Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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sie jetzt nach seinem Rücktritt mehr in Frohhausen.«

      Doch da donnerte der Zug auch schon dröhnend und dampfend in die Halle. Die Waggontüren flogen auf. Eilige Menschen stiegen aus den Wagen, noch eiligere klommen hinein. Hurtige Träger belegten Plätze mit Handgepäck.

      Nun lehnte Ilse am offenen Fenster ihres Abteils. Walden stand mit abgenommenem Hute unten auf dem Bahnsteig.

      »Also – gute Fahrt!« rief er hinauf.

      »Ihnen auch – glückliche Reise,« antwortete sie von oben.

      Dann ging es wie ein plötzliches Erschauern durch die lange Reihe großer schwerer Wagen. Der Zug setzte sich in Bewegung.

      Ilse schaute noch einmal zurück, und da war ihr, als habe sich Waldens Gesicht in dieser Sekunde völlig verändert – woher kam das Mitleid, die Trauer, die Ungeduld, in die sie da blickte? Wozu machte er die paar raschen Schritte dem Zuge nach, als wolle er ihn anhalten? Was hatte das zu bedeuten?

      Aber schon waren sie aus der Bahnhofshalle heraus, ehe sie recht wußte, ob sie das alles denn auch wirklich gesehen hatte.

      »Seltsam,« sagte sie sinnend, »wie wir diesem Herrn von Walden begegnen! Zuerst gleich nach unserer Verlobung und jetzt wieder gleich nach unserer Hochzeit – hat es nicht etwas – etwas Schicksalhaftes?«

      »Schicksal,« antwortete ihr Mann, »ist ein Wort, das man nicht gebrauchen sollte – wir haben Pflichterfüllung und Gottvertrauen.«

      Dabei zog er aus der Tasche seines großkarrierten Mantels die Kreuzzeitung, schob sie Ilse hin und vertiefte sich dann selbst in eine Broschüre über die Maul- und Klauenseuche.

      Ilse hatte sich in die entfernteste Wagenecke gesetzt, wo seine weit vorspringenden Kniee ihr Kleid nicht streifen konnten. Sie schloß die Augen.

      Es war später Nachmittag, als der Zug in Station Sandhagen hielt. Aus den tief hängenden Wolken drieselte ein feiner kalter Regen herab auf das weite, sandige, ewig dürstende Land. Ganz flach dehnte es sich aus, nur stellenweise anschwellend zu einstmaliger Dünenbildung. Kümmerliche, nordischem Krummholz gleichende Kiefern wuchsen da kärglich, alle durch den stetig wehenden Ostwind wie in trauernder Sehnsucht gen Westen geneigt. Die Stadt selbst lag weiter landeinwärts, man sah ihre Umrisse mit dem einen mächtigen Trutzturm grau in grau am Horizonte verschwimmen.

      Einige Honoratioren waren von dort zur Station gekommen, um Herrn von Zehren zu beglückwünschen und als erste daheim erzählen zu können, wie die junge Weltsödensche Frau denn eigentlich ausschaue. Mit diesen stämmigen, vierschrötigen Herren mußte ein Glas geleert werden in dem kleinen Bahnhofsrestaurant, wo Töpfe mit verkümmerten Myrten am Fenster standen und auf der schokoladefarbenen Tapete, zwischen allerhand agrarischen Anzeigen, ein Öldruckbild der unglücklichen Königin Luise prangte, die einst in dieser Gegend auf ihrer Flucht gerastet haben sollte.

      Jochem der Kutscher und Jürgen der Knecht, beide mit arg verregneten hochzeitlichen Sträußen im Knopfloch, verluden mittlerweile die Koffer zwischen Stroh auf dem Leiterwagen und breiteten eine Plane darüber; darauf fuhr Jürgen damit ab.

      Als man dann endlich aus dem Bahnhofsgebäude heraustrat, sagte Herr von Zehren: »Aber Jochem, du hast ja den geschlossenen Wagen genommen?« »Ich dachte doch,« antwortete Jochem und kratzte sich hinterm Ohr, »von wegen die junge gnädige Frau, die doch aus der Stadt ist.« »Aber jetzt ist sie eine Landfrau, Jochem, und mit dem offenen Jagdwagen wären wir viel rascher vom Fleck gekommen.« – »Ja, zwei Stunden werden die Herrschaften bei den Wegen heute schon brauchen,« meinte der Stationsvorsteher, der Ilse in die schwere geschlossene Kutsche half. Dann stieg Theophil ein, Jochem knallte mit der Peitsche, an die er ebenfalls ein kläglich herabhängendes Sträußchen befestigt hatte, und das Gefährt setzte sich in Bewegung.

