Ille mihi. Elisabeth von Heyking
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ille mihi - Elisabeth von Heyking страница 14
Die Damen befanden sich bei diesen Vereinigungen immer in der Mehrzahl, denn die Söhne der verschiedenen Familien waren abwesend, auf Universitäten und in Regimentern, während die zahlreichen Töchter daheim saßen und in standesgemäßer Tatenlosigkeit einer Schicksalswendung entgegenharrten. Sie alle besaßen irgendein kleines Talentchen, das gepflegt wurde, um die vielen Stunden der langen Tage zu füllen. Die liebe Emmy malte für Weihnachten und Geburtstage Blumen auf seidene Fächer; Karolinchen brannte unter heftigem Benzingeruch Ritterburgen auf hölzerne Schreibmappen für die Brüder, Hirschköpfe auf die Ofenbank in Papas altdeutschem Zimmer; unsere Hedwig übte fleißig Clementi; Gabriele verstand es sogar, Geschehnisse des Familienlebens in artige Knittelverse zu kleiden und mit solchen bei festlichen Gelegenheiten zu erfreuen. All diese Dinge wurden mit Wichtigkeit von Müttern und Tanten behandelt, die doch alle wußten, daß sie nur das wohlerzogene Warten verbergen sollten und in den erhofften Ehen alsobald verschwinden würden.
In diesen Diners wurden häufig die jeweiligen Gutspastoren mit ihren Frauen geladen. Es entsprang dies nicht besonderen religiösen Bedürfnissen, denn Religion war den meisten mehr eine Schicklichkeits- wie Herzensfrage, etwas, worüber man eigentlich gar nicht nachdenkt, sondern was so selbstverständlich ist, wie daß man vor dem König Front macht. Aber man wollte nach außen dokumentieren, daß weltlicher Besitz und geistliche Macht zusammengehören, und Theophil sagte würdevoll: »wir benötigen den Einfluß des Pastors bei den Wahlen, daher müssen wir auch seine soziale Stellung möglichst stützen.«
Ein anderer in der ganzen Gegend oft hinzugezogener Gast war Dr. Liebetrau. Nicht etwa geistiger Übereinstimmung halber. Hatte doch die Cousine Zehren-Kandau sogar einst über ihn geflüstert: »Ich fürchte bisweilen wirklich, unser alter Liebetrau glaubt nicht mal an den lieben Gott,« worauf die Tanten Askania und Lidwine beschwichtigend antworteten: »Dann würde der liebe Gott ihm doch sicher nicht die Gnade zuteil werden lassen, so viele Menschen zu heilen.« – Es ging aber von dem alten Mann mit der gebirgsartigen Nase und den klugen Äuglein ein solcher Zauber von Wohlwollen und Verständnis für jedes Leid aus, daß ihm alle Frauen halb unbewußt gewogen waren. – Und Dr. Liebetrau, der vor langen Jahren schon als Witwer in die Gegend gekommen und seitdem einsam hauste, studierte auch außerhalb des Krankenzimmers mit Vorliebe seine weiblichen Patienten. Nach den Diners blieb er immer im Kreise der Damen.
An einem solchen Nachmittag des frühen Frühjahrs erzählte er: »Ich war heute morgen in Frohhausen – der Graf und die Gräfin sind wieder da.«
Man spitzte die Ohren. Augen, die sich schon in einschläfernder Verdauungslangweile schlossen, öffneten sich wieder. Auch Ilse, die im Kreise würdiger Landmatronen saß, horchte gespannt auf, denn sie war schon oft an den geschlossenen Pforten des großen Frohhausener Parks vorbei gekommen und hatte bedauert, daß dieses, Weltsöden zunächst gelegene Gut unbewohnt war.
