Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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Im Alter von zweiundzwanzig bis herab zu sechs Jahren standen die Nichten, denn mit einem ans Heroische grenzenden Eigensinn hatte die jetzt verwitwete Schwägerin, Mechtildis, sich immer neuem Versuche hingegeben, ob nicht doch noch der ersehnte Sohn und Erbe ihr entsprießen würde. – Aber statt seiner war Tochter auf Tochter gefolgt, und nun, nach ihres Mannes Tode, wohnte sie mit ihnen allen, kümmerlich und verbittert, in einem früheren Pächterhaus, das sie von Theophil mietete. Es waren dies die Mädchen, die Ilse zuerst als Brautjungfern bei ihrer Hochzeit gesehen, groß und eckig, mit allzu hohen Stirnen unter straff zurückgekämmtem weißblonden Haar, alle neun litten sie leicht an geröteten Augen oder entzündeten Ohren und Lippen, stießen beim Sprechen mit der Zunge gegen die Zähne und schienen um Mund und Nase stets leicht geschwollen zu sein. Aber sie trugen ihre Häßlichkeit wie eine Schickung Gottes, gegen die anzukämpfen frevelhafte Auflehnung sein würde.

      Aus diesem Hause wehte Ilse eine besonders kühle Luft entgegen. Den Augen der bei der ständigen Pflege ihrer Töchter bitter grübelnden Mechtildis erschien die junge Schwägerin als die sie verdrängende Siegerin, die nun sicher den Erben gebären würde, der ihr selbst versagt geblieben. Bei jedem Besuch musterte sie sie verstohlen und erkundigte sich mit krankhaft regem Interesse nach Ilses Gesundheit; es zog die blutleere, ausgemergelte Frau immer wieder hin zu der Nachfolgerin auf Weltsöden, und ob sie gleich nicht wollte, konnte sie es doch nicht lassen, stets von neuem in all diesen verschleierten Fragen zu spüren. Sie hätte es nie zugegeben, und es konnte ihr selbst ja auch nichts mehr nützen oder schaden – aber in den tiefsten Gründen ihres Wesens erblickte sie in jedem schwindenden Tag, der das Kommen eines Zehrenschen Erben nicht näher brachte, eine Genugtuung für sich, die töchterreiche Frau.

      Und da waren noch andere Augen, die lauernd zu Ilse hinblinzelten und in unbewachten Augenblicken feindlich auf ihr ruhten. Fräulein von St. Pierre, die Hofdame bei einer kleinen Fürstlichkeit und Cousine von Mechtildis war, verbrachte bei dieser häufig ihre Urlaubszeiten. Theophil, der eckig magere, hatte sich früher von diesem reifen Mädchen mit der glatten weißen Haut und den behaglichen Rundungen jahrelang verschwiegen anschwärmen lassen. Es war ihm das ein wohlig umschmeichelndes Gefühl gewesen, etwa wie das Bewußtsein, daß irgendwo ein weicher Lehnsessel stände, stets bereit, ihn mit geöffneten Armen zu umfangen. Aber er ließ sich nicht umfangen – höchstens, daß es mal zu einem verstohlenen Händedruck gekommen – im Gegenteil betonte Theophil damals, daß er als jüngerer Sohn an Heiraten gar nicht denken könne. Als ihm dann aber durch des Bruders Tod Weltsöden zugefallen war, hatte Fräulein von St. Pierre bestimmt gehofft, daß die magere Hand, die sich bisher nur im verborgenen von ihren eigenen wohlgepflegten Fingern hatte streicheln lassen, nunmehr offen nach ihr greifen würde, um sie aus allen bitteren Abhängigkeiten des Hoflebens hinaus in die süße Geborgenheit einer standesgemäßen Ehe zu führen. – Aber es widersprach allen Zehrenschen Grundsätzen, ein armes Mädchen zu heiraten, und Theophil verstand es, sein Herz zu stählen und Grundsätzen wenigstens treu zu bleiben. – Fräulein von St. Pierre war zwar gleich nach des seligen Gotthold Tod zu der trauernden Mechtildis geeilt, doch Theophil vermied alle Gelegenheiten, in den verschwiegenen Alleen des Parks, oder an dem von trautem Zusammenleben summenden Teekessel, mit der appetitlich molligen Hofdame allein zu sein. Mit weihevollem Augenaufschlag und dem abgeklärten Lächeln der Entsagenden sprach er von der nicht näher definierten »Pflicht« als einzigen Richtschnur im Leben eines Majoratsherrn. – Bei seiner bald darauf erfolgenden Vermählung richtete sich Fräulein von St. Pierres Enttäuschung dann auch nicht gegen Theophil, in dem sie ein Opfer sah, sondern gegen die ahnungslose Ilse, die ihr als kokette Herzensräuberin erschien. Denn Fräulein von St. Pierre dachte in Quadersteinen; es gab kein Rütteln, das ihre einmal gefaßten Anschauungen verschoben hätte; sie lebte in einer Welt unumstößlicher Begriffe, wie es ihr als einer Hofdame wohlanständig erschien: Man war Herr oder Dame, hoffähig geboren oder nicht, gut oder böse. Ilse ward ungesehen und ungehört den Bösen zugezählt, und Fräulein von St. Pierre widmete ihr jenen gefährlichen Haß, dessen geistig Unbemittelte fähig sind.