      »Fatale Gewohnheit der Leute, dies Biertrinken,« knurrte Herr von Zehren nach einer Weile, »ich fürchte, die Kälte ist mir auf den Magen gefallen – aber weißt du, die Stadt Sandhagen wählt mit in unserem Kreise, und die Sozialdemokraten wühlen da schon gerade genug gegen uns – drum darf man‘s eben mit den paar guten Elementen nicht verderben.«

      Nach einigen Minuten Fahrt hielt der Wagen, und durch die vordere Fensterscheibe gewahrte Ilse, wie Jochem oben auf dem Bock den Zylinder mit der Kokarde abnahm, ihn sorgfältig in eine Hutpappschachtel tat, die er hinter seinen Beinen wohl verborgen hielt und statt dessen eine Livreemütze aufsetzte. Dann ging es weiter.

      Es dunkelte rasch. Ilse konnte bald nichts mehr von der Gegend unterscheiden. Sie fühlte nur, daß der Wagen die Chaussee verlassen hatte und dann auf tiefem Sandweg schwer und langsam weiter fuhr in die Finsternis hinein. An einigen besonders schwierigen Stellen hörte sie Jochem den Pferden ein ermunterndes »Man tau, man tau« zurufen – oder war das Papa, der zu ihr sagte: »Es ist nicht so schlimm, es ist nicht so schlimm« – sie wußte nicht mehr, was wirkliches Erleben, was träumendes Erinnern war. Aber sie mußte dann doch wohl eine Zeitlang fest geschlafen haben, denn plötzlich schreckte sie auf, konnte sich zuerst gar nicht recht besinnen, wo sie war und hörte dann Herrn von Zehren sagen: »Gleich werden wir ankommen.«

      Der Wagen war in einen weiten Hof eingebogen. Auf der einen Seite sah Ilse hoch oben an einem Gebäude ein Transparent, an dem das Wort »Willkommen« in dem immer heftiger wehenden Winde unruhig hin und her flackerte, noch einmal aufflammte und dann zu erlöschen schien.

      »Das hat der Verwalter am Giebel des Wirtschaftsgebäudes angebracht,« erklärte Theophil, »drüben auf der anderen Seite wohnen wir.«

      Nun hielten sie vor dem Herrenhause. Aus der weit geöffneten Tür fiel Lichtglanz hinaus ins Dunkel, viele Menschen standen da wartend. Und Theophil stellte vor: Der Verwalter Rumkehr und seine Frau, die Hofmeister der Vorwerke, der Förster. »Na Treumann,« unterbrach er sich, »Sie haben sich ja auch mittlerweile mit der Anne Dore verheiratet?«

      »Zu Befehl, vor vier Tagen,« antwortete strammstehend der große junge Förster, von dessen gebräuntem Gesicht die blaßblonden Haare und Brauen und die blauen Augen beinahe weiß abstachen.

      »Und wo ist denn Ihre Frau?«

      Eine junge rosige Frau, die mit strahlenden Augen zu dem Förster aufschaute, trat vor.

      Wie glücklich sie aussieht! dachte Ilse, während Herr von Zehren weiter zu Treumann sprach: »Morgen komme ich raus und seh nach, wie weit Ihr in Teufelstrift seid.«

      »Morgen schon?« entfuhr es dem erstaunten Förster.

      »Gewiß,« antwortete Herr von Zehren feierlich und so laut, daß alle Umstehenden ihn hören mußten, »denn das Bewußtsein, eine Familie gegründet zu haben, muß uns erst recht mit neuem Arbeitseifer erfüllen.«

      Und dann nannte er Ilse die noch übrigen, den Gärtner, seine Gehilfen, die Gartenweiber, den Schweizer, den Schäfer, die Mamsell, den Diener, die Mädchen.

      Es waren beinahe lauter Leute aus der Gegend, die zum Teil schon lange auf dem Gute waren. Aus ihren meist wässerig blauen Augen schauten sie Ilse prüfend, aber ohne sonderliches Wohlwollen an: Sie war die neue Frau – ja – aber sie war vor allem eine Fremde, und vorläufig würde man sich ihr gegenüber abwartend verhalten. Unwillkürlich empfand das Ilse, und die wohlbekannten Gesichter der Leute daheim bei Greinchen stiegen in ihrer Erinnerung auf; sie hätte so gern ihr eigenes langgewohntes Mädchen von dort mitgenommen, aber Frau von Zehren hatte dagegen entschieden: »Fremde paßten nicht nach Weltsöden.«

      Von den Menschen blickte nun Ilse zu den Dingen. An den Türen waren Girlanden aus Tannenreisern und Herbstlaub angebracht. Georginen saßen darin wie bunte regelmäßige Rosetten.

      »Wie

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