Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band - Hugo Friedländer

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und zwar nicht über die Mindeststrafe von zehn Jahren hinauszugehen.

      Vors.: Angeklagter, haben Sie noch etwas zu sagen?

      Angekl. (nach einigem Zögern): Ich will mit meinem Verteidiger sprechen.

      Der Angeklagte erklärte schließlich nach nochmaliger Frage des Vorsitzenden, daß er nichts weiter zu sagen habe.

      Nach kurzer Beratung des Gerichtshofs verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Goldschmidt: Nach dem Wahrspruch der Geschworenen ist der Angeklagte im Sinne der §§ 212 und 214 des Strafgesetzbuchs schuldig. Der Gerichtshof sieht in der Tat des Angeklagten eine große Gemeingefährlichkeit und Frivolität. Der Gerichtshof hat aber dennoch von einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe Abstand genommen, da vielleicht doch die Möglichkeit vorliegt, daß der Angeklagte in der Eingebung des Augenblicks gehandelt hat. Auch will der Gerichtshof dem Angeklagten nicht die Möglichkeit nehmen, wieder ein ordentlicher Mensch zu werden. Der Gerichtshof hat deshalb den Angeklagten zu einer Zuchthausstrafe von vierzehn Jahren und zu zehn Jahren Ehrverlust verurteilt und dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Angeklagte ist abzuführen.

      Der Angeklagte nahm das Urteil wohl mit großer Niedergeschlagenheit, aber doch mit äußerer Ruhe entgegen.

      Böcklin-Muther.

      Die Kunst hat, ebenso wie ihre Schwester, die Wissenschaft, und ihre Zwillingsschwester, die Technik, in den letzten 50 Jahren ganz gewaltige Fortschritte gemacht. Schon im grauen Altertum und im ganzen Mittelalter ist die Kunst bei allen Kulturvölkern das verhätschelte Kind gewesen, zumal sie dem religiösen Kultus aller Konfessionen ganz unschätzbare Dienste leistete. Der Salomonische Prachttempel in Jerusalem, die Pyramiden und Obelisken in Ägypten, die prächtigen Denkmäler im alten Athen, die christlichen Kirchen des Mittelalters waren in der Hauptsache Erzeugnisse der Kunst. Deshalb wurde die Kunst zu allen Zeiten und bei allen Kulturvölkern gefördert, während die Wissenschaft vielfach Anfeindungen. zu erdulden hatte. Aber auch die Fortschritte der Kunst und Technik fanden nicht allgemeine Anerkennung. Noch jetzt ist man mittels der sog. Lex Heinze bemüht, der Kunst Schranken zu ziehen. In unserem vom Materialismus beherrschten Zeitalter ist auch der Kunst ein wesentliches Hemmnis in Gestalt der wirtschaftlichen Not entstanden. »Die Kunst geht nach Brot.« Dieser tatsächliche Zustand ist ein arger Krebsschaden unserer vielgerühmten Kultur. Nicht bloß der Mann der Wissenschaft, auch der Künstler ist vielfach genötigt, der augenblicklichen Zeitrichtung zu entsprechen. Der Künstler ist ebenso wie der Mann der Wissenschaft vielfach Lohnarbeiter der herrschenden Richtung geworden. Nicht gering ist die Zahl der Künstler, die am Hungertuch nagen. Am 4. Juli 1911 wurde der Sohn des berühmten Malers Giovanni Segantini, der Maler Leopoldo Segantini, aus dem Untersuchungsgefängnis auf die Anklagebank der dritten Strafkammer des Landgerichts Berlin II geführt. Der erst 26jährige junge Mann war bereits, wie Sachverständige bekundeten, ein Künstler, er glich aber nicht im entferntesten seinem weltberühmten Vater. Im Januar 1910 war er nach Berlin gekommen. Hier ist er schließlich derartig in Not geraten, daß er tagelang, im buchstäblichen Sinne des Wortes, Hunger litt und obdachlos war. Er mußte im Asyl für Obdachlose oder auf einer Bank des Berliner Tiergartens nächtigen. In dieser großen Not verkaufte er eigene Bilder und Zeichnungen unter der Versicherung, daß sie von seinem verstorbenen Vater herrühren, an Kunsthändler. Der junge Künstler veranschaulichte, als er vor seinen Richtern stand, ein Bild des Jammers und des Elends. Es war für jeden Menschenfreund tief betrübend, als der junge Mann mit tränenerstickter Stimme erzählte, wie er in der Hauptstadt des Deutschen Reiches fast verhungert wäre und froh war, daß er des Abends in den »gastlichen« Räumen des Asyls für Obdachlose Aufnahme fand und ein Stückchen Brot zu essen bekam. Erbittert und enttäuscht durch Mißerfolge mit eigenen Werken, sei ihm der Gedanke gekommen, die Unwissenheit der Kunsthändler, die die Künstler »aussaugen«, an den Pranger zu stellen und zu zeigen, daß diese nur den Namen bezahlen und die Güte der Bilder gar nicht berücksichtigen. Er habe zeigen wollen, daß er jedem Kunsthändler ohne Mühe Bilder, die jeder Sachverständige sofort als Fälschungen hätte erkennen müssen, anschmieren und sich teuer bezahlen lassen könne. Als er in München bei einem Bilderhändler ein von ihm an einen Frankfurter Kunsthändler verkauftes Bild entdeckte, habe er den Kunsthändler gebeten, das Bild zurückzuziehen, und habe ihm auch gesagt, daß die nach Frankfurt verkauften Bilder Fälschungen seien. Die Kunsthändler seien in ihrem Vermögen überhaupt nicht geschädigt worden, da seine eigenen Bilder den Kaufpreis wert seien. Er habe auch annehmen dürfen, daß er imstande gewesen wäre, seinen Gläubigern das Geld zurückzuzahlen.

