Die Zwillingsschwestern von Machecoul. Александр Дюма
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Jean Oullier war der einzige Lehrer der beiden Mädchen gewesen, so wie er anfangs ihre einzige Wärterin gewesen war. Der brave Vendéer hatte sie Alles gelehrt, was er selbst wußte: lesen, schreiben, rechnen, andächtig beten. Frühzeitig kamen auch die gymnastischen Uebungen an die Reihe im Anfange dieser Erzählung sehen wir die beiden Schwestern als geschickte Schützen und gewandte Reiterinnen, sie können einen Vogel im Fluge, einen Rehbock im schnellsten Laufe erlegen; sie bändigen die wildesten Pferde mit einer Sicherheit, deren sich die Gauchos in den Prairien Amerika’s nicht zu schämen hätten.
Der Marquis von Souday hatte ruhig zugesehen, ohne daß es ihm eingefallen war, der Erziehung seiner Töchter eine andere Richtung zu geben. Er freute sich, tüchtige Jagdgenossinnen in ihnen zu finden, welche mit ihrer ehrerbietigen, kindlichen Zärtlichkeit eine amazonenartige Kühnheit verbanden, welche seinen Partien einen höheren Reiz gab.
Um gerecht zu seyn, dürfen wir nicht verschweigen, daß der Marquis nach bestem Wissen und Gewissen die in der Ausbildung seiner Töchter gelassenen Lücken aufzufüllen suchte. Als Bertha und Mary ihr vierzehntes Jahr erreicht hatten, als sie anfingen, ihren Vater in den Wald zu begleiten, verloren die Kinderspiele, welche sonst die Abende ausgefüllt hatten, ihren Reiz. Der Marquis gab den Mädchen nun Unterricht im Whistspiele.
Bertha und Mary hatten übrigens nicht unterlassen, zur Ausfüllung der Lücke in ihrer Erziehung durch Selbststudium beizutragen. Sie hatten ein Zimmer entdeckt, welches wahrscheinlich seit dreißig Jahren verschlossen gewesen war.
Dieses Zimmer war die Bibliothek welche etwa tausend Bände enthielt. Die beiden Schwestern wählten unter den Büchern nach ihrem Geschmacke. Die sanfte, empfindsame Mary gab den Romanen, die lebhaftere Bertha den Geschichtswerken den Vorzug. Dann theilten sie einander das Gelesene mit: Mary erzählte von Amadis, von Paul und Virginie; Bertha machte ihre Schwester mit Mézeray und Velly bekannt.
Durch diese planlose Lectüre bekamen die beiden Mädchen ziemlich falsche Begriffe von dem wirklichen Leben und von den Sitten und Ansprüchen einer Welt, die sie nie gesehen hatten, und kaum vom Hörensagen kannten.
Bei ihrer ersten Kommunion machte der Pfarrer von Machecoul, der ihnen wegen ihrer Frömmigkeit und Herzensreinheit sehr gut war, einige schüchterne Bemerkungen über das sonderbare Leben, welches sie führen mußten; aber seine freundlichen Vorstellungen scheiterten an der Gleichgültigkeit und Selbstsucht des Marquis von Souday.
Aus dieser Erziehung waren Gewohnheiten entstanden, welche die Zwillingsschwestern, deren Verhältnisse den Lästerzungen ohnedies überreichen Stoff boten, in sehr schlechten Ruf gebracht hatten.
Der Marquis von Souday war von neugebackenen Edelleuten umgeben, die ihn um seinen berühmten Namen beneideten und nach einer Gelegenheit haschten, ihm die Verachtung, mit welcher seine Ahnen wahrscheinlich ihre Großväter behandelt hatten, mit reichen Zinsen zurückzugeben. Als er daher die Sprößlinge einer wilden Ehe in seinem Hause behielt und seine Töchter nannte, fing man an über sein Leben in London die schrecklichsten Dinge auszuposaunen; man übertrieb seine Fehler; man machte aus der armen Eva, die durch ein Wunder der Vorsehung so rein erhalten worden, eine Gassendirne, und bald zogen sich die Krautjunker zu Beauvoir, St. Léger, Bourgneuf, St. Philibert und Grand-Lieu von dem Marquis zurück; man glaubte den neuen Adel nicht sorgfältig genug gegen jede von den Lästerzungen verschriene Berührung schützen zu können. Anfangs hatten vorzugsweise die alten Weiber männlichen Geschlechts über die Sündhaftigkeit des Marquis Ach und Weh geschrien; in der Folge aber wurden alle Mütter und Töchter in einem Umkreise von zehn Meilen über die Schönheit der Zwillingsschwestern so wüthend, daß die Sache bedenklich zu werden drohte.
