfaltswidrige Verhalten eine wesentliche Erhöhung des Risikos eingetreten ist oder nicht. Bei der Erfolgszurechnung kann aber weder die bloße Feststellung, dass eine Pflichtverletzung vorlag,[968] noch der Umstand, dass ein erhöhtes Risiko geschaffen wurde, für sich genommen genügen: Der Erfolg würde sich dann lediglich als Reflex der verletzten Schutznorm darstellen.[969] Notwendig ist vielmehr die Feststellung, dass das geschaffene Risiko sich in einem Erfolg realisiert hat,[970] da sonst letztlich Erfolgs- in Gefährdungsdelikte umgedeutet würden.[971]

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      Auch im Arztstrafrecht gilt der allgemeine Grundsatz fahrlässiger Erfolgsdelikte, dass eine Zurechnung des Erfolgs nur möglich ist, wenn sich gerade die durch die mangelnde Sorgfalt des Täters gesetzte Gefahr im eingetretenen Erfolg realisiert hat[973] und der Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltspflicht fällt. Ein Erfolg, der auf ein sorgfaltswidriges Verhalten zurückgeführt werden kann, ist dem Täter dann nicht zurechenbar, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht nicht den Zweck hat, Erfolge der herbeigeführten Art zu verhindern.[974]

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      Im Bereich des Arztstrafrechts wird der Aspekt des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltsnorm insbesondere bei einer zeitlichen Differenz beim Erfolgseintritt relevant. So hätte im Falle von BGHSt 21, 59[975] die vom Zahnarzt unterlassene Voruntersuchung der zu narkotisierenden,

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