Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

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Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк Moderne Prosa

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und dann die trostlose Dankbarkeit, einen anderen Atem neben sich zu hören – aber was ist das gegen den Zwang der Phantasie, die das Blut trinkt und einen am Morgen aufwachen lässt mit dem schalen Geschmack, dass man sich missbraucht hat?

      Wenn ich es jetzt erzähle, ist alles unsinnig und widerspricht sich; damals war es nicht so. Aus all den Kämpfen blieb immer das eine übrig: ich musste zurück. Ich musste meine Frau noch einmal sehen. Es konnte sein, dass sie längst mit jemand anderem lebte. Das war gleich. Ich musste sie sehen. Es schien mir vollkommen logisch.

      Die Nachrichten über den bevorstehenden Krieg verstärkten sich. Jeder sah, dass Hitler, der sein Versprechen, nur Sudetendeutschland*, nicht aber die ganze Tschechoslowakei zu besetzen, sofort gebrochen hatte, nun dasselbe mit Polen begann. Der Krieg musste kommen. Die Bündnisse Frankreichs und Englands mit Polen ließen nichts anderes zu. Und es war nicht mehr eine Sache von Monaten; nur noch eine von Wochen. Auch für mich. Auch für mein Leben. Ich musste mich entschließen. Ich tat es. Ich wollte hinüber. Was nachher kam, wusste ich nicht. Es war auch gleichgültig. Wenn der Krieg kam, war ich ohnehin verloren. Ich konnte geradesogut das Verrükte tun.

      Eine merkwürdige Heiterkeit kam in den letzten Tagen über mich. Es war Mai, und die Beete am Rond Point waren bunt mit Tulpen. Die frühen Abende hatten bereits das silbrige Licht der Impressionisten, die blauen Schatten und den hohen, hellgrünen Himmel hinter dem kalten Gaslicht der ersten Straßenlampen und den ruhelosen, roten Bändern der Leuchtschrift an den Dächern der Zeitungsgebäude, die den Krieg verkünde ten für jeden, der sie lesen konnte.

      Ich fuhr zuerst in die Schweiz. Ich wollte meinen Pass auf einem ungefährlichen Gebiet erproben, bevor ich an ihn glaubte. Der französische Zollbeamte gab ihn mir gleichgültig zurück; das hatte ich erwartet. Eine Ausreise ist nur in Ländern mit einer Diktatur schwierig. Aber als der Schweizer Beamte kam, spürte ich, wie sich etwas in mir zusammenzog. Ich saß zwar so gelassen da, wie ich konnte, aber mir schien, als zitterten die Ränder meiner Lungen, so wie manchmal in der Windstille an einem Baum ein Blatt rasend schnell flattert.

      Der Mann sah den Pass an. Es war ein mächtiger, breitschultriger Beamter, der nach Pfeifenrauch roch. Als er im Abteil stand, verdunkelte er das Fenster, und einen Augenblick hatte ich die Beklemmung, dass er den Himmel und die Freiheit abschlösse – als wäre das Abteil bereits eine Gefängniszelle. Dann gab er mir den Pass zurück.

      „Sie haben vergessen, ihn zu stempeln“, sagte ich in der Welle der Erleichterung, ohne es zu wollen, rasch.

      Der Beamte lächelte. „Ich werde ihn schon noch stempeln. Ist Ihnen das so wichtig?“

      „Das nicht. Es macht ihn nur zu einer Art von Souvenir.“

      Der Mann stempelte den Pass und ging. Ich biss mir auf die Lippen. Wie nervös ich geworden war! Dann fiel mir ein, dass der Pass mit dem Stempel schon etwas echter aussah.

* * *

      In der Schweiz überlegte ich einen Tag, ob ich auch mit dem Zuge nach Deutschland fahren sollte; aber ich hatte nicht den Mut. Ich wusste auch nicht, ob man Heimkehrer, selbst solche aus dem früheren Österreich, nicht besonders revidieren würde. Wahrscheinlich hätte man es nicht getan; ich beschloss trotzdem, schwarz über die Grenze zu gehen.

      In Zürich begab ich mich deshalb, wie früher, zuerst zur Hauptpost. Am Schalter für postlagernde Sendungen traf man dort meistens Bekannte – Wanderer ohne Aufenthaltsbewilligung, wie man selbst, die einem Informationen geben konnten. Von dort ging ich ins Cafe Greif – dem Gegenstück zum Cafe de la Rose. Ich traf verschiedene Grenzgänger, aber keinen, der die Übergänge nach Deutschland genau kannte. Das war verständlich. Wer, außer mir, wollte schon nach Deutschland? Ich merkte, wie man mich anschaute und dann, als man merkte, dass es mir ernst war, vor mir zurückwich. Wer zurückwollte, musste ein Überläufer sein; denn wer wollte schon zurück, wenn er das Regime nicht auch akzeptierte? Und was würde jemand, der so weit war, sonst noch tun? Wen verraten? Was verraten?

