Pfarre und Schule. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich

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Pfarre und Schule. Dritter Band. - Gerstäcker Friedrich

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– das Kritzeln der hastig geführten Feder kündete ihm seinen Sieg. Im nächsten Augenblick reichte ihm der Oberpostdirector das Blatt hinüber – er warf einen Blick darauf, verbeugte sich, faltete es zusammen, schob es in seine Brusttasche und öffnete eben die Thür, das Zimmer wieder zu verlassen, als draußen eine wildverstörte, blutbedeckte, von Lumpen umhangene Gestalt mit der aufgezogenen Jagdflinte in der Hand in die Thüre sprang, und eine heisere Stimme in kaum hörbaren Lauten frug –

      »Wo ist der Herr?«

      »Heiliger Gott!« rief Wahlert und trat, entsetzt über den schaurigen Anblick, auf den Vorsaal hinaus, der Oberpostdirector aber, durch den Ausruf aufmerksam gemacht, folgte ihm rasch, sah zuerst die Gestalt, die er wahrscheinlich nicht einmal gleich erkennen mochte, erstaunt an und rief dann, mehr überrascht als bestürzt: –

      »Fritz Holke – was machst Du in dem Aufzug hier? – Mensch wie siehst Du aus?«

      »Retten – Schützen Sie mich!« war aber Alles, was der arme Teufel vor Erschöpfung und Angst und Aufregung über die Lippen bringen konnte – »ich habe – ich habe einen Menschen – erschossen – den Müllerburschen aus – aus der Rauschenmühle – sie werden – sie werden gleich hier sein – großer allmächtiger Gott, ich bin ein Mörder!«

      Wahlert war an die Seite und etwas zurückgetreten, und ein schweigender aber wachsamer Zeuge der folgenden Scene.

      »Ein Mörder?« rief der Gutsherr jetzt wirklich bestürzt, und blickte die Leidensgestalt, in deren Antlitz jeder Zug die Wahrheit der Worte bestätigte, forschend an, »Mensch, Du siehst fürchterlich aus!«

      Fritz erzählte jetzt mit flüchtigen Worten, und so gedrängt als möglich, den ganzen Vorfall, wie er von den Bauern mishandelt, mit was er bedroht worden, und endlich nur in letzter Verzweiflung, seiner selbst fast unbewußt, nach der Waffe gegriffen und die Mündung dem vorspringenden Feind drohend vorgehalten habe – dann war der Schuß gefallen – der Mann – als er sich nach ihm umschaute, gestürzt, und weiter wußte er selber Nichts mehr, weder von sich selbst noch von der ihn umgebenden Welt – Flucht war sein einziger Gedanke gewesen, Flucht, vor dem Erschlagenen fast mehr als den verfolgenden Menschen, und er, der Gutsherr, der ihm selber befohlen habe, streng gegen alle Wildfrevler zu verfahren, sei der Mann, der ihn schützen werde, schützen müsse vor der Rache der Bauern.

      »Nun das hätte mir noch gefehlt!« rief jetzt der Herr von Gaulitz, der in dem Interesse, das er an der athemlosen Erzählung seines Jägerburschen nahm, die Anwesenheit des dritten Mannes ganz vergessen zu haben schien. – »Ich soll mich in deine Streitigkeiten mit dem Bauergesindel mischen, und wohl gar noch einen Mörder und Todtschläger in meinem Hause beherbergen, daß sie mir nachher das Dach über dem Kopf anstecken? – nein wahrhaftig nicht – wer hieß Dich gleich abdrücken, der, der Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden, steht in der heiligen Schrift – ›wo Jemand an seinem Nächsten frevelt und ihn mit List erwürget, so sollst Du denselben vor meinen Altar nehmen, daß man ihn tödte‹ und ›Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule!‹«

      »Herr des Himmels« stöhnte da Fritz in Todesangst, – »Sie sagen das, Sie, der Sie mir hier an dieser Stelle, wo wir jetzt bei einander stehn, zuriefen – ›Schieße die Wildfrevler nieder – und auf meine Verantwortung?‹ An mich gehalten hab' ich und Alles ertragen, um nicht ein Mörder zu werden, die Feindschaft aller Bauern dabei durch den Eifer auf mich gelenkt, den ich in Ihrem Dienst bewiesen, und jetzt – jetzt, wo ich in Selbstvertheidigung vielleicht mein Leben, oder was noch mehr ist, meine Ehre retten mußte – jetzt, wo ich den ärgsten Wilddieb, der je auf Hornecker Revier mit der Flinte herumgezogen, auf Hornecker Revier, niedergeschossen habe, jetzt bin ich ein ruchloser Mörder und soll allein, elend in die Welt hinausgestoßen werden. Gut, ich will gehen, den Bauern will ich entgegengehn und sagen hier – hier Ihr Schurken – hier nehmt Rache an dem vergossenen Blut – Auge um Auge, Zahn um Zahn – aber mein Blut kommt über den Gutsherrn drinn und Gott möge ihm einst in seiner letzten Stunde –«

