Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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gewünscht, nach jener ersten Lebensenttäuschung, die ihrer ahnungslosen Jugend beschert worden – wenige Monde nur war das her, heut aber dünkte sie ihr ganzes damaliges Empfinden in graue Fernen gerückt, heut, wo sie erfahren, daß es Dinge gibt, die, sobald sie Pflicht scheinen, Erniedrigung bedeuten. – Sie sagte sich dies alles aber nicht gleich so deutlich, denn während dieser ersten Zeit ging sie wie verstört umher in dem neuen fremden Leben, erst allmählich dämmerte es in ihr auf, daß sie grausam betrogen worden war. »Hätt ich das alles gewußt, ich würde nie ja gesagt haben,« dachte sie und erschrak, daß sie es dachte. Denn ach, wie sollte sie es nur anfangen, dies Leben zu ertragen, das eigene Unwissenheit und Irrtum anderer in falsche Bahnen gelenkt und das so unabsehbar lang vor ihr zu liegen schien?

      Die verregneten chinesischen Laternen, die Festgirlanden mit den säuerlich riechenden rosettenartigen Georginen waren abgenommen worden. Mamsell hatte ein großes Reinmachen veranstaltet; in Holzpantinen wateten dabei die Mädchen durch das Seifenwasser, das sich über die Steinfliesen des Flures ergoß; mit Waschen und Wischen, Schütteln und Klopfen wurde der Dämon Staub vertrieben. – Und dann war die gnädige Frau Mutter zurückgekehrt. Theophil hatte sie von Sandhagen abgeholt. Nun war der Platz am oberen Ende des Eßtisches wieder besetzt. Und nicht er nur. Frau von Zehren füllte das ganze Haus. Sie füllte es mit ihrer Stimme und mit ihrer rastlosen Emsigkeit. In die verborgensten Winkel drangen ihre kleinen tückischen Augen, und vom eigenen Sohn bis zur letzten Magd im Schweinestall prüfte ein Jeder, ob nicht geheime Schuld sein Gewissen drücke.

      Ilse mußte der Schwiegermutter überall folgen, treppauf, treppab, vom Boden bis zum Keller, durch die Wirtschaftsräume, Vorratskammern, Waschküche und Ställe. Für den nahenden Winter gab es da so viel vorzubereiten, als ginge man einer Belagerung entgegen, lauter Dinge, von denen Ilse im kleinen städtischen Haushalt Greinchens nichts geahnt hatte. »Ahnungslos« war ja überhaupt das Wort, das Frau von Zehren in ihrem Innern oft wiederholte, als endgültiges Urteil über die kleine zierliche Schwiegertochter, mit den großen erschrockenen Augen. Sie gab sich auch nicht viel Mühe, Ilse zu unterweisen, denn es war so viel leichter, die Dinge, wie seit Jahren, mit Mamsell selbst weiter zu besorgen. Aber dabeistehen sollte Ilse, darin lag ein für ungefestigte Jugend heilsamer Zwang; sie sollte nicht etwa persönlicher Anlage folgend, eine eigene unabhängige Tätigkeit suchen, denn das wäre der gestrengen Frau von Zehren als Zeitvergeudung erschienen, als Mißachtung des geheiligten Begriffes »in den Interessen des Mannes aufzugehen«.

      So schaute denn Ilse zu, wie Mamsell im Obstkeller Birnen und Äpfel auf langen Borden ausbreitete und aus den Mottenkisten Winterdecken hervorholte, die weithin einen tränentreibenden Duft von Naphthalin, Pfeffer und Tabak verbreiteten. Eine unheimliche Handlung des häuslichen Kultes, der Ilse mit fasziniertem Interesse folgte, war auch das Zerhacken der großen Zuckerhüte in unregelmäßige Stücke; sie zitterte bei jedem Schlag um Mamsells Finger, und das Knirschen des Zuckers gemahnte sie an Eis, aus dem sich Nordpolfahrer Hütten bauen. Aber das Schlimmste dünkten Ilse doch die Schlachttage – da hob sich ihr das Herz, wie damals in der Geschichtsstunde, wo die Menschenopfer der Azteken geschildert wurden, ein dunkler Strudel tat sich vor ihr auf, der sie unentrinnbar hinabzog – sie konnte einfach nicht dabeibleiben.

      Und das also waren die großen Pflichten? Sie sollten das Leben füllen? sie und die Schrecken dunkler Stunden?

      Ob die Männer vielleicht höhere, ernstere Aufgaben besaßen? Sie hatten doch alle soviel von »der Familie« gesprochen, in dem bloßen Wort schon hatte Ruhmesklang gelegen. Und Ilse suchte mehr von der Familie zu erfahren.

