Unternehmenskaufvertrag. Christoph Louven
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Auf der Stufe der Grobbeurteilung kann der M&A-Jurist regelmäßig intuitiv eine Auswahl treffen, etwa nach folgenden typischen Anforderungen:
– Parteien und Beteiligte deutsch oder international? (Vertragssprache also Deutsch oder Englisch? Vertragsstil deutsch oder anglo-amerikanisch?)
– Erfahrungshorizont und Erwartungshaltung der Parteien an den Vertrag? (u.U. relevant für den Umfang des Vertrags und den Konkretisierungsgrad einzelner Klauseln)
– Kaufgegenstand Anteile (Share Deal), Geschäftsbereich (Asset Deal) oder beides (Kombinierter Share und Asset Deal)?
– Gestaltung für den Verkäufer oder den Käufer? Moderat oder hart?
– Entwurf für Bieterverfahren oder für bilaterale Verhandlungen?
– Zielunternehmen klein, mittel oder groß? (u.U. relevant für den Umfang des Vertrags und den Konkretisierungsgrad einzelner Klauseln)
– Vollzug bereits aufschiebend vereinbart (Einheitslösung, One-Step-Modell) oder aufgrund gesonderter Vereinbarung beim Closing (Trennungslösung, Two-Step-Modell)?
– Steuerrechtliche Vorgaben?
– Typische branchenspezifische Besonderheiten?
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Auf der Stufe der Feinbeurteilung kann es ggf. zu einer Korrektur, zu Änderungen oder Ergänzungen der nach der Grobbeurteilung erwogenen Vertragsstruktur bzw. des nach der Grobbeurteilung ausgewählten Mustervertrags kommen. Anlass dafür kann jede Änderung des bislang festgestellten Sachverhalts sein, also etwa:
– Hinzutritt weiterer Parteien,
– inzwischen angestellte steuerliche Überlegungen,
– Sachverhaltsfeststellungen aus einer Due Diligence,
– Einbindung in Konzernfinanzierung und Cash Pool,
– Bestand von Unternehmensverträgen,
– spezielle branchenspezifische Besonderheiten.
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Besonders intensiv ist die juristische Arbeit auf der Stufe der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs/Detailarbeit am Vertragsentwurf. Neben den oben angesprochenen Punkten geht es hier insbesondere auch um die Detailgestaltung einzelner Klauseln. Dies ist die Phase, in der das Vertragsmuster, also die um Formulierungen angereicherte Gliederungsstruktur des Unternehmenskaufvertrags, ergänzt wird durch auf den konkreten Einzelfall am besten passende weitere Vertragsklauseln. Auch hier bedient sich der Vertragsjurist typischerweise aus einer Sammlung von Textbausteinen, die, wenn man so will, ebenfalls als Algorithmen oder Gedächtnis für einzelne Detailregelungsgegenstände bezeichnet werden könnten und die auf eine spezifische Interessenkonstellation des durch das Vertragsmuster statuierten Grundtypus zugeschnitten sind.80 Auch solche für eine Vielzahl von Interessenkonstellationen bei einem Unternehmenskauf relevanten Textbausteine stehen heute in veröffentlichten Formularbüchern, kanzleiweiten Musterklauselsammlungen oder individuellen Klauselsammlungen zur Verfügung. In der Literatur wurde kürzlich insoweit plastisch von einem „Panoptikum von Subdifferenzierungen“ gesprochen, „deren Konkretisierungsgrad sich rein nach Zweckmäßigkeitserwägungen richtet“.81 Zahlreiche solcher Subdifferenzierungen bei einzelnen typischen Regelungsgegenständen enthält auch das vorliegende Buch. Während der Detailarbeit am Vertragsentwurf klärt der M&A-Jurist sich ergebende Rechtsfragen (etwa nach der Formbedürftigkeit, zu beachtendem zwingendem Recht etc.) und feilt am Vertrag und seinen Klauseln, um die Interessen seiner Partei optimal im Rahmen des rechtlich Wirksamen umzusetzen.
