Leos Hände. Andrea Lepri
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Mein Leben lang habe ich mir gewünscht Hände zu haben, womöglich auch nur einmal, auch nur für einen Tag. In der Überzeugung, dass die Hände eine der wenigen wirklichen Unterschiede zwischen mir und einem Menschen waren, fragte ich mich stets, was ich alles hätte unternehmen können, wenn ich sie gehabt hätte. Ich hätte mich beispielsweise mit den sinnlosesten (aber auch lustigsten!) Dingen austoben können, wie die Katze am Schwanz halten und sie in der Luft herumwirbeln, um sie dann loszulassen und davonfliegen zu sehen, oder mir selber Steine und Tannzapfen zuzuwerfen, damit ich ihnen nachrennen und sie wieder einfangen kann. Ich hätte sie allerdings auch für nützliche Dinge einsetzen können, wie etwa mir alleine die Türe für meine Bedürfnisse zu öffnen oder mir gegen die Kälte eine Decke überzuwerfen, außerdem hätte ich die Herrschaft über den Kühlschrank und den Fernseher gehabt. Damals wünschte ich es mir sehnlichst, wie noch nie. Es war mir tatsächlich bewusst, wenn auch nur für wenige Minuten, dass es mir wie durch ein Wunder gelungen wäre, den mysteriösen Gegenstand, der Steve verloren hatte, aus der Ritze zu grabschen und damit den Mörder an die Wand zu stellen! Aber ich fühlte mich lediglich als unnützen Hund mit vier schäbigen, unnützen Pfoten! Alsbald fiel ich in einen tiefen depressiven Zustand und verbrachte die folgenden drei Tage im Polizeirevier in einem improvisierten Hundekorb, mit der Schnauze zwischen den Vorderpfoten vergraben, ohne Lust auf Fressen und ohne je den Kopf zu recken. Sobald ich jemanden meinen und Steves Namen erwähnen hörte, spitzte ich bewegungslos die Ohren, aber ich war absolut nicht in der Lage, irgend in einer Form zu reagieren.
Kapitel 8
An der Beerdigung
„Nie wieder werde ich jemanden gernhaben, und nie wieder möchte ich einen Menschen an meiner Seite haben! Da opferst du dich für ihn auf, hütest sein Haus und spielst mit seinen Kindern (leider ist das kräftige Anpacken an den Ohren und Schwanz das Lieblingsspiel für Kinder mit Hunden), du stehst ihm stets zur Seite, leistest ihm Gesellschaft und tröstest ihn nötigenfalls. Und er, als Gegenleistung dafür, lässt dich plötzlich auf diese Art und Weise alleine… und nun sollst du mit einer anderen oder gar mehreren Personen eine neue Beziehung eingehen, von neuem ein Gleichgewicht suchen und dir neuen Respekt verdienen, neue Worte, den Tonfall seiner Stimme und neue Gewohnheiten erlernen, dich wieder mit einer Menge mühsamer Dinge beschäftigen, wie beispielsweise mit anderen Hunden deines Wohnquartiers kämpfen, damit du dir ein ruhiges Örtchen für deine Bedürfnisse sichern kannst. Und plötzlich beschließt dein Freund vielleicht in die Ferien zu gehen oder er hat plötzlich eine Allergie oder er wird einfach nur Vater, dann gibt er dir einen schönen Tritt in den Schwanz…
Außerdem war Steve ganz besonders! Einen Freund wie ihn würde ich niemals, mein Leben lang, nie wiederfinden. Verdammt, wäre ich doch bloß entschlossener gewesen… das schlechte Gewissen wird mich mein Leben lang begleiten! Wie schade, dass ich nichts mehr für ihn tun kann. Ich bin mir sicher, dass dieser kleine Gegenstand, der in die Ritze im Boden gefallen ist, sehr wichtig ist, aber ich konnte ihn ja nicht herausfischen und allein wird es mir wohl niemals gelingen. Was soll ich denn nun tun? Vielleicht, wenn mich doch jemand aus der Zentrale aufnehmen würde… oder doch nicht, nein besser nicht! Ich habe dieses Leben satt! Uniformen und Schießereien, Verfolgungsjagden und schlaflose Nächte sind mir überdrüssig. Eigentlich könnte ich als Straßenköter durchkommen, zumindest bis ich wieder einen klaren Kopf habe, verhungern werde ich dabei bestimmt nicht…“
Dies waren meine Gedanken, während ich an der Spitze des Trauerzuges meinen Freund zu seiner letzten Ruhestätte begleitete. Wir gingen lautlos, umhüllt von kaltem Winterduft, und ich war mir nicht sicher, ob ich wegen der kalten Luft, die in meiner Nase kribbelte, Tränen hatte. Habt ihr schon mal eine Beerdigung ohne Regen erlebt? Bestimmt nicht, oder? Und was für ein Regen! Und außerdem war da ein Wind, der das letzte gelbe und welke Laub von den Ästen wehte und uns ins Gesicht wirbelte, während der Atem kleine Wolken bildete. Auf der Wiese stand eine Unzahl von Menschen in dunkeln Kleidern und mit offenen Schirmen. Die meisten traten abwechslungsweise vor den Sarg neben dem Grab, um einige letzte Worte zu äußern, unterschiedliche Worte, doch stets von gleicher Bedeutung. Ich hatte echt genug! Ich wollte nicht mit anschauen, wie der Sarg in die Grube gehievt wurde, ich befürchtete, mein Herz würde zerreißen. Eben hatte ich mich umgedreht, als ich plötzlich nach wenigen Schritten auf eine Stimme aufmerksam wurde. Ich spitzte die Ohren, drehte mich um und ging wieder zurück.