      Treueste Hüterinnen dieses Wissens vom Zehrentum, seinen Anfängen, Kämpfen und Zielen, waren anerkanntermaßen die beiden alten Tanten, Askania und Lidwine, die, wenn sie nicht im Stift zum heiligen Dornenkranze weilten, in einem kleinen Häuschen am Ende des Weltsödener Gartens ihr stilles Dasein führten. Es war dies eigentlich Wittumhaus, aber Frau von Zehren hatte es den Schwägerinnen überlassen, da sie ja bei dem Sohn im Haupthaus wohnte. Die beiden verhutzelten Fräulein, mit den flachen Busen und schwarzen Kleidern, pflegten von den toten Zehren des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts wie von jüngst verstorbenen Verwandten zu reden, über deren Verlust es schwer hält hinweg zu kommen. Herren, die, in Allongeperücke, friderizianischem Haarbeutel oder prall anliegenden Uniformen der Freiheitskriege, aus wurmstichigen Rahmen von den Wänden herabblickten, wurden Ilse als der teure Gisbert, der unvergeßliche Job, der früh abberufene Kuno genannt. Das Interesse, das die hübsche junge Nichte für all die alten grauen Histörchen über diese Längstentschwundenen zeigte, schmeichelte den beiden Stiftsdämchen. Aber wie sehr Ilse auch fragte und lauschte, besonders Hervorragendes und Begeisterndes konnte sie nicht entdecken. Die Familie war eine sehr alte, aber sie war stets in ereignisloser Mittelmäßigkeit stecken geblieben. Mittlere Zivil- und mittlere Militärämter hatten die Zehren gelegentlich bekleidet und dazu mittelgroße Güter besessen. Eine gewisse Größe lag nur darin, daß sie dies seit so vielen Jahrhunderten getan hatten. Mit der gleichen Konsequenz hatten sie auch, soweit es in dieser nicht reichen Gegend möglich gewesen, seit altersher stets getrachtet, wohlhabende Mädchen zu heiraten – aber auch darin waren sie über ein gewisses unauffälliges Mittelmaß, das Neigung als Motiv immer noch glaubhaft erscheinen ließ, nie hinausgekommen. Es war sogar ein charakteristischer Zug des Zehrentums, im Biedermannston von der Liebe zu reden, auf der sich alle Zehrenschen Ehen aufbauten – man glaubte es ihnen schließlich beinahe, daß sie ideal und uneigennützig angelegte Edelnaturen seien, und es war sicher nur eine Folge des besonderen, auf ihnen ruhenden Segens, daß ihre Gefühle sich nie finanziell Unwürdigen zuwandten.

      Auf dem Gottesacker, rings um die Weltsödener Dorfkirche, lagen alle seit dem dreißigjährigen Kriege gestorbenen Zehren begraben, und noch ältere Leichensteine, die nach jener allgemeinen Verwüstung wieder aufgefunden worden, waren da nachträglich aufgestellt. – Nach dem Gottesdienst, bei dem allsonntäglich der himmlische Segen auf »den Patron dieser Kirche und sein ganzes Haus« herabgefleht wurde, wobei die Gemeinde verstohlen zum Zehrenschen wappengeschmückten Gestühl blickte, und Theophil sich darin würdevoll und doch demütig in ganzer Länge aufrichtete, – nach solcher Erbauung blieben die Tanten Askania und Lidwine gern an den Gräbern stehen und erklärten Ilse die verwitterten alten Inschriften, während die herbstlichen Birken- und Ebereschenblätter auf sie niederrieselten. – Da lag Gudulla Borgwedde, die mit Claus Caspar verheiratet gewesen – deren Geld hatte zum Wiederaufbau des Weltsödener Herrenhauses beigetragen; Radegunde Ramschwagin, Hans Ellarts Frau und Erbtochter auf Vorwerk Todtenbehr, das sie in die Familie gebracht; Hetelwine Eptingen, Tam Segewins Ehegemahl, mit deren Mitgift Dürrenheide urbar gemacht worden war. Und so ging es weiter – eine lange Reihe von Frauen, deren Geld in den hungrigen, sandigen Boden gesteckt worden war, ohne ihn fett machen zu können, und die nun längst selbst in ihm schliefen. Jede von ihnen hatte, zu ihrer Stunde, der Bereicherung und Fortpflanzung der Familie Zehren gedient und war von ihr aufgesogen worden, ohne doch ihre magere Mittelmäßigkeit zu wandeln.

      Und im Rieseln der herbstlichen Blätter sann Ilse nach über all diese toten stillen Frauen, sann nach, wie wohl ihr Leben gewesen, und ob auch sie morgens die Angst vor dem Tage, abends die Furcht vor der Nacht gekannt?

      Eine Ecke des Kirchhofs war für diejenigen Zehren freigehalten, die künftighin noch sterben würden. Askania und Lidwine hatten sich hier längst schon ihre beiden Plätzchen ausgesucht und sprachen mit solchem Gleichmut von der Zeit, wo sie, in den blank getragenen Schwarzseidenen, da liegen und auf die Auferstehung warten würden, als handle es sich um eine Reise, für die sie im Eisenbahnkupee gute Eckplätze belegt hätten. – Ilse aber erschauerte angstvoll im rauhen Herbstwind bei dem Gedanken, auch einst hier auf dem Kirchhof zu liegen. Sie konnte es sich nicht vorstellen, daß ein mit dem Zehrenschen und ihrem eigenen Wappen geschmückter Grabstein auf ihr lasten würde, und künftige Kirchhofsbesucher sich über die Inschrift beugen und dann sagen würden: »Ilse, des Theophil Frau – ach ja, mit deren mütterlichem Erbteil ist damals wüste Teufelstrift angeschont worden.« – Aber es war nicht so sehr der Begriff des Totseins, gegen den sich ihr junges Leben sträubte, als die Vorstellung, mit diesen Menschen, denen sie sich so wesensfremd fühlte, für alle Zeiten vereint schlummern zu müssen.

      Unter

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