      Ich war plötzlich allein. Man mied mich, wie man jemand meidet, der gemordet hat. Ich konnte auch nichts erklären; mir wurde selbst manchmal so heiß, dass ich vor Panik schwitzte, wenn ich daran dachte, was ich vorhatte; wie hätte ich es da anderen begreiflich machen können?

      Am dritten Morgen kam die Polizei um sechs Uhr früh und holte mich aus dem Bett. Man fragte mich genau aus. Ich wusste sofort, dass einer meiner Bekannten mich angezeigt hatte. Mein Pass wurde misstrauisch betrachtet, und ich wurde zum Verhör mitgenommen. Es war jetzt ein Glück, dass der Pass gestempelt worden war. Ich konnte so nachweisen, dass ich legal eingereist und „erst drei Tage im Lande war. Ich erinnere mich genau an den frühen Morgen, als ich mit dem Beamten durch die Straßen ging. Es war ein klarer Tag, und die Türme und Dächer der Stadt standen scharf, wie aus Metall geschnitten, vor dem Himmel. Aus einer Bäckerei roch es nach warmem Brot, und aller Trost der Welt schien in diesem Geruch zu sein. Kennen Sie das?“

      Ich nickte. „Die Welt erscheint einem nie schöner als in dem Augenblick, wenn man eingesperrt wird. Bevor man sie verlassen muss. Wenn man sie nur immer so fühlen könnte! Vielleicht hat man zuwenig Zeit dazu. Zuwenig Ruhe.“

      Schwarz schüttelte den Kopf. „Es hat mit Ruhe nichts zu tun. Ich habe es so gefühlt,“ „Konnten Sie es halten?“ fragte ich. „Das weiß ich nicht,“ erwiderte Schwarz langsam. „Das ist es ja, was ich herausfinden muss. Es ist mir aus den Händen geglitten – aber hatte ich es ganz, als ich es hielt? Kann ich es jetzt nicht vielleicht stärker wieder zurückgewinnen und es für immer halten? Jetzt, wo es sich nicht mehr verändert? Verliert man nicht immerfort, was man zu halten glaubt, weil es sich bewegt? Und steht es nicht still erst, wenn es nicht mehr da ist und sich nicht mehr ändern kann? Gehört es einem nicht erst dann?“

      Seine Augen waren starr auf mich gerichtet. Es war das erste Mal, dass er mich voll anblickte. Die Pupillen waren groß. Ein Fanatiker oder ein Verrückter, dachte ich plötzlich.

      „Ich habe es nie gekannt“, sagte ich. „Aber will das nicht jeder? Halten, was nicht zu halten ist? Und verlassen, was einen nicht verlassen will?“

      Die Frau im Abendkleid am Nebentisch stand auf. Sie blickte über die Veranda auf die Stadt und den Hafen hinunter. „Darling, warum müssen wir zurück?“ sagte sie zu dem Mann im weißen Smoking. „Wenn wir doch hierbleiben könnten! Ich habe gar keine Lust, wieder nach Amerika zu gehen.“

      Aufgaben zum Text

      1) Warum vergleicht der Ich-Erzähler das Passagierschiff im Tejo mit einer Arche und Amerika mit dem Berg Ararat?

      2) Warum war der Ich-Erzähler gegenüber dem Mann auf dem Quai misstraurisch?

      3) Was haben Sie aus diesem Kapitel über den Ich-Erzähler erfahren: wo war er bereits gewesen, wo wollte er hin? Was war der Grund seiner Wanderungen?

      4) Warum wollte Schwarz in dieser Nacht mit jemandem sprechen?

      5) Erzählen Sie, wie Schwarz einen gültigen Pass bekam.

      6) Warum beschloss Schwarz nach Deutschland zu gehen, obwohl es todesgefährlich war? Erklären Sie, was Emmigranten-Koller ist.

      Texterläuterungen

      Tejo der, der längste Strom der Pyrenäenhalbinsel, mündet bei Lissabon in den Atlantischen Ozean

      Arche (lat. „Kasten“) die, Schiff Noahs

      Sintflut die, im Alten Testament Überflutung der Erde als göttliche Strafe für die Sünden der Menschheit, die nur Noah mit seiner Familie und einem Paar aller Tiere überlebte

      Ararat

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