Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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Depesche der Schwester mußte sie folgen. Nach eindringlichen Ermahnungen an die alte erfahrene Mamsell, nur ja nicht das rechtzeitige Einmachen von grünem Stachelbeermus zu vergessen, und Anweisungen an den langjährigen Gärtner, über die Zeitabstände, in denen Erbsen und Bohnen gelegt werden sollten, und unter völliger Übergehung der Schwiegertochter bei all diesen Anordnungen fuhr sie seufzend ab – im Gefühl, die Weltsödener Wirtschaft allerhand tückischen Gefahren zu überlassen.

      Ilse hätte nun eigentlich gern gezeigt, was sie konnte, und vielleicht auch an diesem ersten selbständigen Walten Freude gefunden, aber es gab gar keine Gelegenheiten zum Eingreifen in diesen seit vielen Jahren einer regelmäßigen Routine folgenden Haushalt. Die junge Frau des Besitzers war ein Gast im Hause und nicht mal ein sonderlich hoch bewerteter. Denn wenn auch der Zauber ihrer allzu zarten Schönheit bisweilen auf diesen oder jenen wirkte, und besonders der Gärtner sie oft anschaute, wie eine der fremdländischen Blumen, mit denen er sich so viel mehr Mühe wie mit den landläufigen Pflanzen geben mußte, so wußte man doch längst in Hof und Haus, daß neben der alten Gnädigen die junge nur eine sehr geringe Autorität war. Und all diese überaus einfach und natürlich empfindenden Menschen achteten ja auch in jeder Frau hauptsächlich nur die Mutter.

      Vielleicht hätten Theophil und Ilse nun in dieser ersten Zeit längeren, ungestörten Zusammenseins den Weg zueinander noch zurückfinden können, aber dieser Weg war doch wohl schon allzu weit geworden, und gar zu viel trennende Hindernisse lagen darauf. Ganz zu Anfang, wenn Theophil Ansichten aussprach, die Ilses Überzeugungen entgegengingen, hatte sie pochenden Herzens, aber mit einer seltsamen Tapferkeit widersprochen: nicht aus Rechthaberei, sondern weil sie noch den Wunsch und die Hoffnung hegte, mit ihm zur Verständigung zu kommen. Da hatte sie Theophil aber kopfschüttelnd angesehen und dozierend gesagt: »Du erstaunst mich, liebes Kind, durch dies förmliche Suchen nach eigenen, mir widersprechenden Einwänden. Du solltest dir doch sagen, daß ich nur dein Bestes will, und daß es vom Herrn also gefügt ist, daß du dich wie meinem physischen Schutz so auch meiner geistigen Führung anvertrauen sollst.«

      Diesen anfänglichen Wortgefechten trachtete Ilse nun schon längst aus dem Wege zu gehen, und sie war während der letzten Monate sehr still geworden, weil sie einzusehen begann, daß ihre wohlgemeinten Aussprachsversuche doch zu nichts führten. Theophil dagegen, der in diesem neuerlichen Schweigen weniger die der Frau wohl anstehende Selbstauslöschung zu erkennen glaubte, wie vielmehr ein Beharren in verborgenem Trotze, stellte nun oft absichtlich Behauptungen auf, von denen er ahnte, daß sie ihr widerstreben mußten. Es machte ihm denselben Spaß, sie zu Entgegnungen zu reizen, wie junge Hunde zu necken, bis diese zuschnappten, worauf er ihnen dann einen erzieherischen Klaps auf die Schnauze zu versetzen pflegte. Ließ sich Ilse aber wirklich zu einer widersprechenden Äußerung verleiten, so seufzte er gekränkt und sagte verweisend: »Die Insubordination liegt dir offenbar im Blute,« was eine Anspielung auf Ilses fürstlichen Großvater und musikalische Großmutter sein sollte, die sich so eigenwillig einst ihren Lebensweg gebahnt. Theophil strafte Ilse dann, indem er tagelang gar nicht mehr mit ihr sprach, und es konnte dabei vorkommen, daß er überhaupt vergessen hatte, was eigentlich der ursprüngliche Anlaß zu seiner Mißbilligung gewesen war.

      Aus diesen zuerst einzelnen Anlässen ging dann allmählich eine dauernde Wandlung in ihrem Verkehre hervor. Mehr denn je verbrachte Theophil jetzt seine Morgen auf dem Felde, in den Ställen und dem Walde, von dem ererbten Mißtrauen geplagt, daß Rumkehr und Treumann strengster Beaufsichtigung bedürften. Heiß und müde kehrte er heim zum Mittagessen, bei dem er die während seiner Morgenwanderungen eingetroffenen Zeitungen und Briefschaften las.

