Leos Hände. Andrea Lepri

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Leos Hände - Andrea Lepri страница 4

Leos Hände - Andrea Lepri

Скачать книгу

und war schon im Begriff, sie wegzuschmeißen, dachte aber nochmals darüber nach. Er ging zum Schrank im Wohnzimmer, steckte den Schlüssel ins Schubladenschloss und öffnete sie. Ich für mich habe sie „die Schublade der verpassten Chancen“ getauft, weil sie von Fotos, Briefen, Schlüsselanhängern, parfümierten, musizierenden und leuchtenden Kuscheltierchen, Kino- und Discotickets, Postkarten, Plüschtieren und verschiedenen Gadgets nur so überquoll. Seufzend schmiss er die Fotos und Briefe hinein und knallte dann die Schublade mit einem zornigen Stoß zu. Genau in diesem Moment machte sich in mir die erschreckende Erkenntnis über das, was mich nun erwarten würde, breit: mindestens zwei Stunden empörten Wutausbruchs, mit einer Zusammenfassung aller Liebesromanzen der letzten neunundzwanzig Jahre seines Lebens… oder mit anderen Worten, seitdem er acht Jahre alt war…, die nie begonnen haben oder bereits im Keime erloschen sind. Das Absurde an der Sache war, dass praktisch alle Frauen des Reviers auf ihn standen, aber er, der so von seiner Arbeit eingenommen war, bemerkte es nicht einmal. Wenn er sich bloß etwas umgeschaut hätte, anstatt stets nur an seine Pflicht zu denken, hätte er in weniger als fünf Minuten eine Freundin gefunden. Ich suchte nach einer bequemeren Position, um mich auf die Tortur vorzubereiten und versuchte, eine aufmerksame und Anteil nehmenden Miene aufzusetzen, schließlich ging es um meinen Kumpel und ich wollte ihn nicht auch noch enttäuschen!

      «Möglich, dass seit dem ersten Mal, als…» begann er eben zu sagen, während er im Wohnzimmer hin und her wanderte, als er plötzlich innehielt.

      Er rannte zum Anrufbeantworter, der inzwischen weiterhin Nachricht um Nachricht herunterrasselte, spulte die letzte Aufnahme zurück und ließ sie erneut von vorne laufen.

       «Wir haben es geschafft, der Kerl von dem ich dir erzählt habe ist zur Mitarbeit bereit aber er will eine Menge Geld. Die Verabredung findet heute Abend um neun Uhr im alten Industrieviertel, vor der einzigen leerstehenden Lagerhalle statt. Versuche pünktlich zu sein und vor allem komm alleine und unbewaffnet, sonst haut er ab und wir spüren ihn nicht wieder auf» sagte eine heisere Stimme, und ich war ihr so dankbar, denn sie bewahrte mich vor einer regelrechten Qual. Steve schaute auf die Wanduhr und sprang auf, ging zum Kleiderständer und nahm den Regenmantel, der inzwischen eine Wasserlache auf dem Boden hinterlassen hat, danach drehte er sich um und schaute mich ernst an: “Verdammt, die ganze Welt hat sich gegen mich verbündet: keine Trickfilme und kein Nickerchen!“ sagte ich mir enttäuscht, sprang von der Couch herunter und folgte ihm widerwillig.

      In der Lagerhalle

      Glücklicherweise hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Steve hatte die schlechte Angewohnheit, alles alleine in Ordnung bringen zu wollen, sodass sein Auto mit Klappverdeck an einem fernen Juniabend definitiv zum Cabriolet geworden ist. Er war der einzige, der an jenen kalten und regnerischen Tagen Ende Februar mit einem Sonnenschirm zwischen den Beinen eingeklemmt herumfuhr. Als Rechtfertigung dafür erklärte er mir wiederholt, dass ihn die Reparatur der automatischen Abdeckung mehrere Monatsgehälter gekostet hätte. Das Problem war nur, dass der Sonnenschirm bei erhöhter Geschwindigkeit jedesmal entweder umkippte oder gar davonflog…mit den Auslagen, die er für die Sonnenschirme aufbringen musste, hätte er sich einen neuen Wagen leisten können!

      «Verdammt, wir sind zu spät gekommen» bemerkte mein Freund, als er das Auto vor der Lagerhalle anhielt. Die Luft war frisch und hatte einen intensiv bitteren Geruch nach Erdöl. Vor dem Tor erwartete uns ein Mann, die Händen in den Taschen vergraben. Er trug einen schwarzen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und einen Hut mit breiter Krempe, die, vom Regen durchnässt, seitlich herunterfiel, sodass sein Gesicht praktisch vollständig verdeckt war. Steve stieg aus und lief ihm entgegen, ich folgte ihm.

      «Wo ist das Vögelchen?» fragte Steve den schwarz gekleideten Typen.