      Ilse empfand, dunkel und ohne sich noch die Gründe recht zu erklären, das Feindliche, das sie umgab. Zuweilen, wenn sie zwischen ihrer Schwiegermutter, Mechtildis und Fräulein von St. Pierre saß, war ihr, als sei die Luft mit lauter spitzen Glassplittern erfüllt, die von allen Seiten auf sie eindrangen. Dann überkam sie ein Gefühl des Frostes und der Armut, daß sie hätte betteln mögen – aber um was, wußte sie selbst nicht recht – vielleicht um jenes kostbarste aller Geschenke, ein bißchen Zärtlichkeit.

      Die gab ihr niemand. Theophil am allerwenigsten. Er kannte nie fremde Sehnsucht, nur immer eigenes Verlangen. – Ilse erinnerte sich später, daß sie in jener ersten Zeit, wo sie sich oft wie gestrandet vorgekommen, bei einbrechender Dämmerung einmal allein in ihrem Zimmer gesessen hatte, das Herz schwer von innerer Verlassenheit. Da war Theophil eingetreten, und unwillkürlich und unüberlegt hatte sie ihm die Hand hingehalten. Sie empfand ja solch ein Bedürfnis nach leisen freundlichen Worten, nach etwas Musik des Herzens! – Aber statt dessen war es dann alles so garstig gewesen! – Gab es denn wirklich zwischen Mann und Frau immer nur diese eine Tonart? Durfte das sein, daß ein Mensch den anderen zu einer willenlosen, ihm gehörenden Sache erniedrige?

      Er aber, der vor der herrischen Mutter in lebenslänglicher schwächlicher Nachgiebigkeit verharrte, fand einen seltsamen Reiz darin, sich selbst immer wieder zu beweisen, daß er dieses scheuen, zag zurückschreckenden Wesens Gebieter sei.

      So glitten die Tage dahin und reihten sich aneinander zu Wochen und Monden.

      In wüste Teufelstrift wurde fleißig gearbeitet. Vom Morgengrauen an war Förster Treumann mit seinen Leuten draußen, wenn sie in der Frühe kamen, lagerte der dichte Nachtnebel noch bläulich kalt und alles verbergend über der Erde; die Arbeiter tappten hinein und verschwanden schon nach ein paar Schritten in dem wehenden Grau, wie Schiffe auf nebliger See. Trieb aber ein Lufthauch den Dunst auseinander, daß der Boden für einen Augenblick dazwischen sichtbar wurde, so erhöhte dies noch den Eindruck unheimlicher Meerfahrt, denn langhin rollenden Wogen gleich schien dann die gelbbraune Sandfläche sich bis in weite Fernen zu ziehen.

      Nach Tische pflegte Theophil seine Mutter und Ilse im kleinen Jagdwagen hinauszufahren. Dann stand man draußen eine Weile herum, und immer wieder wurden dieselben Dinge mit dem Förster besprochen. Boden siebenter Klasse war stellenweise Wüste Teufelstrift! Da mußten die schlimmsten Partien erst mal mit Besenpfriem angepflanzt werden, und wo der Sand gar zu sehr verwehte, wurden Spriegelzäune gebaut, ihn zu halten. – Bessere Teile bepflanzte man gleich mit zweijährigen Bankskiefern. Zwei Männer mit der Kulturleine schritten voraus, steckten sie mit Pflöcken an beiden Enden fest und bezeichneten dann die Stellen, wo die jungen Pflänzchen, anderthalb Meter auseinander, hinkommen sollten. – Ihnen folgten zwei Reihen Frauen; die ersten gruben mit Spaten die Löcher, die zweiten pflanzten die Bäumchen schnell ein, daß die geöffnete Erde nicht noch mehr austrockne. – Auf einer anderen weiten Strecke dagegen wurden jetzt nur die Löcher gegraben, daß sich während des Winters der Schnee darin sammle, und im Frühjahr gepflanzt werden könne. – Eine dritte Schonung endlich ließ Theophil mit besonderer Sorgfalt anlegen. Dort wurde gute Erde in Wagen angefahren und dann mit Karren in Haufen zwischen die Reihen geschüttet, und in jedes aufgegrabene Loch taten die Frauen etwas von der schönen dunklen Erde um die Wurzeln des Bäumchens, das sie pflanzten. – Das war das teuerste Verfahren, aber dank Ilses mütterlichem Erbteil konnte man sich solchen Versuch wohl mal leisten.

      So wurde auf Wüste Teufelstrift mit den Bäumchen experimentiert, und es gab auch da solche, denen von Anfang an, ohne ihr Verdienst und Zutun, günstigere Lebensbedingungen geboten wurden als anderen.

      »Werden das denn wirklich jemals schöne große Bäume werden?« fragte Ilse, auf die kümmerlichen Pflänzchen weisend, den Förster.

      Der zuckte die Achseln. »Die Bäumchen an sich sind nicht schlecht, gnädige Frau,« antwortete er, »aber auf solchem Boden ist auch von der anspruchslosesten Pflanze nicht viel zu erwarten. Nach sechs Jahren können diese hier ungefähr einen Meter hoch sein, falls wir bis dahin nicht zu arge Dürre haben, und sie nicht die Schütte kriegen.«

      »Nun

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