Wären Bertha und Mary häßlich gewesen, so würden die frommen Damen und Fräulein in christlichem Mitleide dem armen Erbherrn von und zu Souday vielleicht seine unanständige Vaterschaft verziehen haben; aber war es nicht empörend, daß die beiden Mädchen durch Schönheit und edlen Anstand die wohlgeborensten Fräulein der Umgebung in den Schatten stellten?
Solche Unverschämtheit verdient weder Schonung noch Mitleid.
Die Entrüstung gegen die beiden armen Mädchen war so allgemein, daß sie selbst wenn sie der Lästersucht keinen Stoff geboten hätten, vor den bösen Zungen nicht sicher gewesen wären; man denke sich daher, wie die amazonenartige excentrischen Gewohnheiten der beiden Schwestern ausgebeutet wurden.
Es erhob sich bald ein allgemeines Zetergeschrei, welches sich von dem Departement der Nieder-Loire über die Departements der Vendée und Maine und Loire verbreitete. Hätte das Meer die Küste der Niederloire nicht begrenzt, dieses Zetergeschrei würde sich gewiß eben so weit nach Westen wie nach Süden und Osten verbreitet haben. Bürger und Edelleute, Städter und Bauern stimmten in dasselbe ein. Junge Männer, welche Mary und Bertha kaum gesehen hatten, sprachen von den Töchtern des Marquis von Souday mit selbstgefälligem Lächeln, welches voll von Hoffnungen, vielleicht gar voll von Erinnerungen zu seyn schien. Die alten Damen schlugen ein Kreuz, wenn von ihnen gesprochen wurde.
Die Gouvernanten drohten mit ihnen den kleinen Kindern, wenn sie nicht artig seyn wollten.
Die Nachsichtigsten dichteten den Zwillingsschwestern die drei Hauptpassionen der Hubertusjünger an: Liebe Spiel, Wein. Andere hingegen versicherten alles Ernstes, das kleine Schloß Souday sey jeden Abend der Schauplatz wüster Gelage. Kurz, Bertha und Mary wurden so verlästert, daß sie ungeachtet ihrer Harmlosigkeit und Sittenreinheit ein Gegenstand des Abscheues für die ganze Umgegend wurden.
Durch die Dienerschaft auf den Landgütern, durch die Arbeiter, welche mit den Bürgersleuten in Berührung kamen, selbst durch die Leute, denen sie Gutes thaten, theilte sich dieser Haß dem niederen Volke mit, so daß mit Ausnahme einiger Kranken und Nothleidenden, welche von den beiden Schwestern unmittelbar unterstützt wurden, die ganze Bevölkerung in Blousen und Holzschuhen das Echo der von den Honoratioren erfundenen abgeschmackten Geschichten war, und kein Holzhauer in Machecoul, kein Landmann in Philibert oder Aigrefeuille würde vor den beiden Schwestern den Hut abgenommen haben.
Die Bauern hatten, ihnen einen Spottnamen gegeben, der bald in den höheren Regionen verbreitet wurde, weil er die gemeinen Gelüste, welche man dem Schwesterpaare zur Last legte, ganz treffend bezeichnete.
Man nannte sie die Wölfinnen von Machecoul.
V.
Eine Wolfsjagd
Der Marquis von Souday blieb ganz gleichgültig bei diesen Aeußerungen des allgemeinen Tadels, ja er schien nicht einmal eine Ahnung davon zu haben. Als er bemerkte, daß man die seltenen Besuche, die er seinen Nachbarn machen zu müssen glaubte, nicht erwiderte, rieb er sich erfreut die Hände, denn er glaubte von einem schweren Frohndienst befreit zu seyn.
Von Zeit zu Zeit kam ihm wohl von den Verleumdungen, die über Bertha und Mary im Umlauf waren, etwas zu Ohren, aber er war so glücklich zwischen seinem Factotum, seinen Töchtern und seinen Hunden, daß er dieses alberne Geschwätz ganz unbeachtet ließ, um seine Ruhe nicht zu stören. Er hegte nach wie vor Hasen und Füchse, erlegte zuweilen einen Keiler und spielte Abends Whist mit den armen verleumdeten Mädchen.
Jean Oullier besaß keineswegs den philosophischen Gleichmuth seines Herrn; er hatte auch weit mehr Gelegenheit, von den verleumderischen Gerüchten zu erfahren.
Seine zärtliche Zuneigung zu den Kindern war nach und nach zur schwärmerischen Verehrung geworden: er konnte sich nicht satt an ihnen sehen, gleichviel ob sie gemüthlich plaudernd im Salon saßen oder im langen Reitkleide mit rundem Federhut und flatternden Locken