Pfarre und Schule. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich

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Pfarre und Schule. Dritter Band. - Gerstäcker Friedrich

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Schaar war die einzige Antwort, die er erhielt, die ganze Schützengesellschaft, die ihn unverantwortlicher Weise den Händen dieser Brut überlassen, war längst hinter den höher liegenden Feldern verschwunden – sein Vater mußte bei dem Hasenwagen bleiben und keine Rettung schien für ihn aus der Gewalt dieser entmenschten Bauern.

      »Nackigd muß er dorch's Dorf!« schrie Müllers Friede und riß mit einem Ruck seiner starken Faust die Halsbinde entzwei und das Hemd hinten von einander – »nachens kann er springen.«

      Fritz erwiederte kein Wort, aber mit einem plötzlichen Stoß gelang es ihm, seinen rechten Arm frei zu bekommen, und ehe die Nächststehenden diesen erfassen konnten, fuhr er in die rechte Tasche seiner weiten hellfarbenen Beinkleider, aus denen er mit glücklichem Griff den dort bewahrten Genickfänger riß, die Scheide flog im Herausziehen ab, und Krautsch, der ihn jetzt an der Gurgel gefaßt hielt, mit scharfem Strich das Messer durch's Gesicht ziehend, daß dieser laut aufschreiend zurücktaumelte, schwang er es hoch und brachte dadurch seine Henker zu einem plötzlichen fast unwillkürlichen Rücksprung.

      Mit raschem kundigen Blick überflog aber jetzt der, zur Verzweiflung getriebenen Jäger das Terrain; gerade dort an der lichtesten Stelle stand ein kleiner Junge, der die ihm selbst genommene Flinte halten mußte; auf den flog er, ehe nur Einer sein Vorhaben ahnen oder gar verhindern konnte, zu, riß, indem er ihn zu Boden schlug, das Gewehr an sich und wandte sich zur Flucht.

      »Halt ihn!« schrie da Müllers Friede und warf sich ihm mit heiserem, wüthenden Zornesruf entgegen – und noch ein Moment und er hatte ihn ergriffen – dann aber –

      Ein Schuß schmetterte mitten in die entsetzt zurückfahrende Schaar hinein.

      »Ich bin getroffen!« schrie da Müller – lief mit ausgestreckten Armen wohl fünf Schritte hinter dem jetzt in flüchtigen Sätzen entspringenden Jäger her und stürzte dann – eine Leiche – auf das Gesicht nieder.

      »Faßt ihn – haltet ihn!« rief Krautsch, dem durch den Schnitt über's Gesicht das Blut in die Augen gelaufen war, daß er diese nicht einmal öffnen konnte.

      Aber keiner regte sich von der Stelle – der Tod war zu plötzlich und entsetzlich zwischen sie getreten, als daß sie in diesem Augenblicke Lust zu weiterer Gewaltthat gehabt, oder auch nur an Verfolgung gedacht hätten.

      Fritz entsprang dem Walde zu, um dort den Feinden, falls sie ihm nachsetzen sollten, am leichtesten zu entgehn, da er aber keinen derselben hinter sich sah, änderte er seine Richtung und floh jetzt, so rasch er konnte, dem unteren Theile von Horneck, in dem das Rittergut lag, zu.

      Zweites Kapitel

      Der Oberpostdirector

      »Der Herr Oberpostdirector sind eben von der Jagd zurückgekommen, aber sogleich zu sprechen – wenn der Herr Doctor sich nur einen Augenblick gedulden, und hier gefälligst eintreten wollten,« sagte der alte Poller, und öffnete mit einem knechtischen unterthänigsten Diener die Thür des nächsten Zimmers.

      »Gut – schön,« sagte Wahlert zerstreut, nahm den Hut ab, und betrat das Gemach, wo er, als er Niemanden darin erblickte, rasch und ungeduldig hin und wieder schritt – manchmal am Fenster stehen blieb, in den Hof hinabsah, wieder umkehrte, und seine Wanderung von Neuem begann.

      Endlich ging die aus dem Nebenzimmer hereinführende Thür auf, und der Herr von Gaulitz betrat mit höflicher, mild freundlicher Verbeugung das Zimmer. Doctor Wahlert erwiederte kalt und förmlich den Gruß.