«Bei solchen Tragödien, wie dieser, fragt man sich oft…» sprach eben der Schwarze Mann in falsch bewegtem Ton, «…und so haben wir von der Spurensicherung beschlossen…» hörte ich aufmerksam zu, um sicher zu sein, dass dies nicht bloß mein Eindruck war.
«Dies ist bestimmt die beste Art und Weise, das Gedenken eines Mannes zu ehren, der…»
Tatsächlich, das war er! Ich war mir sicher, dass es dieser Mistkerl war, der Steve erschossen hatte, und wie ich es mir von Anfang an gedacht hatte, war er ein Kollege!
Wie unverfroren, er trug sogar den gleichen stinkenden Mantel und den gleichen Hut, vielleicht trug er sogar die gleiche Pistole, mit der er ihn getötet hatte, mit sich herum.
Kapitel 9
Angriff auf den Schwarzen Mann
Ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken, was zu tun wäre, im Nu schoss mir das Blut vor Wut in den Kopf. Angesichts meines Hundedaseins hatte ich keine große Wahl, ich hatte ja keine Stimme, um ihn anzuprangern und keine Hände, um ihn zu durchsuchen. Das einzige, wofür ich sorgen konnte, war der Versuch, dass ihm das gleiche Schicksal blühte wie Steve. So nahm ich Anlauf, mit den Pfoten, die auf dem Matsch nur schwer Halt fanden, und rannte so schnell ich konnte bis zum Sarg hin und sprang in einem Satz darüber. Fünfunddreißig Kilo Gewicht bei einer Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern stürmten auf den Mörder los, der in die Grube stürzte, und als er mit den Schultern am Boden aufschlug, war ich bereits über ihm. Mit fletschenden Zähnen und grässlichem Knurren, was so viel bedeutete, wie: „Jetzt habe ich dich endlich, du verfluchter, nun hast du es mit mir zu tun…. aber dann, im Jenseits, wirst du es mit meinem Freund zu tun haben!“, schaute ich ihm direkt in die Augen.
Während sich die Anwesenden am Rand des Grabes mit bestürztem Raunen versammelten, um das Vorgehen genauer betrachten zu können, hatte ich ihn bereits am Hals gepackt. Doch entgegen meiner Erwartung, bissen meine Zähne nicht auf weiches Fleisch, sondern auf etwas hartes. Verwirrt hielt ich inne. Auf der Suche nach einer anderen Schwachstelle verlor ich etwas zu viel Zeit und ehe ich mich versah, krachte etwas sehr hartes - die Schaufel des Bestatters, wie ich vermute – auf meinen bedauerlichen Kopf und hätte mich beinahe umgebracht.
Mit gespreizten Pfoten sackte ich auf dem Boden zusammen, und als ich die Augen wieder öffnete hatte ich höllische Kopfschmerzen und stellte sofort fest, dass sie mich wie eine Wurst zusammengebunden und meiner Schnauze einen Maulkorb verpasst hatten. Der Mörder schaute mich höhnisch an, aber ich bemerkte dennoch, wie sehr er erschrocken war.
«Was wohl in ihn gefahren ist» meinte der Kommissar, während er sich verblüfft am Kinn kratzte.
«Zum Glück hattest du gestern diesen Zusammenstoß! Hättest du wegen des Schleudertraumas diesen Halskragen nicht getragen, dann wärst du jetzt…» fügte er hinzu.
„Aber welcher Zusammenstoß? Du bist also nicht nur ein Mörder, sondern auch ein verdammter Lügner! Du bist gegen eine Straßenlampe gekracht, als du abhauen wolltest, das bist du…von wegen Zusammenstoß!“ hätte ich schreien wollen, aber alles was ich machen konnte war leider nur, ihn mit einem möglichst finsteren Blick anzuknurren.
«Dies ändert nun aber die Sachlage. Ich kann ja verstehen, dass