      »Poller – Poller!« rief der Oberpostdirector, in voller Aufregung zu der schmalen steilen Treppe gehend, die in die Bedientenstube hinunterführte – »Poller!«

      »Zu Befehl Euer Gnaden!« antwortete die bereite Stimme des Dieners, der unten an der Treppe gehorcht, sich aber wohl gehütet hatte, seinen Kopf oben blicken zu lassen.

      »Ruf mir den Christoph und Dietrich – schnell – sie sollen mir den Burschen da aus dem Hause prügeln.«

      »Prügeln!« rief der arme mishandelte und in den Staub getretene Jägerbursche, und wie unwillkürlich fuhr er mit der gewohnten Waffe empor.

      Der Oberpostdirector wandte sich in diesem Augenblick nach ihm um, sah die drohende Bewegung des so schon zur Verzweiflung getriebenen Jägers, der mit flatternden Haaren und blutbedecktem Antlitz, wie ein zum Sprung bereiter Panther vor ihm stand, und trat, mit einem nur halblaut ausgestoßenen Schrei einen Schritt zurück. Dicht hinter ihm aber waren die Stiegen, er verfehlte die oberste Stufe, glitt aus, griff nach dem Geländer – der schwere Körper gewann aber das Uebergewicht und polternd, und Hülfe rufend, stürzte er die wohl zwanzig Fuß tiefe, sehr steile Treppe, mit dem Kopf voran, unaufhaltsam hinunter.

      »Gebe Gott, daß er den Hals gebrochen hat!« sagte Wahlert ruhig, während Fritz in stummem Entsetzen zur Treppe sprang, um nach zu sehn, ob sich der Gutsherr wirklich Schaden gethan. Wahlert aber ergriff seinen Arm, zog ihn mit sich nach der Thür und sagte hier rasch und leise:

      »Jetzt fort mit Ihnen – überlassen sie den Cadaver seinem Schicksal – ob er todt oder lebendig ist, braucht uns wenig zu kümmern – es wäre ein Gottesgericht gewesen – aber auch zu milde, denn wenn es überhaupt Gerechtigkeit in der Welt giebt, hatte ich immer noch gehofft den Schurken einmal hängen zu sehn. Für Sie ist aber kein Bleibens mehr im Ort – auch drüben bei Ihrem Vater können Sie sich nicht aufhalten, Sie würden jedenfalls, dem souverainen Volk jetzt gegenüber, eingezogen – vielleicht gestraft, und doch sagt mir Ihr ganzes Aeußere, daß Sie recht gehandelt.«

      »Aber wo soll ich hin?« rief Fritz verstört und unschlüssig – »in diesem Aufzug –«

      »Dazu kann Rath werden« erwiederte Wahlert – »hier« – und er zog seinen Burnus aus, hing ihn dem Jägerburschen über und drückte ihm dann den eignen Hut in die Stirn. – »So, hier drinn steht eine Flasche mit Wasser, da – nehmen Sie dieß Taschentuch, so – über dem Auge ist noch etwas – oh das ist eine Wunde, nun die wird schon heilen; ziehen Sie den Hut ein wenig in's Gesicht und gehn Sie jetzt geraden Wegs nach Bachstetten hinüber zum Schullehrer – halt – der ist heute Abend hier in Horneck – desto besser – so kann er Sie selbst mitnehmen – jetzt nur fort. Oben wo der Graben in den Wald läuft, in welchem ich damals von gewissen Leuten verfolgt, heraus und nach der Pfarre zu kroch, treffen wir uns – fort – die Leute kommen mit dem Gestürzten herauf.«

      »Aber meine Flinte? –«

      »Nehme ich unterdessen und werde dafür sorgen, daß sie wieder in Ihre Hände kommt.«

      »Und mein Vater?«

      »Soll durch mich erfahren, daß Sie in Sicherheit sind.« –

      »Und –«

      »Und wer?« – Fritz antwortete nicht – »Fort denn,« sagte Wahlert, »Sie haben keine Secunde mehr zu verlieren!«

      Er zog den Jäger mit sich aus der Thür, die er hinter sich wieder schloß, brachte ihn vor das Gut hinaus und sah dort noch eine Weile hinter ihm drein, als er nach flüchtigem aber herzlichen Dank in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung auf schmalen dunkeln, ihm aber wohlbekannten Gartenpfaden durch das Dorf hinauf und wahrscheinlich

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