Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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er antwortete: »Nach dem früheren Leben, wie es in Wirklichkeit war? Oh nein. – Wohl aber nach dem einstmaligen Glauben, so viel im Leben schaffen zu können. – Im übrigen kann, wer in den Geschäften ist, nie früh genug nach einer schicklichen Gelegenheit spähen, sich aus ihnen zu entfernen, denn keiner noch starb in den Sielen, dem nicht der Nachruf geworden wäre: Er ist zu lang im Dienst geblieben.«

      Oft auch malte sich Ilse sehnsüchtig aus, wie das Schicksal der Frau neben dem des Mannes gewesen sein mußte. Mit welcher Begeisterung sie gewiß an allem teilgenommen und geholfen hatte. – Ja, jener waren eben Ziele gewiesen worden, die jeder Hingabe würdig waren! Und Ilse fühlte, wie sich in ihrem eigenen innersten Wesen die Fähigkeit zu unendlicher Aufopferung beinahe stürmisch regte – wenn ihr nur auch Aufgaben geworden wären, die sie mit sich fortgerissen hätten!

      Wie sie nun die Gräfin nach jenem früheren Leben einst fragte, antwortete diese mit leisem Lächeln und halb geschlossenen Augen: »Ja, es war erhebend, dies Gefühl, großen Zwecken gemeinschaftlich zu dienen, diese Hoffnung, erreichen zu können, was wir kurzlebige Menschen bleibende Erfolge nennen, und was doch meist nach fünfzig Jahren überholt, verändert, entwertet ist. – Aber das wirklich Schöne, das war doch nur, daß wir beide uns liebten und wußten, daß das, inmitten aller wechselnden Bilder, das Bleibende sei.«

      Da mußte sich Ilse sagen, daß nicht nur der äußere Bau ihres Lebens kläglich und dürftig neben dem der neuen Freundin erschien, sondern daß ihm vor allem das gleiche, starke und alles tragende Fundament fehlte. – Und das war etwas, was sich bei einem Bau nicht mehr nachholen läßt.

      Wenn aber solch plötzliches Erkennen gar zu trostlos in Ilses schimmernden Augen zu lesen stand, dann streichelte die Gräfin sie mitleidig, wie ein armes Kind, das im Schlafe beraubt worden ist, und diese sanfte Frauenfreundschaft beschenkte mit so viel, daß Ilse darüber vergaß, wie arm sie eigentlich war.

      Doch wie eine Angst überkam sie manchmal der Gedanke, daß dies Zusammensein doch einmal aufhören müsse. »Was soll aus mir werden, wenn Sie erst wieder fort sind?« klagte sie.

      » Sie müssen, wenn wir im Winter in Berlin sind, auch eine Zeitlang hinkommen« – antwortete die Gräfin.

      »Das ist unmöglich, wir sind hier ja wie eingewurzelt,« seufzte Ilse, deren Jugend alle Zustände noch als Endgültigkeiten erschienen.

      »Ach Kindchen,« sagte die ältere Frau, »scheinbare Unmöglichkeiten räumen sich oft ganz von selbst aus dem Wege, so daß man manchmal glauben könnte, im Wünschen läge wirklich eine zwingende Macht.«

      Aber Ilses tägliche Besuche vergingen nicht nur in Gesprächen, vor allem sollten sie ja ihrer musikalischen Ausbildung gelten.

      Kaliwoda und Lydia Neuland hatten sie geprüft, ihr Klavierspiel, Gehör und Geschmack gelobt und ihrer Stimme eine schöne Entwicklung prophezeit, vom Glauben der Gräfin an die von der Großmutter ererbte Begabung getragen, wähnte nun Ilse, da läge die Zukunft und Möglichkeit, ein allereigenstes Dasein zu führen. Sie begann zu hoffen, ihre Stimme würde sich als so groß und schön erweisen, daß sie es vielleicht erreichen würde, ihrer Ausbildung halber im Winter nach Berlin zu dürfen. Der Gedanke, selbständig etwas leisten zu können, verlieh ihr Flügel. Sie entsann sich, wie sie einst, als ganz kleines Mädchen, ein Feuerwerk gesehen, wie sie den glänzend aufschwirrenden und in tausend Sternen zerstiebenden Raketen nachgeschaut und das bewundernde »ah« – der Menschen vernommen hatte, und wie da der kindische Wunsch in ihr entstand, auch einmal solch ein leuchtendes Etwas sein zu können, das strahlend zu Himmelshöhen steigt und nächtliche Finsternis zu blendendster Helle wandelt. – Und nun glaubte sie, daß dieser kindische Wunsch in Wahrheit ein Vorausahnen der in ihrer Eigenart begründeten Zukunft gewesen, und daß er sich ihr endlich erfüllen solle. Denn in der Kunst, da konnte ja auch eine Frau zu Höchstem gelangen und lichten Glanz über ein sonst dunkles Leben breiten.

