Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке. Эрих Мария Ремарк

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Die Nacht von Lissabon / Ночь в Лиссабоне. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк Moderne Prosa

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alles waren Leute des Alltags, mit ähnlichen Gesprächen, wie ich sie in Frankreich und in der Schweiz gehört hatte – über das Wetter, die Ernte, über Tagesereignisse und die Furcht vor dem Kriege. Sie hatten Angst davor, und so, wie man außerhalb Deutschlands wusste, dass Deutschland ihn wollte, so hörte ich hier, dass das Ausland ihn Deutschland aufzwang. Fast jeder war für Frieden, wie immer kurz vor der Katastrophe.

      Der Zug hielt. Ich schob mich im Knäuel der anderen durch die Sperre. Die Bahnhofshalle hatte sich nicht verändert, seit ich sie zuletzt gesehen hatte; sie schien nur kleiner und staubiger zu sein, als ich sie im Gedächtnis hatte.

* * *

      Als ich auf den Bahnhofsplatz trat, fiel alles, was ich vorher gedacht hatte, von mir ab. Es war dämmerig und feucht wie nach einem Regen, ich sah keine Landschaft mehr, alles in mir bebte auf einmal, und ich wusste, dass ich von jetzt an in großer Gefahr war. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, mir könne nichts passieren. Es war, als stünde ich unter einer Glasglokke, die mich zwar schützte, aber jeden Augenblick zerspringen konnte.

      Ich ging zum Schalter in die Halle zurück, um mir ein Retourbillett* nach Münster zu kaufen; ich konnte nicht in Osnabrück wohnen. Es war zu gefährlich. „Wann geht der letzte Zug?“ fragte ich den Beamten, der mit spiegelnder Glatze im gelben Licht hinter seinem Schalter saß, wie ein Kleinstadtbuddha, sicher und gefeit.

      „Einer um zweiundzwanzig Uhr zwanzig, einer um dreiundzwanzig Uhr zwölf.“

      Ich ging zu einem Automaten und zog eine Bahnsteigkarte. Ich wollte sie zur Hand haben, falls ich schnell verschwinden musste, zu einer Zeit, wenn mein Billett noch nicht fällig gewesen wäre. Bahnsteige waren in der Regel schlechte Verstecke, aber man hat immer mehrere zur Auswahl – drei in Osnabrück – und konnte rasch in irgendeinen Zug steigen, der abfuhr, und dem Schaffner erklären, dass man sich geirrt habe, nachzahlen und am nächsten Ort aussteigen.

      Ich hatte beschlossen, einen Freund aus früheren Jahren, von dem ich wusste, dass er kein Anhänger des Regimes gewesen war, anzurufen. Am Telefon würde ich herausfinden, ob er mir helfen könne. Meine Frau direkt anzurufen, wagte ich nicht, weil ich nicht wusste, ob sie allein wohnte.

      Ich stand in der kleinen Glaskabine mit dem Telefonbuch und dem Apparat vor mir. Das Herz schlug mir so stark, als ich die Seiten mit den beschmutzten und geknickten Ecken umblätterte, dass ich glaubte es zu hören; ich glaubte sogar, dass andere es hören könnten, und beugte mein Gesicht tiefer, damit man mich nicht erkennen könne. Ohne nachzudenken, hatte ich die Seite aufgeschlagen mit dem Buchstaben, mit dem mein früherer Name begann. Ich fand den Namen meiner Frau, die Telefonnummer war dieselbe, aber die Adresse war verändert. Statt Rißmüller-Platz hieß sie jetzt Hitler-Platz.

      Im Augenblick, als ich die Adresse sah, schien es mir, als würde die trübe Birne in der Kabine hundertfach verstärkt. Ich blickte auf, so sehr hatte ich das Gefühl, ich stünde in tiefer Nacht in einem grell erleuchteten Glaskasten – oder aber ein Scheinwerfer sei von außen auf mich gerichtet. Der ganze Irrsinn meines Unternehmens kam mir wieder voll zum Bewusstsein.

      Ich verließ die Kabine und ging durch die halbdunkle Halle. Die Schilder für „Kraft durch Freude“ und die Reklamen für deutsche Kurorte drohten mit ihren blauen Himmeln und fröhlichen Menschen auf mich herab. Ein paar Züge mussten angekommen sein; ein Schwärm von Reisenden kam die Treppen herauf. Aus einer Gruppe löste sich ein SS-Mann*. Er kam auf mich zu.