       «Schon hineingegangen» antwortete der Schwarze Mann. „Er konnte es kaum erwarten zu singen…aber ich habe dir angeraten alleine zu kommen!“ fügte er in ernstem Ton hinzu, indem er mit einem Kopfnicken auf mich hinwies.

      Sofort erkannte ich seine Stimme, es war die gleiche, die am Anrufbeantworter die Nachricht hinterlassen hatte, also war der Schwarze Mann wahrscheinlich unser Kollege. Steve schaute mich mit Stirnrunzeln und Achselzucken an, ich trippelte kleinlaut ins Auto zurück. Der Mann schob das schwere Schiebetor am Zugang zum Innenhof der Lagerhalle auf, und sobald sie eingetreten waren, schloss er es hastig wieder zu und ging in Richtung Hauptgebäude, gefolgt von Steve. Dieser Typ gefiel mir überhaupt nicht und diese Situation noch weniger. Wenn mein Freund einen Fehler hat, dann war es das zu große Vertrauen in sich selbst und manchmal auch in die anderen. Angesichts seines Berufes fand ich das äußerst merkwürdig. Auch ich hatte ein paar Fehler: erstens hasste ich es, beiseite geschoben zu werden, und zweitens vertraute ich, im Gegensatz zu Steve, praktisch niemandem. Sobald die Schritte auf dem Kies hinter dem Tor fern waren, hüpfte ich aus dem Wagen und begann am Rand des Palisadenzauns nach einem Spalt zu suchen, durch den ich sie beobachten konnte. Ich hatte den Rundgang um das Gebäude schon fast beendet und wollte eben gerade zum dritten Mal pinkeln (man kann ja nie wissen, ab und zu kommt es vor, dass man den gleichen Weg wieder zurückkehren muss), als die Stimmen plötzlich lauter wurden, ein Zeichen dafür, dass eine wilde Diskussion im Gange war. Aus Angst, dass Steve meine Hilfe benötigte, beschloss ich meinen Rundgang schnell zu beenden und nach einem anderen Eingang zu suchen. Leider verlief die kleine Straße am Rand der Lagerhalle in eine Sackgasse. Die Stimmen wurden immer lauter und erregter, nun sind sie gar in Schreie ausgeartet. Ich drehte leicht den Kopf und spitzte die Ohren, um besser zu verstehen was sie sagten.

      «Was ist los? Bist du etwa verrückt geworden, oder ist es vielleicht ein Witz? Was willst du mit dieser Pistole machen? Stecke sie ein, es könnte ein Schuss losgehen» meinte mein Freund besorgt.

      «Du musst mir sagen, wer die anderen Spione sind!»

      «Aber was willst du tun, willst du mich erschießen?»

       «Falls du mich dazu zwingst, werde ich es tun und wie, da kannst du sicher sein! Ich habe dir gesagt, dass du mir alle Namen sagen sollst, und außerdem solltest du aufhören, dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen, hast du verstanden? Diese Angelegenheit ist viel zu groß für dich!» insistierte der Schwarze Mann.

       «Okay, okay, ich habe verstanden» antwortete mein Freund um Zeit zu gewinnen «ich werde dir alles sagen und dir die Dokumente liefern, die ich gesammelt habe. Jetzt steck aber die Pistole weg und lass uns rausgehen, denn wenn mein Kumpel sieht, dass du mich bedrohst, wird er aggressiv werden.»

       «Und du nennst diesen Köter Kumpel?» erwiderte der Schwarze Mann in abschätzigem Ton, was mich absolut rasend machte.

       «Also gut, mir ist es recht, aber zuerst musst du mich davon überzeugen, dass du die Lektion gelernt hast, und außerdem gibt es da noch einiges zu klären» meinte er abschließend.

      Die Situation überstürzt sich

      Ich begann der Straße entlang zu rennen, so schnell ich konnte. Beim Sparziergang um das Gebäude konnte ich hoch oben ein großes Fenster entdecken. Darunter lagen entlang der Mauer einige Schachteln aufgetürmt, auf die ich hätte klettern können. Ohne zu zögern hüpfte ich von Schachtel zu Schachtel, bis ganz nach oben, ich bemerkte aber schnell, dass sie leer waren, und wer weiß warum, kam mir Kater Silvester in den Sinn. Während ich schaukelte und kämpfte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und mit dem Risiko runterzufallen, weil die vom Regen aufgeweichten Schachteln unter meinem Gewicht schon nachgaben, ist es mir gelungen einen kurzen Blick durch das Fenster zu werfen. In schäbigem Neonlicht stand der Schwarze Mann mit dem Rücken zu mir und hielt Steve in Schacht. Mein Freund sah mich und ein Hoffnungsschimmer flackerte kurz in seinen blauen Augen auf.

      «Geh Leo! Lauf los!» schrie er aus voller Kehle.

Скачать книгу