      So sang und übte Ilse mit dem ganzen Tatendurst ihrer Seele. Wie stürmende Belagerer steile Höhen erklimmen, wie Schiffbrüchige in leckem Boot zum Ufer rudern, so arbeitete sie. – Leben, mehr als Leben galt es ja.

      Nie hatten Kaliwoda oder Lydia Neuland eine derartige Schülerin unterrichtet.

      »Mir ist manchmal bang um sie,« sagte der Pianist zu Lydia, »weil ich fürchte, daß sie dran zugrunde gehen würde, wenn etwas ihren Flug unterbräche.«

      »Und das könnte leicht geschehen,« antwortete die Sängerin, »denn das eigentliche Stimmmaterial ist doch schwächer in ihr wie die Begeisterung.«

      Kaliwoda nickte. »Ja, diese Begeisterung! Als wir ihr zuerst sagten, daß ihre Ausbildung sich lohne, da kam über sie ein erlöster Ausdruck, den ich nur einmal früher gesehen habe. Bei meiner Tournee in Amerika war es, in einer Minenstadt des Westens – da wurden gerade verschüttete Arbeiter aus einem Bergwerk zutage gebracht – die hatten diese selbe verzückte Glückseligkeit, als sie das Licht erblickten.«

      Die beiden großen Künstler förderten Ilse mit ihrem ganzen Können. – Zuerst hatten sie es nur aus Gefälligkeit für Gräfin Helmstedt unternommen, die ihnen, den ruhelos wandernden, durch vieles Getrennten, in Frohhausen einen Sommerhafen bot, wo sie, nach des Jahres Anstrengungen und Fahrten, einmal nebeneinander vor Anker gehen konnten; dann waren ihre feinen Künstlernerven von Ilses eigentümlichem Zauber berührt und in Schwingung gebracht worden, und schließlich interessierten sie sich für die Aufgabe selbst. Denn Ilse machte überraschende Fortschritte. Gräfin Helmstedt war bei dem Unterricht oft zugegen. Sie hatte ihr ganzes Leben Künstler um sich versammelt, gehörte zu den Menschen, die in Bayreuth und bei allen Musteraufführungen anzutreffen sind und verbrachte selbst täglich Stunden am Klavier. Ilses künstlerische Erweckung war so recht eine Tat nach ihrem Herzen, das überall impulsiv beglücken und befreien wollte. Ilse, die Unverwöhnte, empfand das. Es kettete sie an die Freundin. »Ich werde Ihnen das Glück meines Lebens verdanken,« sagte sie schwärmerisch.

      So verging eine selige Zeit mit unbegrenztem Arbeiten und unbegrenztem Hoffen.

      Ilses Vater hatte eigentlich in diesen Wochen seinen längst angesagten Besuch in Weltsöden ausführen wollen, aber dann schrieb Greinchen für ihn ab, weil er wieder von seinen alten Herzbeschwerden geplagt würde. – Statt seiner traf ein schöner Flügel ein, den er Ilse schenkte, nachdem sie ihm von ihren Musikstudien geschrieben hatte. Sie stellte das Instrument in ein Zimmer neben der braunen mit Straminstickerei gezierten Schlafstube. Es war dies ein unbenutzter Raum, wie er von voraussichtigen jungen Paaren für alle etwaigen Vorkommnisse bereit gehalten wird, und der in Weltsöden noch nicht seinen eigentlichen Namen führen konnte, sondern mit einer gewissen vorwurfsvollen Schärfe als »das leere Zimmer« bezeichnet wurde.

      Da stand nun der Bechstein, und Stunden konnte Ilse davor verbringen. Denn hier war sie ganz ungestört, niemand lauschte; und neben den von Kaliwoda und Lydia vorgeschriebenen Übungen und Stücken fanden ihre Hände und ihre Stimme allmählich eigene Begleitungen zu eigenen Melodien. Tastend und unbeholfen noch und doch für sie selbst unendlich beglückend. Als ob der Bann der Einsamkeit von ihr genommen würde, war dies Erlebnis, eine Sprache gefunden zu haben, in der sie all das große unklare Sehnen ausdrücken konnte, für das sie Worte nicht wußte. Ihre ganze Persönlichkeit entfaltete und kräftigte sich daran. Die Musik war ihr zur inneren Befreiung geworden.

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