Ille mihi. Elisabeth von Heyking

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Ille mihi - Elisabeth von Heyking

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damals, als sich jener Roman zwischen ihnen Zutrug, über den noch heute die Edeldamen des Kreises Sandhagen sich gerne gruselnd unterhielten.

      »Wir müssen diesem armen Kinde beistehen,« sagte die Gräfin.

      »Ja, wir müssen,« antwortete er, ihren überzeugten Ton nachahmend, »denn das ist nun einmal deine Spezialität, Gisi! Du hast sicher irgendein Tröpfchen von Don Quichotes Blut in den Adern und erblickst überall Unterdrückte, denen du helfen mußt.«

      »Es ist ein Abtragen eigener Glücksschuld, Ludwig,« sagte sie leise, »und diese kleine Ilse tut mir nun mal gar zu leid – sie sieht ja so erschrocken aus wie ein Elfchen, das zwischen lauter Ichthyosauren verirrt wäre.«

      »Und das hätte dann doch wenigstens Flügel und könnte davon,« antwortete ihr Mann.

      »Ja, die kann ich ihr freilich nicht geben,« sagte die Gräfin, »aber wenigstens soll sie oft zu uns kommen – weißt du, sie erinnerte mich beinahe schmerzlich an mich selbst, wie ich war, damals, ehe ich dich kannte.«

      In dem Wagen stahl sich ihre Hand in die seine, als wären sie zwei junge Liebesleute.

      »Dann aber wuchsen dir die Flügel,« sagte er.

      »Die schenktest du mir ja,« antwortete sie, »daß ich mit dir könnte.«

      »Und du hast es nie bereut —? —« Es sollte eine Frage sein, aber er war ihrer Antwort so sicher, daß es mehr wie eine dankbare Behauptung klang.

      Sie antwortete auch gar nicht, sondern lachte nur ihr leise perlendes Lachen.

      »So wenig bereut,« fragte er nun, »daß du sogar dasselbe Erleben einer anderen wünschen würdest?«

      »Ja,« antwortete sie ohne Besinnen, »wenn der andere wie du wäre.«

      Sie lachten nun beide, und der Graf sagte, indem er auf die flache nüchterne Gegend wies, aus deren sandigem Boden es spärlich sprießte: »Ich glaube etwas an den Einfluß der Umgebung auf die Erlebnisse – wir beide trafen uns in Griechenland – hier in dieser Gegend muß man sehr sicher sein vor allen befreienden Begebenheiten.«

      »Ja, Kummerfelde, Sorgental, und wie die Orte alle heißen – das klingt freilich nicht nach Flügelwachsen! – Wie verschieden, Ludwig, müssen doch deine Vorfahren von den Zehrenschen gewesen sein! Ganz zur selben Zeit, nach dem dreißigjährigen Kriege, bauten sich eure beiden Ahnherren hier wieder an, der eine nannte sein Haus Weltsöden, der andere aber schuf sich unser liebes Frohhausen!«

      »Er ahnte vielleicht dein einstmaliges Kommen, Gisi – und all das Beste hier hast doch du geschaffen!«

      Der Wagen verließ nun die Landstraße. Durch das weit geöffnete Tor, über dem die alte schmiedeeiserne Laterne hing, fuhr er, vorbei an den beiden niedrigen Pförtnerhäuschen mit den hohen abgesetzten Dächern und bog in die lange Allee uralter Linden. Ganz am Ende, über der ansteigenden Rampe, schimmerte lockend das weiße Schloß.

      Dort in dem weißen Schlosse schrieb Gisi Helmstedt noch am selben Abend:

      »Lieber Walden! Da säßen wir denn auf der »heimatlichen Scholle«, wie es ja wohl heißt. In vergangenen Jahren bin ich zwar schon oft während der kurzen Urlaubsreisen meines Mannes ein paar Wochen hier gewesen, aber jetzt, wo seine amtliche Laufbahn beendigt ist, werden wir wohl häufiger und länger hier sein und wollen gleich dies Jahr mindestens bis in den Spätherbst bleiben. – Bei jenen früheren Besuchen habe ich auch hier Land und Leute nur mit dem gewissen, zwar rasch erfassenden, aber doch etwas oberflächlichen Diplomatenblick betrachtet, den wir uns alle angewöhnen, um uns schnell in den wechselnden Milieus zurecht zu finden, durch die fremder Wille unser nomadisierendes Dasein treibt. Jetzt aber ist mit allem äußeren Zwang auch alle Eile aus dem Leben geschwunden, und ich kann diese Welt mit jener Gründlichkeit betrachten, die ein Charakterzug meiner angeheirateten Landsleute sein soll. Ich kann – um ganz deutsch zu reden – trachten, zu ergründen, was hinter den Erscheinungen als eigentliches Wesen steht.