      »Ah, Herr Doctor Wahlert,« sagte, als ob er einen lieben, lange nicht gesehenen Freund ganz plötzlich wieder erkannt hätte, der Oberpostdirector – »ei, das freut mich ja doch ganz ungemein, daß Sie mir die Ehre geben. Es waren allerdings ganz eigenthümliche Verhältnisse, unter denen wir uns das letzte Mal sahen, aber die Zeit – die Umstände – Sie werden – Sie haben gewiß – Sie tragen mir gewiß keinen Groll deshalb nach, nicht wahr, mein guter Herr Doctor – ganz eigenthümliche Verhältnisse. – Was – wenn ich fragen darf, – verschafft mir denn jetzt eigentlich das so ganz unerwartete Vergnügen? – aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?«

      »Wunderbarer Weise führen mich eben so eigenthümliche Verhältnisse, auch durch die Zeit geboten, zu Ihnen her,« erwiederte ihm, die Einladung zum Sitzen mit leiser Handbewegung ablehnend, Wahlert. »Herr Oberpostdirector, ich komme nicht für mich, sondern für ein anderes unglückseliges Geschöpf, das Sie elend gemacht haben, hierher, Gerechtigkeit zu verlangen – Gerechtigkeit zu fordern, und wenn ich sie nicht erlangen kann, sie im schlimmsten Fall zu – erzwingen. Es ist besser, daß wir uns ohne weiteres auf den Standpunkt stellen, auf dem wir zusammen stehen müssen, wir ersparen dabei eine Menge Umstände, die uns im anderen Falle nur die kostbare Zeit rauben würden.«

      »Sie sind ungemein aufrichtig und ungenirt,« lächelte der Herr von Gaulitz in süßer Verlegenheit den jungen Mann an – »spannen aber doch, wie ich wirklich gestehen muß, und trotz Ihrer lobenswerthen Eile, um zur Sache zu kommen, meine Neugierde in peinlichster Weise auf die Folter. Dürfte ich Sie wohl ersuchen, mir zu sagen, was dieser langen, schönen Rede kurzer Sinn eigentlich ist, und ob Sie auch in der That den Oberpostdirector von Gaulitz gesucht haben, um an ihn all' diese wunderbaren, und durch ein so treffliches Vorwort eingeleiteten Anforderungen zu stellen?«

      »Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert, der sarkastischen Kälte wiederum ernste Ruhe entgegenstellend, »die Sache geht Sie tiefer an, als Sie vermuthen, und ich erbitte für wenige Minuten mir Ihre volle Aufmerksamkeit.«

      »Aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?«

      Wahlert ließ sich, ohne etwas darauf zu erwiedern, dem Oberpostdirector dicht gegenüber auf einem Stuhle nieder, und sagte mit leiser, absichtlich halb unterdrückter Stimme:

      »Kennen Sie Marie Meier?«

      Der Oberpostdirector entfärbte sich leicht, sammelte sich aber bald wieder, sah eine kurze Zeit, wie über etwas nachdenkend vor sich nieder, und antwortete dann:

      »Hm, hm – ich dächte – ich dächte, eine Marie Meier wäre einmal vor einiger Zeit Wirthschafterin bei mir gewesen – ich kann mich aber doch nicht mehr so recht darauf besinnen.«

      »Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert aufstehend, »ich kenne Ihr ganzes Verbrechen, Verstellung – Leugnen, helfen Ihnen nichts mehr – Marie hat mir Alles gestanden, und Sie wissen, was Ihnen bevorsteht, wenn ich diese Thatsachen der Oeffentlichkeit übergebe.«

      »Mein Herr –« sagte von Gaulitz, der noch immer hoffte, durch eine kecke Stirn dem jungen unerschrockenen Mann zu imponiren – »Sie vergessen, mit wem Sie reden – ich bin ein Mann, dessen frommer Wandel der Welt bekannt ist, und den ehrenschänderische Gerüchte nicht im Stande sind, weder vor den Augen des Publicums, noch vor Gericht zu verdächtigen. Ich ersuche Sie in meinen eigenen vier Pfählen um die Achtung, die ich in meiner Stellung erwarten und beanspruchen kann.«

      »So zwingen Sie mich denn,« erwiederte mit finsterem Blick und Ton Wahlert, »zu einem Schritt, den ich Ihretwegen gern vermieden hätte. – Herr Oberpostdirector, ich kenne Ihren ganzen Charakter – mein Vater ist, wie Sie wissen, Generalsuperintendent, und Ihnen, wenn auch nicht befreundet, doch bekannt – durch ihn erfuhr ich diese sogenannte Frömmigkeit, mit der Sie vor den Augen der Welt den Ruf eines gottesfürchtigen ehrlichen Mannes zu behaupten wußten.«

      »Herr Doctor Wahlert!« rief von Gaulitz, seinen aufsteigenden Zorn kaum unterdrückend.

      »Hierdurch aufmerksam gemacht,« fuhr aber Wahlert, den aufwallenden Grimm des Mannes gar nicht beachtend, fort, »und den Interessen des Volkes meine Zeit widmend, nahm ich mir die Mühe, mich näher

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