      Ich lief nicht weg. Es konnte sein, dass er mich nicht meinte. Aber er blieb vor mir stehen und sah mich an.

      „Verzeihen Sie, haben Sie Feuer?“ fragte er.

      „Feuer?“ wiederholte ich, und dann rasch: „Gewiß! Ein Streichholz!“

      Ich griff in die Tasche und suchte.

      „Wozu ein Streichholz?“ sagte der SS-Mann erstaunt. „Ihre Zigarette brennt ja!“

      Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich geraucht hatte. Jetzt hielt ich ihm meine Zigarette hin. Er hielt seine eigene an das glühende Ende und zog. „Was ist denn das für eine Zigarette, die Sie da rauchen?“ fragte er dann. „Die riecht ja fast wie eine Zigarre!“

      Es war eine französische Gauloise. Ich hatte einige Päckchen davon mitgenommen, als ich die Grenze überschritt. „Geschenkt von einem Freunde“, erwiderte ich. „Französisches Kraut. Schwarzer Tabak. Er hat sie von der Reise mitgebracht. Mir sind sie auch zu stark.“

      Der SS-Mann lachte. „Am besten, man ließe das Rauchen ganz bleiben, was? So wie der Führer. Aber wer kann das, besonders in diesen Zeiten?“ Er grüßte und ging.

      Schwarz lächelte schwach. „Als ich noch ein Mensch war, der das Recht hatte, seine Füße irgendwohin zu stellen, habe ich oft gezweifelt, wenn ich las, wie die Schriftsteller Angst und Schreck beschrieben – dass dem Opfer das Herz stillstehe, dass es wie erstarrt dastände, dass es ihm eisig den Rücken herunter und durch die Adern liefe, dass ihm der Schweiß am ganzen Körper ausbreche – ich hielt das für Klischees und schlechten Stil, und es mag sein, dass es das ist; aber eines ist es auch: es ist wahr. Ich habe das alles empfunden, genau so, obschon ich früher, als ich noch nichts davon wusste, darüber gelacht habe.“

      Ein Kellner kam heran. „Wollen die Herren keine Gesellschaft?“

      „Nein.“

      Er beugte sich tiefer zu mir herunter. „Wollen Sie nicht, bevor Sie ganz ablehnen, die beiden Damen an der Bar ansehen?“

      Ich sah sie an. Eine von ihnen schien sehr gut gewachsen zu sein. Beide trugen enge Abendkleider. Die Gesichter konnte ich nicht erkennen. „Nein“, sagte ich noch einmal.

      „Es sind Damen“, erklärte der Kellner. „Die rechts ist eine deutsche Dame.“

      „Hat sie Sie hergeschickt?“

      „Nein, mein Herr“, erwiderte der Kellner mit einem hinreißend unschuldigen Lächeln. „Es war ein Gedanke von mir.“

      „Gut. Beerdigen Sie ihn. Bringen Sie uns lieber etwas zu essen.“

      „Was wollte er?“ fragte Schwarz.

      „Uns verkuppeln mit der Enkelin Mata Haris*. Sie müssen ihm zuviel Trinkgeld gegeben haben.“

      „Ich habe noch nicht bezahlt. Sie glauben, es seien Spioninnen?“

      „Vielleicht. Aber für die einzige Internationale der Welt: Geld.“

      „Deutsche?“

      „Eine, sagt der Kellner.“

      „Glauben Sie, dass sie hier ist, Deutsche zurückzulocken?“

      „Kaum.“

      Der Kellner brachte einen Teller mit belegten Broten. Ich hatte sie bestellt, weil ich den Wein fühlte. Ich wollte klar bleiben. „Essen Sie nicht?“ fragte ich Schwarz.

      Er schüttelte abwesend den Kopf. „Ich hatte nicht daran gedacht, dass die Zigaretten mich hatten verraten können“, sagte er, „Jetzt kontrollierte ich noch einmal alles, was ich bei mir hatte. Die Streichhölzer, die noch aus Frankreich waren, warf ich mit dem Rest der Zigaretten weg und kaufte mir deutsche. Dann fiel mir ein, dass mein Pass einen französischen Einreisestempel und ein Visum hatte; dass die französischen Zigaretten also gerechtfertigt gewesen wären, hätte man mich revidiert. Ich ging, nass von Schweiß und ärgerlich auf mich und meine Angst, zur Telefonkabine zurück.

      Ich musste warten.

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