Leos Hände. Andrea Lepri
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«Verdammter Rumschnüffler, das hast du nun davon!» schrie er und richtete die Pistole mit gestrecktem Arm auf Steve.
Dieser war inzwischen wieder aufgestanden und rannte im Zickzack los, auf der verzweifelten Suche nach Deckung. Die Situation war äußerst ernst, außerdem würden die Schachteln jeden Moment endgültig runterfallen. Dies war nun die letzte Chance, meinem Freund zu helfen. Ohne das geringste Zögern setzte ich auf einen Sprung an. Der erste Schuss fiel, als ich gegen das Fenster knallte. Sein Widerhall übertönte sogar den Lärm der in Scherben zerfallenden Scheibe. Betäubt und mit einem schrillen Pfeifton im Ohr, sah ich, gerade als ich die Pfoten auf dem Boden aufsetzte, einen zweiten Funken aus der Pistole zischen. Beim ersten Schuss hat sich Steve instinktiv geduckt und blieb stehen. Als er sich langsam mit erhobenen Händen umdrehte, traf ihn der Schuss voll in die Brust. Der Stoß ließ ihn rückwärts zu Boden fallen und irgendetwas glitt dabei aus der Tasche seines Regenmantels. Ein kleiner, eckiger und glänzender Gegenstand rutschte auf dem glatten, öligen Boden davon und verschwand in einer Ritze des Bodens. Der Schwarze Mann eilte zur Tür, um offensichtlich abzuhauen, aber das war mir egal, ich rannte zu meinem Freund.
«Fass ihn, Leo. Schnapp dir diesen Mistkerl!» flüsterte er mir zu.
Ich rannte wie noch nie in meinem Leben, aber es war sinnlos. Als ich den Ausgang erreichte, war der andere bereits draußen und hat das Tor hinter sich geschlossen. Durch eine Ritze konnte ich den Schwarzen Mann nur noch in seinen Wagen steigen sehen. Er fuhr rückwärts aus dem Parkplatz und stieß dabei gegen eine Straßenlampe, dann drückte er im ersten Gang auf das Gaspedal und rauschte in einer Staubwolke schnell davon.
Kapitel 6
Steves Tod
Traurig kehrte ich zu meinem Freund zurück, der noch immer auf dem Rücken, mit dem Kopf zur Seite gedreht und gebeugten Knien am Boden lag. Er keuchte. Ich leckte ihm die Hand. Langsam drehte er den Kopf, mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm einen Arm zu heben, um mich hinter den Ohren zu kraulen, wie er es immer tat. Die Hand war so kalt, dass es mich schauerte. Von einer plötzlichen Idee übermannt, schloss ich die Augen, streckte mich und steckte meine Schnauze in die Tasche seines Regenmantels, auf der Suche nach seinem Handy.
«Sinnlos, ich habe es zu Hause liegen gelassen…es tut mir leid mein Freund, ich fürchte, dies ist nun wirklich das Ende …» murmelte er mit niedergeschlagener Grimasse, da er meine Absicht erahnt hatte, dann sah er mich mit feuchten Augen an, und ich musste verzweifelt aufjaulen. Die Resignation, die in seinen Augen zu lesen war, gab mir zu verstehen, dass nichts mehr zu machen war. Ich hockte mich neben ihn, möglichst nahe, um ihm zumindest etwas Wärme zu geben. Bald wurde er von einem ersten Hustenanfall geschüttelt, dann nochmals und nochmals.
«Es tut mir leid» flüsterte er ein letztes Mal, dann schloss er die Augen für immer.
Eine abgründige Stille, wie ich sie noch nie gespürt hatte, breitete sich aus, die ab und zu nur vom Pfeifen kalter Böen Luft, die durch das kaputte Fenster eindrangen, unterbrochen wurde. Der beißende Geruch von Schießpulver und Blut meines Freundes war wirklich ekelerregend. Aber ich ging nicht weg, er war mein Freund und für nichts in der Welt hätte ich ihn hier alleine zurückgelassen! Er lag reglos neben mir, lag zwar hier, aber eben, er war doch nicht mehr hier. Er ignorierte mich, und ich konnte einfach nicht verstehen weshalb.
„Das ist nicht fair… du kannst mich nicht so verlassen, wir hatten eine Abmachung getroffen! Immer zusammen, bis zum bitteren Ende, du hast es mir versprochen!“ dachte ich.