      Und da will es mich nun dünken, daß dies Eigentlichste etwas ganz Feststehendes, Unveränderliches ist, so daß die Menschen hier, Männer wie Frauen, nicht so sehr differenzierte Persönlichkeiten der modernen Welt zu sein scheinen, als vielmehr Inkarnationen von unwandelbaren Begriffen – von Begriffen, die wohl aus dem kärglichen Boden des Landes stammen und mit seiner Geschichte zusammenhängen. – Leute sind es, deren Vorfahren von jeher unter oft harten und beinahe immer einengenden Lebensbedingungen aufwuchsen und die das Verbum »müssen« häufig genug konjugiert haben mögen. Dadurch wird wohl dies Trotzige und zugleich doch streng Disziplinierte in sie gekommen sein, das uns Menschen weicheren Materials so oft auffällt – eine Wesensmischung, die aus zwei sich scheinbar widerstreitenden Elementen besteht und die doch den festen Kitt bildet, der hier alles zusammenhält.

      »Du sollst dich auf der ererbten Scholle behaupten« ist, glaube ich, eines jeden oberster, unanfechtbarer Glaubenssatz. Was diesem Ziele dient, muß gestützt, was ihm hinderlich ist, bekämpft werden. Da gibt es kein Schwanken noch Zaudern. Denn all die Leute hier sind, glaub ich, ganz ehrlich überzeugt von der Richtigkeit und Heilsamkeit derjenigen Weltordnung, die sie repräsentieren, weil es eben diejenige ist, auf der sich von altersher ihr Preußen aufgebaut hat und die dabei die Existenz ihres eigenen Standes sicherstellt. Etwas, das diese Weltordnung beeinträchtigt, müßte ihnen als ein ebensolcher Frevel erscheinen, wie eine absichtliche Deteriorierung des Grund und Bodens, in dem ihr ganzes Dasein wurzelt. Von inneren Kämpfen, Entwicklungsgängen und Wandlungen, von dem quälenden Zweifel »was ist Wahrheit?« wird wohl schwerlich jemand hier angefochten, und ein jeder könnte bei der Konfirmation neben dem religiösen auch zugleich ein Gelübde der staatlichen und sozialen Überzeugungen ablegen, die er bis zu seinem seligen Ende treu bewahren wird.

      Solchen versteinerten Anschauungen gegenüber wird jedes Anderssein zur Schuld, und ich fühle, wie hier nicht nur mein Ausländertum, sondern auch Ludwigs von der hiesigen etwas abweichende politische Färbung mit Mißtrauen betrachtet wird. Ja, jede eigenartige Individualität ist schon unbeliebt und erscheint als gefährlich, weil sie in den Verdacht kommt, am Bestehenden eine unerlaubte Kritik üben zu wollen. Und Menschen, die selbst sicher bereit wären, für ihre Überzeugungen Opfer zu bringen, ja sich dafür nötigenfalls totschießen zu lassen, schöpfen aus diesem Bewußtsein eigener Unanzweifelbarkeit die Berechtigung des Hasses gegen jeden Andersdenkenden, wehe aber besonders dem, der, aus ihren Reihen sich lösend, angestammter Tradition entgegentreten wollte! Den würden sie erbarmungslos als geächteten Deserteur verfolgen!

      Und in dieser Umgebung der Schroffheit und grazienlosen Härte habe ich nun die junge Frau Ilse von Zehren kennen gelernt, die sie neulich in Ihrem Briefe erwähnten! Ein Wesen aus einer ganz anderen Welt, dem man das künstlerische Blut und die übersensitive, schwärmerische Anlage sofort anmerkt. – Da kann man sich wohl fragen: wie wird sie, die wie eine Verkörperung von Glücks- und Schönheitssehnsucht erscheint, sich hier Zurecht finden, wo eine so völlige ästhetische Bedürfnislosigkeit herrscht, und wo das wenige, was an Kunst als zulässig geduldet wird, auch noch den Stempel autoritativer Genehmigung tragen muß?

      Nun, ich will auf alle Fälle suchen, sie möglichst zu uns zu ziehen, und es wird mir selbst ja eine Freude sein, etwas Schönheit in ihr Dasein zu bringen, vor allem will ich sehen, ob sie eine ausgesprochene Verausgabung zur Musik hat, wie es bei ihrer Abstammung von der berühmten Sängerin Ingeborg Thor Hacken eigentlich anzunehmen ist. – Das wird Sie gewiß interessieren, lieber Walden, der Sie mir mit Ihrem Singen so oft schöne Stunden bereitet haben.«

      Gräfin Helmstedt gehörte zu den Menschen, deren Wünsche immer durch äußere Begebenheiten gefördert werden. So erfüllte sich auch ihr Wunsch, Ilse häufig bei sich zu sehen, ganz von selbst. Theophils Mutter, die vielleicht einen ihr allzu intim dünkenden Verkehr verhindert

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