      Nachher zog er sich mit der Zigarre in sein Arbeitszimmer zurück, zu kurzem Schlaf und umständlicher Erledigung der verschiedenen Eingänge; danach ging er wieder aus bis zum Abend. Auch während der von Ilse so sehr gefürchteten Stunden in dem braunen mit Straminstickereien gezierten Zimmer, blieb er jetzt meist kühl und zerstreut – es war, als habe das Erzwingen eigenen Willens allmählich an Reiz verloren. Häufiger als früher benutzte Theophil alle Anlässe, in die Kreisstadt zu fahren, für deren Honoratioren der Besitzer von Weltsöden ein großer Herr war. Und häufiger auch als sonst kehrte er unterwegs bei Mechtild ein – in einen Sessel gestreckt schaute er wohlgefällig zu, wie Fräulein von St. Pierre sich über den Teetisch beugte, zwischen Zuckerdose und Butterbrötchen mit den rundlichen, weißen Händen hantierte und ihm, weichen, wiegenden Ganges, die dampfende Tasse an seinen Platz brachte, als sei es eine symbolische Handlung, die sagen sollte: Hier war eine Frau, die keine eigenen Ansichten gekannt und nur dem Mann gedient hätte.

      Theophil bemerkte es kaum, daß währenddessen in Ilses Leben neue Einflüsse traten.

      Beinahe täglich war sie jetzt im nahen Frohhausen, und wenn die Gräfin sie nicht im Wagen holen ließ, so legte sie den kurzen Weg zu Fuß zurück.

      Als Ilse das erstemal dort eintrat, war sie ganz benommen gewesen von dem Fremden, das sie sah. Aus allen Orten, wohin ihres Mannes Laufbahn sie geführt, hatte Gräfin Helmstedt Andenken mitgebracht. In ihrem Hause konnte man einen Spaziergang durch ihr Leben machen, und da ihr Leben sich in den verschiedensten Ländern abgespielt hatte, war es eigentlich ein Spaziergang durch die ganze Welt. Aber es lag in alledem nichts von der Kühle unbenutzter Sammlungen. – Die persischen, mit seinen Miniaturen geschmückten Bände wurden aufgeschlagen und studiert; die japanischen Vasen dienten wirklich großen Sträußen; und mit den verblaßten chinesischen Sammeten waren alte italienische Möbel bespannt, zu deren abgeriebenen Vergoldungen sie seltsam harmonisch stimmten. Alle Dinge hatten eine tatsächliche Beziehung zu ihren Besitzern. Darum fühlte sich Ilse bald heimisch in Frohhausen – heimisch auch bei dem antiken Eros mit den geschlossenen Augen und tastend ausgestreckten Händen, der auf hohem Sockel im lichten Hausflur stand und den Graf und Gräfin Helmstedt einst aus Griechenland heimgebracht hatten, aus Griechenland, wo sie sich vor zwanzig Jahren zuerst gesehen.

      Immer inniger und dankbarer schloß sich die vereinsamte Ilse ihren neuen Freunden an. Sie wurden ihr zu Führern in bisher unbekannten Welten. Denn fremder noch wie die Gegenstände aus fernen Ländern waren die Gedanken und Erzählungen, die Ilse in Frohhausen vernahm. Andächtig lauschte sie, wie da Menschen, die zu den bekanntesten der Erde gehörten, als Freunde, Kollegen, als frühere Mitarbeiter oder Gegner erwähnt und beurteilt wurden. Und es konnte manchmal irgendein zufälliges Wort plötzlich vor ihr enthüllen, wie sehr dem Grafen einst die Begebenheiten der Weltgeschichte nicht Dinge gewesen waren, von denen man überrascht in den Morgenzeitungen liest, sondern an deren Werden er in manch schlafloser Nacht mitgearbeitet hatte.

      In dem Zimmer, wo die Besitzer Frohhausens Ilsen also erzählten, blickten von den Wänden die Porträts etlicher Souveräne auf sie herab. Fremde und heimische. Und allerhand andere höchste Huldbeweise waren da aufgespeichert – Dosen, Nippes, kostbar eingerahmte Photographien, Vasen königlicher Manufakturen und was der Dinge mehr sind, durch die Gunst sich äußert und die sie meist überdauern. – »Requisiten der Vergangenheit« nannte die Gräfin all diese Sachen, die den Besuchern aus den Nachbargütern gewaltig imponierten und Graf Helmstedt in ihren Augen ein großes Ansehen verliehen. Er war doch der einzige in der Gegend, der Herrscherbilder besaß und Photographien, auf die allerhöchste Hände in einem Augenblick froher Laune huldvolle Grüße, scherzende Worte hingeschrieben hatten. Worte, die, so nach Jahren gelesen, wie versteinertes Lächeln wirkten, dessen Grund niemand mehr kennt.

      Ilse ließ sich von dem Grafen die Episoden erklären, auf die da angespielt wurde. In wieviel Begebenheiten und Charaktere hatte er doch Einblick gehabt! Ihr Herz schlug höher bei dem Gedanken an solch ein Leben, das wirklich Leben gewesen. Und dann wieder schien es ihr unendlich hart, daß das alles hier so endete, und die ungenutzte Kraft dieses Mannes nur noch im Ertragen der weiteren Jahre verbraucht werden sollte. – War denn wirklich Entsagen immer und überall das letzte Wort? In jedem Dasein, auch solchem, das sich mit so stolzem Fluge weit über Durchschnittsmaß erhoben? – Sie wollte nicht zugeben, daß dies ein Allen geltendes Gesetz sein könne. Der Jugend Glaube an Sonderrecht und ihre Zuversicht, Unerreichtes doch zu erreichen, sträubten sich gegen solche Erkenntnis. Sie begriff oft kaum, wie der Graf die ihm jetzt beschiedene ländliche

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