Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
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Kunstmaler Professor Eduard Grützner (München) hatte bekundet: Er sei in Venedig gewesen. Er halte es für sehr begreiflich, wenn der Verdacht der Unechtheit entstanden sei. Wenn wirklich Arnold Böcklin die Bilder gemalt habe, dann müsse er sich zur Zeit schon in einer Art geistigen Niederganges befunden haben. Die ganze Ausstellung machte den Eindruck einer Pietätlosigkeit für den großen Meister. Die riesengroßen Monogramme haben allgemeines Ärgernis erregt.
v.d. Mühl (Basel) hatte vor einigen Jahren die »Jagd der Diana« von Arnold Böcklin gekauft, an der Echtheit des Bildes habe er niemals gezweifelt.
Die Beweisaufnahme war alsdann beendet.
Der Vertreter des Privatklägers, R.-A. Dr. Jaffé, führte aus: Der Beweis, daß Carlo Böcklin gefälscht und betrogen habe, sei in keiner Weise erbracht worden. Es sei von keinem Zeugen bekundet worden, die Bilder seien gefälscht. Es seien bloß Urteile abgegeben worden. Dagegen sei von einer Anzahl Zeugen ausdrücklich bekundet worden, sie haben als unecht bezeichnete Bilder zu einer Zeit in dem Böcklinschen Atelier gesehen, als Carlo Böcklin noch nicht den Pinsel führen konnte. Daß der inkriminierte Artikel eine schwere Beleidigung für Carlo Böcklin enthalte, bedürfe nicht weiterer Ausführung. Er beantrage, den Privatangeklagten auf Grund der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches zu bestrafen.
Verteidiger Justizrat Bernstein (München): Hoher Gerichtshof! Wie auch Ihr Urteil ausfallen möge, fest steht, daß der moralisch Verurteilte in diesem Prozeß Carlo Böcklin ist. Leider ist der Wahrheitsbeweis auf die Venetianische Ausstellung beschränkt worden. Aber es ist doch über den Fall Hermes Beweis erhoben und festgestellt worden, daß Carlo Böcklin eingestanden hat, er habe eine Fälschung und einen Betrug begangen. Carlo Böcklin verkaufte an Hermes & Co. den »Heiligen Hain« für 15000 Francs und bescheinigte, das Gemälde sei ein echter Böcklin, es sei ausschließlich von der Hand seines Vaters gemalt. Carlo Böcklin wußte, daß er einen Betrug beging. Er wußte ebensogut, wie die Kunsthändler Hermes & Co. in Frankfurt a.M., daß für 15000 Francs ein echter Böcklin nicht zu haben sei. Dafür spricht ja schon der Umstand, daß Hermes & Co. das Gemälde für 39500 M. weiterverkauft haben. Carlo Böcklin, in die Enge getrieben, wollte zunächst beeiden, daß das Gemälde ausschließlich von der Hand seines Vater sei. Als er aber den Eid leisten sollte, da lehnte er ihn ab und bequemte sich zu dem Geständnis, er sei allerdings bei der Herstellung des Gemäldes mit tätig gewesen. Hoher Gerichtshof! Ein Mann, der offen zugibt, daß er eine Fälschung und einen Betrug begangen habe, der ist moralisch gerichtet, und von dem kann man auch annehmen, daß er auch noch andere Fälschungen begangen hat. Auf der einen Seite steht ein Mann, der in der Gelehrtenwelt einen großen Namen hat, und der über einen Künstler von Weltruf seine schützende Hand gebreitet hat, damit sein Name nicht weiter geschändet werde, und auf der anderen Seite steht ein Mann, der allerdings den Namen Böcklin trägt, im übrigen aber lediglich imstande ist, mit einem Pinsel irgendeine Sudelei auf die Leinwand zu werfen. Aber abgesehen von dem Fall Hermes, so ist doch die Aussage des Professors Schwartz, dem fünf Bilder bekannt sind, an deren Herstellung Carlo Böcklin mit tätig gewesen ist, geradezu vernichtend. Ich will ohne weiteres zugeben, daß neun Zehntel der Bilder, die in der Venetianischen Ausstellung aufgehängt waren, von der Hand des Meisters waren. Aber Arnold Böcklin hat, wie jeder Künstler, auch Bilder gemalt, die nicht gelungen und deshalb für die Öffentlichkeit nicht bestimmt waren. Dadurch, daß Carlo Böcklin des Geldes halber diese nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bilder ausgestellt, hat er das Andenken seines Vaters beschmutzt. Arnold Böcklin war eine echte Künstlernatur, der lieber hungerte, als daß er dem Geschmack der Menge Rechnung trug. Dadurch, daß Carlo Böcklin Werke seines Vaters, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, des Gelderwerbes halber ausgestellt, hat er gezeigt, daß er nur physisch mit seinem Vater verwandt war, nicht aber geistig und seelisch. Ja, durch den Umstand, daß Carlo Böcklin die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bilder seines Vaters von Ausstellung zu Ausstellung schickte, hat er bewiesen, daß er kein Böcklin ist, er ist nur ein