Dies war schon immer unser Ritualspruch, er äußerte ihn vor jedem Einsatz. Zwei Worte, ein Zwinkern und dann los, gemeinsam der Gefahr entgegen. Diese Worte bedeuteten, dass wir, falls uns etwas Schlimmes zustoßen sollte (was in unserem Beruf durchaus möglich war) zusammen umkommen mussten. Aber nein, nach jahrelanger enger Freundschaft und harter Zusammenarbeit, wo wir Schulter an Schulter oder zumindest Schulter an Pfote gearbeitet hatten, ließ er mich nun plötzlich auf diese Weise alleine! Das Schlimmste daran war aber, dass ich mich schuldig fühlte, ich sagte mir unaufhörlich, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn ich aufmerksamer und bestimmter reagiert hätte. Aber ich hatte zu großes Vertrauen in ihn, ich hatte mit meinem Sprung durch das verdammte Fenster zu lange gewartet!
Plötzlich stieg eine Erinnerung in mir hoch, die mir leichte Hoffnung gab. Während der Ausbildung, als ich noch fast ein Welpe war, hatte er mich oft aufs Land zum Spielen gebracht. In milder und duftender Luft und im unaufhörlichen Flattern bunter Schmetterlinge purzelten wir dort zusammen im Gras. Wir kämpften solange, bis er sich plötzlich totstellte. Gott, war ich die ersten paar Male erschrocken! Voller Angst leckte ich ihm das Gesicht und schüttelte ihn mit den Pfoten, danach sprang er laut lachend auf. Eigentlich wusste ich nun genau, dass es unnötig war… aber ich versuchte es trotzdem…
„Nein, es ist kein Scherz!“ dachte ich verzweifelt.
Kapitel 7
Die Befreiung
Aufgrund meines lauten Gebells und meines unaufhörlichen Jaulens wurden am nächsten Morgen einige Kollegen von den Eigentümern der Lagerhalle benachrichtigt. Sie kamen, um nachzuschauen was vorgefallen war und konnten uns beide dort vorfinden. Ich habe die ganze Nacht versucht, das kleine Objekt, das aus der Tasche des Regenmantels gefallen war, aus der Ritze zu grabschen, aber da war nichts zu machen. Ich konnte es gerade noch mit der Pfote berühren, aber um es packen zu können, hätte ich Finger haben müssen. Ich habe versucht ein Loch zu graben, habe mir allerdings dabei am Zementboden lediglich die Krallen abgewetzt. Auch mit der Schnauze habe ich es versucht, aber die Ritze war zu schmal. Starrköpfig wie noch nie, habe ich es trotzdem abermals versucht, habe mir aber schließlich lediglich einen schönen Schnitt gerade über der Nase zugezogen. Ich hatte auch versucht, die Aufmerksamkeit der Polizeibeamten auf mich zu lenken, indem ich sie am Ärmel zupfte und in Richtung Bodenspalt zog, aber leider war es völlig überflüssig: nachdem sie mich kurz der Reihe nach getröstet hatten, antworteten sie auf mein Bellen, dass sie nun keine Zeit zum Spielen hätten und widmeten sich ihrer Beschäftigung zu, ohne mich weiter zu beachten…als ob ich in diesem Moment Lust auf Spielen gehabt hätte! Nach und nach kamen die Spurensicherung und die Fotographen, Detektiven und Journalisten an den Tatort. Bald legte jemand Steve in einen grauen Sarg, der dann in einem grauen Leichenwagen fortgebracht wurde.
«Chef, was machen wir mit ihm?» fragte ein Beamter den Kommissar, der sich zu mir bückte und meine Schnauze zwischen die Hände nahm.
«Armer Leo… ich kann mir vorstellen, wie schlimm es für dich gewesen sein muss… mit eigenen Augen zuzuschauen, wie dein Kumpel umgebracht wird! Zu sehen wie er im einem Metallsarg weggebracht wird…und außerdem kannst du nicht sprechen, ich bin mir sicher, dass der Mörder sonst seine Stunden gezählt hätte…verdammt! Nehmt ihn mit zu Steves Wohnung und holt seine Sachen, er wird vorerst bei uns in der Zentrale bleiben, später werden wir sehen, ob ihn jemand adoptieren möchte.»
Als ich hörte, dass sie mich nach Hause bringen wollten, war ich etwas erleichtert, denn da war doch die Stimme des Mörders auf dem Aufnahmegerät gespeichert. Ich hätte es arrangieren können, dass jemand es sich angehört hätte, ich hätte ihnen zu verstehen gegeben können, dass dies die aufgenommene Stimme dieses Mistkerls war, der meinen Freund so kaltblütig ermordet hatte. Ich war mir sicher, dass es nicht schwierig sein würde, aber sobald ich aus dem