Der Schutzgeist des Kaisers von Birma. Ugo Mioni
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»Der Herr befindet sich leider nicht wohl,« entgegnete der alte Wongy.
»Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät frage ich dich, ob die Krankheit Seiner Hoheit schwer ist?« fragte der Baß weiter.
»Seine Majestät wird sich mit seinen eigenen Augen überzeugt haben —«
»Seine Majestät kann sich diese Mühe nicht nehmen. Wozu hätte er sonst seine Minister? Sie sind seine Augen, seine Ohren, sein Mund, seine Hände und Füße, was doch wohl auch dir bekannt ist. Die Krankheit ist also schwer?«
»Sehr schwer.«
»Der Herr —?«
»Es scheint, daß Gautama ihn bei sich in Nirwana haben will,« sagte der alte Wongy, die bittere Pille mit seiner Diplomatie überzuckernd.
Eine kurze Pause entstand. Die Eröffnung des Wongy schien alle erschreckt zu haben, dann aber brach ein dumpfes Gemurmel los, das mehr und mehr zu lautem Weinen und Klagen anschwoll. Zuletzt artete das Weinen in wildes, echt morgenländisches Geschrei aus . . .
Der Kaiser überließ seine Untergebenen ruhig ihren Herzensergießungen.
Nach einigen Minuten befahl die tiefe Stimme von neuem: »Stille!« und wieder herrschte Totenstille in dem weiten Raume.
»Du bist schuld an Senmengs Tode,« wandte sich der Sprecher an den Wongy.
»Nein, o nein! Ich tat alles, um ihn wieder herzustellen,« stammelte der Arme.
»Du lügst! Du hast ihn vernachlässigt, das ist die wahre Ursache seiner Krankheit.«
»Ich habe ihn mit aller möglichen Sorgfalt gepflegt.«
»Wie könnte er dann im Sterben liegen?«
»Er ist sehr alt —«
»Du faselst, Wongy, oder kennst du nicht die Lehren des Gottes Gautama? Lies das heilige Buch Maharadzaweng und du wirst darin finden, daß die weißen Elefanten nimmer altern.«
»Gautama ruft ihn zu sich. Er liebt den weißen Elefanten als den Ausfluß seiner göttlichen Macht und als den Schutzgeist unseres Kaisers, darum will er ihn zu sich nach Nirwana führen. Vielleicht will er auch gerade dadurch seine Liebe zu unserem erhabenen Monarchen zeigen, dem Sohne des Himmels, der über uns arme Sterbliche mit göttlicher Kraft und Weisheit herrscht,« verteidigte sich Mangvé.
Diese stark aufgetragene Schmeichelei, die so recht den morgenländischen Hofmann kennzeichnen, schien jedoch dem Monarchen wenig zu behagen.
»Du lügst abermals, Wongy! Gautama ruft niemals die weißen Elefanten zu sich, eben weil sie der Schutzgeist des Kaisers sind. Wenn einer von ihnen stirbt, so geschieht es stets auf eine gewaltsame Art. Du hast ihn also getötet und solltest eigentlich eines tausendfachen Todes sterben. Soldaten, bemächtigt euch seiner!«
Das Weitere wartete ich nicht mehr ab. Konnte ich mir doch so ungefähr denken, was nun folgen würde. Die Soldaten würden in das Haus des Wongy dringen, niedermachen, was ihnen dort in den Weg trat und es plündern. Die Frau des Bedauernswerten mußte ihr Heim mit Schmach und Schande verlassen, und ihren Sohn würde man vielleicht töten. —
Doch jetzt durfte ich mich nicht länger hier aufhalten. Jeden Augenblick konnten die Soldaten in den Garten eindringen. Würden sie, wenn sie mich bewaffnet hier fanden, nicht glauben, daß ich mich an dem ›Hochverrate‹ des Wongy beteiligt hatte?
Dann hing mein Leben an einem Haar. Ich rannte die Gartenwege entlang und erreichte die Halle in demselben Augenblicke,
in dem ein junger Mann eilig die Treppe zum Erdgeschoß herabstieg.
»Wo ist mein Vater?« wandte er sich erregt an mich.
»Du bist wohl der Sohn des Wongy?«
»Allerdings!«
»Dann komme mit mir! Rasch, rasch!«
»Wohin?«
»Das ist gleichgültig. Folge mir nur. Es ist Gefahr im Verzuge.«
»Wo ist mein Vater?«
»Die Soldaten haben ihn gefangen genommen, weil der weiße Elefant stirbt; sie können jeden Augenblick hier sein, um euer Haus zu plündern.«
Die Augen des jungen Mannes funkelten vor Zorn.
»Mögen sie kommen! Ich werde mich zu wehren wissen.«
»Du würdest bald überwältigt sein.«
»So sterbe ich als ein Held.«
»Suche lieber dein Leben und deine Freiheit zu retten, um deinem Vater zu Hilfe eilen zu können.«
»Aber meine Mutter?«
»Niemand wird es wagen, ihr ein Leid zuzufügen.«
»Ist es nicht feige, wenn ich fliehe?« fragte der junge Mann schwankend.
»Du handelst im Gegenteil als ein kluger Mann und wirst mir später für meinen Rat danken.«
Daraufhin folgte er mir. Auf dem Platze drängte sich eine tausendköpfige Menschenmenge schimpfend und lärmend vor der Hauptpforte des Tempels. Die Rufe: »Es lebe der Kaiser!« wechselten ab mit der unheilverkündenden Drohung: »Tod dem Wongy!«
Wehe uns, wenn wir einen Augenblick zu spät gekommen wären! Schon schickte sich die Menge an, sich gegen den Palast heranzuwälzen. Ein Seitengäßchen schien mir leer und dorthin flüchtete ich mich mit dem Sohne des Unglücklichen.
»Wohin gehen wir, Herr?« fragte mich dieser.
»Ist der See weit entfernt?« fragte ich zurück.
»O nein, die Entfernung ist nicht groß.«
»So führe mich an sein Ufer.«
Die Straßen, die wir zurückzulegen hatten, lagen verödet; wir begegneten nur etwa fünf oder sechs Personen, von denen mich ein Mann fragte: »Wie geht es dem Herrn?«
»Er liegt im Sterben,« gab ich zur Antwort.
»Verflucht sei der Wongy, dessen Hut er anvertraut war,« schrie jener und stürmte hierauf in der Richtung nach dem Tempel von dannen.
An dem Ufer des Sees schaukelten mehrere Barken, die von den Birmanen ›Hnau‹ genannt werden.
Ich rief die Männer einer Barke an: »Seid ihr frei, Leute?«
»Ja!« lautete die Antwort.
»So führt uns rasch an das jenseitige Ufer. Aber gebt euch Mühe, wir zahlen doppelten Fährlohn.«
»Wir werden unser möglichstes tun, Herr, obwohl der Wind nicht günstig ist,« entgegnete der Steuermann.
Wir sprangen in das Boot, die Schiffer legten die Ruder ein und pfeilschnell tanzte das Hnau über die Wellen.
Drittes Kapitel.