Carlo. Herr Professor Dr. Muther mußte annehmen, daß auch ein Teil der venetianischen Bilder gefälscht waren. Er hatte daher ein Recht, ja eine Pflicht, seine schützende Hand über das Bild des Strahlenden zu halten. Er wollte, daß das Andenken Böcklins dem deutschen Volke, ja der ganzen Welt unverfälscht erhalten bleibe. Wenn Hunderttausende die Venetianische Ausstellung besuchen, so zahlen sie das Eintrittsgeld, weil sie erhoffen, an den Böcklinschen Bildern einen Kunstgenuß zu erhalten. Dieser Kunstgenuß ist dem Publikum schon durch die großen marktschreierischen Monogramme verleidet worden. Herr Professor Dr. Muther hat einmal im Interesse des die Kunstausstellung besuchenden und kaufenden Publikums gehandelt, in der Hauptsache war es ihm aber darum zu tun, den Namen Böcklin nicht verdunkeln zu lassen. Er hielt sich für verpflichtet, der Welt mitzuteilen, daß von Arnold Böcklin Bilder an die Öffentlichkeit kommen, die entweder nicht von ihm oder nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Professor Muther hat daher in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt. Daß der Artikel temperamentvoll geschrieben ist, gebe ich zu. Professor Muther, der vom Staate angestellt ist, um die akademische Jugend Kunstgeschichte zu lehren, hat die Pflicht, darüber zu wachen, daß die Kunstgeschichte nicht gefälscht wird. Wenn ein solcher Mann seine schützende Hand über das Strahlende hält, wie es in dem vorliegenden Falle geschehen ist, dann kann er nicht anders als temperamentvoll schreiben. Professor Muther muß aber auch schon deshalb freigesprochen werden, da er jedenfalls nicht die Absicht der Beleidigung hatte. Carlo Böcklin ist Herrn Professor Muther vollständig gleichgültig, ein Stück Luft. Carlo Böcklin ist ein ganz einfacher Maler, der nichts versteht. Wenn Professor Muther jeden Maler, der nichts kann, beleidigen wollte, dann käme der Herr Angeklagte nicht aus dem Gerichtssaale heraus. Laut Reichsgerichtsentscheidung steht aber dem Angeklagten schon der § 193 des Strafgesetzbuches zur Seite, wenn er nur glaubt, in Wahrnehmung berechtigter Interessen zu handeln. Daß Professor Muther diesen Glauben gehabt hat, muß doch auf alle Fälle angenommen werden. Die Freisprechung des Angeklagten muß daher aus juristischen Gründen erfolgen. Mag aber Ihr Urteil ausfallen, wie es wolle: Herr Professor Muther geht aus dem Prozeß als glänzender Sieger hervor. Er hat jedenfalls das Bewußtsein, der Welt, speziell der Kunst, einen großen Dienst geleistet zu haben.
Vertreter des Privatklägers, R.-A. Dr. Jaffé: Ich bin selbstverständlich nicht imstande, auf alle Einzelheiten einzugehen, die der Herr Verteidiger vorgebracht hat. Jedenfalls hat der Herr Kollege eine Reihe unerwiesener Behauptungen hier angeführt. Soviel steht fest, die venetianischen Bilder sind echt, zum mindesten ist deren Unechtheit nicht nachgewiesen. Die ausgestellten Bilder sind doch nur als »Böcklinscher Nachlaß« bezeichnet worden. Daß Carlo Böcklin den Wahrheitsbeweis nur auf die Venetianische Ausstellung beschrankt haben wollte; kann man ihm nicht verdenken. Im übrigen ist von der ganzen Beweisaufnahme nur der Fall Hermes übriggeblieben. In diesem Falle ist aber Carlo Böcklin weder eine Fälschung noch ein Betrug nachgewiesen worden. Auch hat Professor Muther diesen Fall noch nicht gekannt, als er den inkriminierten Artikel schrieb. Im übrigen hat Herr Professor Muther die »Jagd der Diana« später als echt anerkannt. Ich bestreite, daß Professor Muther sein Temperament zugute kommen kann. Ein Mann mit dem wissenschaftlichen Ruf eines Professors Muther hatte jedenfalls die Verpflichtung, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß seine Behauptungen wahr seien, ehe er einen solchen Artikel schrieb. Aus dem Artikel geht zweifellos hervor, daß der Angeklagte die Absicht der Beleidigung hatte. Ich wiederhole daher meinen vorhin gestellten Antrag.
Verteidiger Justizrat Bernstein: Der Herr Vertreter des Privatklägers ist doch im Irrtum, wenn er sagt, in dem Hermesschen Falle trifft Carlo Böcklin keine Schuld. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil den unumstößlichen Beweis erbracht, daß Carlo Böcklin sich in diesem Falle in bewußter Weise der Fälschung und des Betruges schuldig gemacht hat. Im übrigen ist doch entscheidend, daß Professor Schwartz, ein Freund der Familie Böcklin, eidlich bekundet hat, es seien ihm fünf Bilder bekannt, an denen Carlo mit tätig gewesen ist. Dies ist doch das tatsächlich Entscheidende für den Prozeß.