      Als Sachverständiger bekundete Prof. Justi, Direktor der Nationalgalerie, daß es sich um ziemlich krasse Fälschungen handele, daß aber die Preise, die für angeblich echte Segantinis gezahlt wurden, nicht gerade hoch seien. Hätten die Kunsthändler gewußt, daß es sich um Bilder Mario Segantinis handelte, so hätten sie sich sicher nicht zum Ankauf verstanden. Dessen Bilder hätten in Deutschland wenig objektiven Wert.

      Ähnlich äußerte sich der Sachverständige, Kunstkritiker Fritz Stahl, der der Meinung war, daß die Fälschungen unschwer als solche hätten erkannt werden können. Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt ein Jahr Gefängnis, unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft.

      Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten zu neun Monaten Gefängnis, unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft. Der Angeklagte erklärte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er sich bei dem Urteil beruhigen wolle.

      Am 30. April 1901 enthielt die im Scherlschen Verlage in Berlin erscheinende Zeitschrift: »Der Tag« einen Artikel mit der Überschrift: »Die Venetianische Ausstellung von Richard Muther«. In diesem hieß es u.a.: Im deutschen Saal – soweit von einem solchen zu reden ist – weilt man zunächst vor der Wand, die Böcklin die letzten Ehren erweist. Carlo Böcklin hat ein Porträt seines Vaters gemalt, das ihn darstellt als Erdgeist in stilisiertem Mantel vor einer stilisierten Mauer, über der stilisierte Zypressen in den gewitterschwarzen Abendhimmel ragen. Das Bild ist ein Vatermord, eine Schändung des eigenen Namens. Und ich habe den Verdacht, daß Carlo auch die meisten anderen Bilder der venetianischen Ausstellung fabrizierte. Ein sehr wertvolles, gutes Waldbild, ein frühes Selbstporträt, das Porträt Clara Bruckmanns, eine Skizze zum Krieg und eine pompejanische Frauengestalt sind natürlich über jeden Zweifel erhaben. Aber andere Sachen, wie der Polyphem, die Vision und die Meeresidylle, sind so kleinlich und theatermäßig, so sehr mit Hendrich verwandt und an Benlliures ›Vision im Kolosseum‹ anklingend, daß man die Autorschaft des Meisters nur aus tiefstem Herzen bedauern könnte. Böcklin ist zu Lebzeiten derart von der Menge verhöhnt und von den Kunsthändlern übervorteilt worden, daß es als natürliche Rache erscheint, wenn die Familie nachträglich Gleiches mit Gleichem vergilt. Sie hielt der Nachlaß geheim. Auf allen Ausstellungen der nächsten Jahre werden nachgelassene Böcklins auftauchen. Aber allzu pietätlos sollte Carlo nicht sein. Das strahlende Bild des Großen darf durch die Fabrica nicht getrübt werden. Dieses Artikels wegen strengte Carlo Böcklin gegen Professor Dr. Richard Muther, damals Professor für Kunstgeschichte in Breslau, auf Grund der §§ 186 und 200 des Strafgesetzbuchs Privatklage an. Auf Antrag von Carlo Böcklin hatte das Breslauer Schöffengericht beschlossen: den Wahrheitsbeweis auf die venetianischen Bilder zu beschränken und den Antrag des Professors Dr. Muther, ihm den Nachweis zu gestatten, daß Carlo Böcklin noch bezüglich anderer Bilder seine Werke als die seines Vaters ausgegeben habe, abgelehnt. Über einen Fall, der in Frankfurt a.M. passierte, war jedoch Beweis erhoben und festgestellt worden: Carlo Böcklin habe der Kunsthandlung Hermes & Co. ein Gemälde: »Der heilige Hain« für 15000 Francs als echten Böcklin verkauft. Dieses Gemälde wurde von dem Frankfurter Bankier Haymann für 39500 Mark erworben. Hermes & Co. bescheinigten auf der Rechnung: »Wir übernehmen die Garantie für die Authentizität des Bildes, das von der Hand des Professors Dr. Arnold Böcklin stammt.« Später lieferten Hermes & Co. noch eine Photographie des Bildes, auf deren

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