Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band - Hugo Friedländer

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besprochen worden, oder aber ein solcher Plan, zu dem der Kaiser noch keine Stellung genommen habe, oder aber ein Plan, der von Seiner Majestät bereits gebilligt worden sei, oder endlich ein Plan, der schon besteht und sich der vollsten Zustimmung Seiner Majestät versichert halten könne. Die beiden ersteh würden keine, die beiden letzten aber schwere Majestätsbeleidigungen enthalten. Die beiden ersten Möglichkeiten scheiden gänzlich aus. Der »Vorwärts« in seiner souveränen Stellung dem Hofe gegenüber würde sich um einen bloßen unpolitischen Hofklatsch gewiß nicht kümmern. So etwas würde, in ein hochpolitisches Blatt gar nicht, sondern vielleicht in den »Ulk« oder die »Fliegenden Blätter« gehören. Wer den Charakter und die ganze Persönlichkeit unseres Kaisers kenne, der werde und könne unmöglich glauben, daß ein solches Projekt in seiner nächsten Umgebung ventiliert werden könnte, ohne daß der Kaiser eine ganz bestimmte Stellung zu einem solchen Plan nähme. Es komme hinzu, daß es sich um etwas handle, was nicht bloß die Regierung, sondern die ganze kaiserliche Familie angehe. Zur Durchführung eines solchen Planes hätte nicht bloß eine Person, sondern eine ganze Reihe von Personen mitwirken müssen, denn es kommen die verschiedensten Ressorts dabei in Betracht. Von alledem sollte der Kaiser nichts wissen? Nein, der Artikelschreiber habe es so dargestellt, als ob der Kaiser den angeblichen Plan schon genehmigt habe, oder als ob die Genehmigung nicht zweifelhaft sei. Es sei bekannt, daß Se. Majestät ein besonderes Interesse für die große Döberitzer Heerstraße stets bekundet habe. In dem inkriminierten Artikel werde nun u.a. gesagt: die Heerstraße findet erst ihre Erklärung in dem »Schloßbauprojekt«. Dies zeige deutlich, daß der Artikel direkt auf den Kaiser gemünzt sei. Wenn weiter gesagt werde: »Die Hofleute haben nicht einmal an den Reichstag gedacht«, so werde damit implicite gesagt: der Kaiser habe schon zugestimmt. Man habe in dem Artikel die volle Zustimmung des Kaisers zu dem Plan hervorheben wollen, und es sei nicht möglich, sich mit der Behauptung vorbeizudrücken, man habe den Kaiser nicht gemeint, sondern seine Ratgeber. Die Behauptung, die der Artikel enthalte, stelle aber eine schwere Majestätsbeleidigung dar, denn sie suche die Ansicht zu erregen, daß der Monarch in bloßer Furcht vor der Revolution, in ernster Sorge um seine Sicherheit merkwürdigen Plänen zuneige, daß er daran denke, sich vor dem Ansturm der Revolution in Sicherheit zu bringen. Das sei eine grobe Beleidigung für den Monarchen, der mit fester Hand das Steuer des Staatsschiffes lenke, einer Persönlichkeit gegenüber, wie unserem Kaiser, der bis jetzt noch nie die geringste Absicht zu erkennen gegeben habe, sich vor seinem Volke abzuschließen, der sich fast täglich seinem Volke zeige, seine Spaziergänge im Tiergarten mache. Von einem solchen Monarchen werde behauptet, er traue nicht mehr seinem Volke und auch nicht mehr seinem Heere. Wenn solche Pläne wirklich gefaßt würden, dann würde das allerdings an Tiberius erinnern, der sich bekanntlich auf Anraten der Prätorianer auf die Insel Capreae zurückgezogen habe. Ähnliches werde hier dem Kaiser angedichtet. Nach dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme könne kein Zweifel sein, daß eine bloße Erfindung vorliege. Es sei auch nicht das geringste Körnchen Wahrheit vorhanden. Erwäge man auch nur, durch welchen Schmutzkanal die Behauptung in die Öffentlichkeit gedrungen sei. Der Gewährsmann der Angeklagten bestand lediglich aus einem Stück Papier, auf welchem Adresse und Unterschrift abgeschnitten war! Auf dieses Beweismaterial hin sei eine so schwerwiegende und aufsehenerregende Behauptung in die Welt geschleudert worden. Das sei mehr wie leichtfertig, das sei böswillig. Die Angeklagten kennen den wirklichen Gewährsmann, aber sie nennen ihn nicht. War das Schriftstück echt, dann war der Mann, an den es gerichtet gewesen, der Gewährsmann, und dieser würde sich des schmählichsten Vertrauensbruches schuldig gemacht haben. Andernfalls würde das Papier gestohlen worden sein. Man könne wohl annehmen, daß der »Vorwärts« getäuscht worden, daß er einem Witzbold zum Opfer gefallen sei. Aber es sei traurig, daß sich die Angeklagten so leicht täuschen ließen. Es sei ganz zweifellos, beim lesenden Publikum sollte der Eindruck hervorgerufen werden, daß mit dem Artikel der Kaiser selbst getroffen werden sollte. Das beweisen auch viele Äußerungen in der Presse. Er gebe zu, daß die Presse ziemlich einmütig gegen das Einschreiten der Staatsanwaltschaft in vorliegendem Falle sich ausgesprochen habe. Da sei nicht verwunderlich, denn die Presse werde in solchen Fällen immer unter dem Eindruck stehen: res tua agitur! Nebenbei bemerkt, sei es in früheren Jahren eine gute Preßsitte gewesen, über schwebende Strafsachen sich der Kritik zu enthalten. Die Presse habe aber in vielen Fällen durchaus seine Ansicht geteilt, daß die Artikel direkt auf den Kaiser gemünzt seien. Majestätsbeleidigung liege also vor. Was die Frage des groben Unfugs betreffe, so sei ihm dieses Kapitel etwas peinlich, weil er als Jurist auf möglichste Einschränkung der Nr. 11 des § 360 StGB. bzw. der Interpretation dieser Gesetzesbestimmung hingearbeitet habe. Er stelle die Entscheidung in diesem Punkte dem Gerichtshofe anheim. Daß der zweite Angeklagte wegen der Behauptung, Herr v. Trotha leide entweder an einer beunruhigenden Gedächtnisschwäche oder habe sich einer Ableugnung wider besseres Wissen schuldig gemacht, strafbar sei, bedürfe keiner weiteren Ausführung. Die Stellung der Strafanträge werde ihm (Oberstaatsanwalt) nicht leicht, denn auch ei sei ein Gegner des § 95. Aber da dieser Paragraph nun einmal bestehe, habe die Staatsanwaltschaft auch die Pflicht, ihn vorkommendenfalls anzuwenden. Er erinnere dabei an den Franzosen, der bei der Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe sagte: Wenn nur die Herren Mörder anfangen würden, ihrerseits mit der Todesstrafe aufzuhören. So würde der Majestätsbeleidigungs-Paragraph zu entbehren sein, wenn die Herren Journalisten mit Majestätsbeleidigungen aufhörten. Er sei überzeugt, daß das Gericht das Urteil mit der Ruhe und Sorgsamkeit, die man bei preußischen Richtern gewohnt sei, fällen werde. Er beantrage gegen Leid, der in schwerer ökonomischer Abhängigkeit von seinen Brotgebern sich befinde und nicht wesentlich vorbestraft sei, neun Monate Gefängnis und, da Leid Stadtverordneter sei, auch den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, gegen Kaliski vier Monate Gefängnis, außerdem die Publikation des Urteils im »Vorwärts«, in der »Breslauer Volkswacht«, der »Frankfurter Volksstimme«, im »Volksblatt für Halle«, im »Volkswille« zu Hannover, im Hamburger »Echo«, in der »Rheinischen Zeitung« zu Köln, der Magdeburger »Volksstimme«, der »Kreuzzeitung«, dem »Berliner Tageblatt« und dem »Berl. Lokal-Anzeiger«.