Die Gastgeberin, Frau von Zehren-Kandau, sagte seufzend: »Ich habe es auch schon gehört – ja, wenn die Helmstedts nur nicht gar so schlecht zu uns paßten.«
»Das ist nicht zu verwundern,« meinte Theophils Mutter abfällig. »Sie haben hier ja nie dauernd gelebt, sondern sind immer in der Welt herumgezogen.«
»Ach Designatus, wie schrecklich muß das sein!« sagte die alte, behäbige, glatt gescheitelte Pastorin zu ihrem Mann, dem alten Pastor Rockstroh. Der antwortete: »Ja, ja, die Gebundenheit an die ländliche Scholle ist und bleibt eben doch das stärkste Bollwerk gegen die zersetzenden Kräfte eines Weltbürgertums.«
»Ich meine aber nicht nur das,« fuhr Frau von Zehren-Kandau fort, »bei dem Beruf des Grafen sind ihm allerdings die natürlichen Interessen eines landeingesessenen Edelmannes etwas abhanden gekommen, aber unsere Herren würden ihm jetzt, wo er den Abschied genommen hat, ja gern helfen, daß er hier die richtige Stellung gewinnt, in den Kreisausschuß und sogar in den Provinziallandtag kömmt, – nein, nein, viel schwieriger ist die Frage mit ihr!«
»Ja, da hast du recht,« warf Frau von Zehren-Kummerfelde ein, »denn man weiß wirklich nicht, worüber man mit ihr sprechen soll. Bei all ihrer Liebenswürdigkeit fühl ich mich doch immer ungemütlich, und ich kann den Verdacht nicht los werden, daß sie eigentlich im stillen auf uns herabsieht.«
»Na, dazu hat sie doch wahrhaftig keinen Grund!« rief die blasse Mechtild so eifrig, daß auf ihren farblosen Wangen rote Flecken aufflammten. »Man weiß doch, wieviel über sie und ihre erste Ehe gemunkelt worden ist – die vielen Kurmacher! Und … ihrem jetzigen Manne soll sie ja schon damals recht … nun … recht nahe gestanden haben.«
Die welken Gesichter der alten Stiftsdamen erröteten verschämt, und Tante Askania sagte begütigend: »wir dürfen nicht vergessen, sie ist eben keine Deutsche.«
Und Tante Lidwine setzte hinzu mit dem Gefühl, alle Mängel zu erklären: »Sie ist vor allem keine Protestantin.«
»Aber mein gnädigstes Fräulein,« griff nun der alte Pastor Rockstroh mit dem Bewußtsein ein, lobenswerte Objektivität zu üben, »ich muß doch bemerken, daß auch die katholische Kirche die Nichtbeachtung des sechsten Gebotes verdammt.«
»Mag sein, Herr Pastor, mag sein,« entgegnete Frau von Zehren-Kandau, »aber sie werden uns nie einreden, daß solche Fragen von Leuten wahrhaft ernst genommen werden, die nur zu beichten brauchen und dann gleich von neuem anfangen können.«
»Die Beichte,« sagte der alte Pastor, »ist mir eigentlich das Sympathischste in der katholischen Kirche – man muß dadurch mancher armen Seele helfen können.«
»Aber Designatus!« entfuhr es vorwurfsvoll der alten Pastorin, die mit Beichtstühlen vage, unheimliche Vorstellungen verband.
»Ja, ja,« stimmte Dr. Liebetrau sinnend dem Pastor zu, »es läßt sich in der Tat manches dafür anführen. Den Protestantinnen ersetzen übrigens wir Ärzte und gelegentlich auch Rechtsanwälte die Beichtväter.«
»Na, na, bester Liebetrau, wer hätte denn Ihnen schon gebeichtet?« fragte Theophils Mutter.
»Aber viele, meine gnädigste Frau, viele!« antwortete der alte Arzt, »denn man beichtet ja oft, ohne es selbst zu wissen! Um übrigens auf Gräfin Helmstedt zurückzukommen, so habe ich immer gehört, daß sie allen Grund gehabt hätte, in ihrer ersten Ehe sehr unglücklich zu sein.«
»Das ist aber doch keine Entschuldigung!« rief Mechtild.
»Ob es eine Entschuldigung ist?« sagte Liebetrau bedächtig, »dabei käme es wohl auf das Forum an. Aber die häufigste Erklärung für das, was man Unrechttun nennt, wird wohl immer das Unglücklichsein bleiben!«
In diesem Augenblick wurde zum Abendimbiß gerufen, mit dem solche Zusammenkünfte ihren Abschluß fanden. Dr. Liebetrau blieb einen Augenblick in der Veranda zurück, klappte den mit Nettelbecks Bild gezierten Deckel der Horndose auf und brachte seiner hügelreichen Nase den langentbehrten Schnupftabak dar. Ilse hatte auf ihn gewartet und spielte gedankenverloren mit ihrem Trauring, der immer noch die Tendenz hatte, leicht herabzugleiten. Nachdem Dr. Liebetrau reichlich geschnupft, geniest und geschnaubt hatte, sagte er zu ihr: »Die Gräfin Helmstedt hat mich übrigens sehr nach Ihnen gefragt.«
»Nach mir?« fragte Ilse erstaunt, »warum denn?«
»Wenn ich recht verstand, hat sie durch gemeinsame Bekannte von Ihnen gehört, und sie freut sich darauf, Sie kennen zu lernen, – während sie den meisten Menschen hier, wie Sie ja schon hörten, eher kühl gegenübersteht. Ich glaube übrigens, Ihnen wird Sie gefallen.«
Ilse errötete, ohne