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Zu einer optimalen Umsetzung gehört es, den Vertrag so zu gestalten, dass er möglichst Rechtssicherheit zwischen den Parteien stiftet. Dazu bedarf es möglichst klarer und missverständnisfreier Formulierungen und eines übersichtlichen Aufbaus. Anders als der Schriftsteller bemüht sich der Vertragsjurist um die Verwendung gleicher Begriffe für den gleichen Vorgang. Der Gebrauch abwechselnder Synonyme ist ihm fremd. Er formuliert kurz und prägnant. Der Vertrag steht im Präsens, nicht im Futur.82 Er verwendet juristische Fachausdrücke präzise und richtig. Er vermeidet passivische Formulierungen. Denn sie benennen nicht das Subjekt und sind damit unpräzise. Sätze, die mehr als 25 Wörter haben, vermeidet er möglichst. Denn mehr als 25 Wörter kann der Leser nicht aufnehmen.83 Bei ab und an unvermeidbaren Aufzählungen mit mehr als 25 Wörtern in einem Satz untergliedert er den Satz. Verweise (Cross References) nimmt er immer konkret auf bestimmt bezeichnete Klauseln vor. Geschieht dies nicht, erfüllen die Verweise ihren Zweck nicht, sind regelmäßig unnötig und nur Ausdruck von Trägheit. Für die Vertragsgliederung sind arabische Ziffern oder Paragrafen (Clauses, Articles) empfehlenswert. Unterabschnitte sollten auf der nächsten Ebene mit 1.1, 1.2 etc., auf der Ebene darunter mit kleinen Buchstaben ((a), (b) etc.), auf der Ebene darunter, also in der Regel bei Aufzählungen, durch kleine römische Zahlen ((i), (ii) etc.) bezeichnet werden. Das vereinfacht genaue Verweise. Anlagen (Exhibits, Annexes) sollten nicht durchlaufend, sondern wie die Klausel nummeriert werden, in der sie das erste Mal in den Vertrag eingeführt werden. Andernfalls führte die Streichung oder Hinzunahme einer Anlage in den Vertragstext zu Folgeänderungen. Ob neben Aufzählungen, abgestimmten Entwürfen von bei Vollzug abzuschließenden Ausführungs- oder Nebenverträgen oder Offenlegungen (Disclosures) auch ganze Regelungsbereiche (etwa Steuer- bzw. Umweltrecht oder spezielle Freistellungen) in Anlagen ausgelagert werden, ist sorgfältig abzuwägen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Konsistenz solcher in Anlagen ausgegliederter Regelungen mit dem Hauptteil des Vertrags leidet.84 Diese Gefahr wird dadurch nicht geringer, dass solche ausgelagerten Regelungen nicht selten in separaten „Work Streams“ verhandelt werden. Bei Vertragsüberarbeitungen (etwa in Folge von Verhandlungen) achtet der M&A-Jurist auf notwendige Folgeänderungen in anderen Klauseln. Mehrfach verwendete Begriffe, für die nicht bereits gesetzliche Definitionen vorliegen (wie etwa für „verbundene Unternehmen“ in §§ 15ff. AktG), werden definiert. Wie in englischsprachigen Verträgen üblich, wird der definierte Begriff mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben und damit als definierter Begriff gekennzeichnet. Dies ist zwar nicht sonderlich elegant,85 aber zweckmäßig. Zur besseren Lesbarkeit ist es empfehlenswert, Begriffe nach US-amerikanischem Vorbild im Vertragstext an der Stelle zu definieren, an der der jeweilige definierte Begriff das erste Mal relevant wird. Um sämtliche Definitionen gebündelt lesen zu können, empfiehlt sich die Erstellung eines Definitionsverzeichnisses. Änderungen von Definitionen sind besonders sorgfältig vorzunehmen und vor dem Hintergrund aller Klauseln, in der die Definition verwendet wird, zu prüfen. Dem Vertrag wird üblicherweise neben dem Definitionsverzeichnis auch ein Inhaltsverzeichnis und ein Anlagenverzeichnis vorangestellt. Das verbessert seine Lesbarkeit.
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Entgegen einem verbreiteten Irrtum ist ein Vertragswortlaut nie eindeutig, sondern vielmehr Ausgangspunkt der Auslegung.86 Jede Klausel ist damit auslegungsbedürftig.87 Schon die – in der Rechtsprechung ab und an anzutreffende – Feststellung, eine bestimmte Klausel sei nach ihrem Wortlaut und Zweck eindeutig, setzt eine Auslegung voraus.88 Ein „klarer und eindeutiger“ Wortlaut einer Willenserklärung bildet daher auch keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände,89 wohl aber der noch mögliche Wortsinn.90 Ein übereinstimmender Parteiwille geht dem Wortlaut und jeder anderen Auslegung vor (falsa demonstratio non nocet91). Im Idealfall entfernt sich das Auslegungsergebnis nicht oder nicht weit vom Ausgangspunkt der Auslegung.