Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich

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Handbuch des Strafrechts - Bernd  Heinrich

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starb infolge ihrer nicht erkannten Herzmuskelschwäche an der Vollnarkose – erst entsprechend später hätte eintreten können; ob der Internist die Herzschwäche erkannt hätte, war nicht mit hinreichender Gewissheit zu klären. Aber: Die Pflicht zur Untersuchung hatte nur den Zweck, die Narkosefähigkeit der Patientin zu klären und damit deren Leben und Gesundheit zu schützen, nicht aber, das Leben der Patientin gerade um die Dauer der Untersuchung zu verlängern; insoweit liegt also keine spezifische Pflichtverletzung vor.[976] Anders ist hingegen zu entscheiden, wenn statt einer Operation eine andersartige und weniger gefährliche medizinische Maßnahme (bspw. eine konservative Behandlung) mit dem Ziel einer Lebensverlängerung angebracht gewesen wäre. Hier kann dem Arzt der tödliche Ausgang der verfrühten Operation auch dann als fahrlässige Tötung zur Last gelegt werden, wenn feststeht, dass durch die konservative Behandlung die später durchgeführte Operation letztlich doch nicht hätte umgangen werden können und sie dann mit dem gleichen Risiko wie die jetzige belastet gewesen und unter Umständen ebenso tödlich ausgegangen wäre.

      159

      Die Frage, worin die spezifische Schutzrichtung der verletzten Sorgfaltsnorm zu sehen ist, kann allerdings Schwierigkeiten bereiten.[977] Dies belegt bspw. die Entscheidung von BGH JR 1989, 382:[978] Der Arzt hatte bei einem Säugling einen Leistenbruch auf der falschen Seite operiert. Bei der Anschlussnarkose, die zur Korrektur dieses Behandlungsfehlers erforderlich war, kam es zu einem letztlich ungeklärten tödlichen Zwischenfall. Hier ist zu fragen, ob die ursprünglich unterlassene Untersuchung zur Feststellung der Operationsseite dem Lebensschutz oder dem Schutz der körperlichen Integrität dient. Da nur Letzteres in Betracht kommt, kann dem Täter der bei der zweiten Narkose eintretende Tod dann nicht zur Last gelegt werden,[979] wenn nicht auszuschließen ist, dass dieser Erfolg auf ein nicht feststellbares Herzleiden zurückzuführen war.

      160

      Insoweit könnte die Zurechnung des hierdurch bewirkten weiteren Erfolgs zum Verhalten des erstbehandelnden Arztes infolge des Verantwortungsprinzips[980] zu verneinen sein.[981] Wie auch sonst in Problembereichen der objektiven Zurechnung kann sich ein Arzt jedoch auf spätere Fehler anderer grundsätzlich nicht berufen. Unter Normzweckgesichtspunkten ergibt sich diese Lösung der „schwierigsten und ungeklärtesten Fallgruppe“ (objektiver Zurechnung)[982] aus folgender Überlegung:[983] Der unerwünschte Erfolg kann gerade auch bei dem Versuch der Abwendung einer vom Täter geschaffenen Gefahr eintreten. Auch aus diesem Grund ist diese Begründung (der Ausgangsgefahr) verboten. Dies steht nicht im Widerspruch zum zurechnungsbegrenzenden Verantwortungsprinzip, aus dem lediglich folgt, dass man prinzipiell nicht darauf zu achten hat, dass Dritte Rechtsgüter nicht gefährden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber darum, dass der Täter selbst pflichtwidrig eine solche Gefahr geschaffen hat und er daher von seiner Verantwortung für das weitere Geschehen nicht schon deshalb frei werden kann, weil später auch andere falsch gehandelt haben.[984] Wie auch sonst ist es insoweit unerheblich, ob der nachfolgend tätige Arzt pflichtwidrig die Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr lediglich nicht verhindert (bspw. stirbt der vom erstbehandelnden Arzt fahrlässig im Krankenhaus Infizierte, weil der zur Bekämpfung dieser Infektion herangezogene weitere Arzt dem Patienten das erforderliche Medikament fälschlich in einer zu geringen Dosis verabreicht) oder ob der Dritte den in der Täterhandlung ohnehin schon angelegten (Todes-)Erfolg – etwa eine innere Verletzung, die allmählich zum Verbluten führen würde – durch eine positive Maßnahme (sorgfaltswidriges Verhalten beim Heilungsversuch) herbeiführt.[985] Zum groben Behandlungsfehler seitens des nachbehandelnden Arztes sogleich in Rn. 161.

      161

      162

      Die Zurechnung entfällt schließlich auch bei Zweiterfolgen, die letztlich auf „fahrlässigem“ Verhalten des Opfers gegenüber sich selbst beruhen.[998] Gefährdet oder schädigt sich das Opfer freiverantwortlich gar bewusst selbst, so entfällt aus den unter Rn. 165 f. genannten Gründen ohnehin die Zurechnung.[999]

      163

      Auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für Folgeschäden[1000] richtet sich nach dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsvorschrift: Wird bspw. durch die pflichtwidrige Verabreichung eines falschen Medikaments ein Krankenhausaufenthalt notwendig, bei dem der Verletzte sich eine tödliche Infektion zuzieht[1001] oder tritt infolge fehlsamer ärztlicher Behandlung ein Dauerschaden (Verlust eines Beines) ein, der zu einer Erhöhung des Verletztenrisikos führt, und realisiert sich eben dieses Risiko in einem weiteren Schaden (etwa: tödlicher Sturz des Beinamputierten), so gilt Folgendes: Solange der eingetretene Erfolg noch als Realisierung der vom Arzt geschaffenen Ausgangsgefahr angesehen werden kann (also etwa beim Tod infolge krankenhausaufenthaltstypischer Infektion, nicht aber infolge eines Zimmerbrandes), ist ihm dieser Erfolg noch zuzurechnen. Ist die Primärverletzung hingegen abgeschlossen (z.B. der Beinamputierte als geheilt aus dem Krankenhaus entlassen), so scheidet eine Haftung des Arztes für Spätfolgen aus, weil durch seine ursprüngliche Bestrafung die Erhöhung des Lebens- und Verletzungsrisikos mit abgegolten ist.[1002] Demgegenüber hindert selbst erheblicher Zeitablauf zwischen ärztlichem Fehlverhalten und dem Eintritt des „Erstschadens“ (etwa Tod des Patienten infolge einer infolge Hygienemängeln eingetretenen Infektion, die sich erst nach Jahren manifestiert) die Zurechnung nicht.[1003]

      164

      Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die Dritte z.B. durch Mitteilung vom Tod einer nahestehenden Person infolge ärztlichen Fehlverhaltens erleiden (Schockschaden), liegen als Teil des allgemeinen Lebensrisikos[1004] außerhalb des Schutzzwecks der §§ 222, 229 StGB.[1005]

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