      Der Verteidiger, R.-A. Dr. Karl Liebknecht suchte in längerer Rede den Nachweis zu führen, daß das Kaiserinselprojekt von der Redaktion des »Vorwärts« nicht erdichtet worden sei, sondern alle Umstände dafür sprächen, daß der Redaktion ein Schriftstück vorgelegen habe, das sich zum wenigsten äußerlich als ein amtliches charakterisiert habe. Von einer Majestätsbeleidigung könne keine Rede sein. Der Artikel wende sich in erster Linie gegen die sogenannte Scharfmacherclique, die bei dem Kaiser die Ansicht zu verbreiten suche: es könnten ihm aus irgendeiner Volksbewegung Gefahren erwachsen! Daß der Kaiser, der die verschiedensten Dienstgeschäfte zu erledigen habe und kaum Zeit finde, eine Zeitung vollständig zu lesen, auf Informationen angewiesen sei, sei ganz selbstverständlich. Auch im einzelnen sei in den Artikeln keine Majestätsbeleidigung enthalten. Es sei vollständig falsch, anzunehmen, die Sozialdemokratie habe eine Vorliebe für Majestätsbeleidigungen. Dies erinnere ihn an die Christenverfolgungen unter Nero. Die Sozialdemokratie kämpfe nicht gegen Personen, sondern gegen das System. Der »Vorwärts« habe mehrfach vor der Begehung von Majestätsbeleidigungen gewarnt. Wenn trotzdem so verhältnismäßig viel Majestätsbeleidigungen begangen werden, so verschulde dies der Umstand, daß jeder Mensch, mit Rücksicht auf den § 95 des Strafgesetzbuches, den Staatsanwalt fürchte, wenn er nur vom Kaiser spreche. Deshalb werden vielfach andere Namen genannt, um den Kaiser zu bezeichnen. Von einer öffentlichen Beunruhigung könne gewiß in den Artikeln keine Rede sein. Bezüglich der angeblichen Beleidigung des Hofmarschalls v. Trotha sei dem Angeklagten Kaliski zum mindesten der § 193 des Strafgesetzbuches (Wahrnehmung berechtigter Interessen) zuzubilligen, denn der »Vorwärts« sei genötigt gewesen, sich zu rechtfertigen. Man werde nicht leugnen können, daß der »Vorwärts« das Schriftstück erhalten habe von einer intriganten Persönlichkeit, die zweifellos den Hofkreisen näherstehe als der »Vorwärts«. Die Schale des Zornes müsse sich daher gegen diese intrigante Persönlichkeit richten, die vielleicht weniger die Absicht hatte, den »Vorwärts« hineinzulegen, als ihrem Unmut über gewisse Vorgänge Ausdruck zu geben. Wenn die Entrüstung sich gegen diese Persönlichkeit richte, dann habe dies seine Zustimmung. Der Verteidiger schloß mit dem Antrage auf Freisprechung beider Angeklagten, eventuell seien dem Angeklagten Kaliski mildernde Umstände zuzubilligen.

      Verteidiger Reichstags-Abg. R.-A. Haase,

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