Der Mondstein. Уилки Коллинз
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Ich sah dieser Chance ziemlich zuversichtlich entgegen, aber merkwürdiger Weise trat sie nie ein.
Ob die Jongleurs in der Stadt erfahren hatten, daß Herr Franklin in der Stadt gewesen sei und demgemäß ihre Schlüsse gezogen hatten, oder ob der Junge wirklich den Diamanten an seinem jetzigen Platze gesehen (woran ich aber ein- für allemal nicht glaube), oder ob es wirklich nur ein reiner Zufall war – so viel ist gewiß, von den Indiern zeigte sich während der Wochen, die bis zu Fräulein Rachels Geburtstag vergingen, keine Spur wieder bei dem Hause. Die Jongleurs trieben ihre Taschenspielerkünste in und um die Stadt ungestört fort, und Herr Franklin und ich warteten die Entwickelung der Dinge ruhig ab, entschlossen, die Spitzbuben nicht etwa dadurch behutsam zu machen, daß wir sie unsern Argwohn zu bald merken ließen. Das ist Alles, was ich für den Augenblick über die Indier zu sagen habe.
Am 29. des Monats erfanden Fräulein Rachel und Herr Franklin ein neues Mittel, sich die Zeit, die sonst schwer auf ihnen gelastet haben würde, gemeinschaftlich zu vertreiben. Ich habe meine Gründe, schon jetzt von der Beschäftigung, mit der sie sich unterhielten, besondere Notiz zu nehmen. Der Leser wird finden, daß dieselbe mit künftigen Dingen eng zusammenhängt.
Vornehmen Leuten steht gewöhnlich im Leben ihre eigene Trägheit im Wege. Indem sie ihr Leben meistentheils damit zubringen, sich nach einer Beschäftigung umzusehen, gerathen sie nur zu oft, besonders wenn ihre Neigungen, wie sie es nennen, geistiger Natur sind, blindlings auf Abwege. In den meisten Fällen mißhandeln oder verderben sie Etwas, und glauben Etwas für ihre Bildung zu thun, während sie in Wahrheit nur Unheil im Hause anstiften. Ich habe, wie ich leider bekennen muß, sowohl Damen wie Herren Tag für Tag mit leeren Pillendosen ausgehen sehen, die sie mit Eidechsen, Käfern, Spinnen und Fröschen gefüllt nach Hause brachten, um dann die armen Bestien auf Nadeln zu spießen oder ohne Spur von Gewissensbissen in Stücke zu zerschneiden. Da sieht man die jungen Herren oder das Fräulein mit einem Vergrößerungsglas ihre Spinnen betrachten, oder begegnet einem ihrer Frösche ohne Kopf auf der Treppe, und wenn man fragt, was die grausame Quälerei zu bedeuten habe, so wird Einem gesagt, daß es eine naturwissenschaftliche Liebhaberei des jungen Herrn oder des Fräuleins bedeute. Wieder ein anderes Mal beschäftigen sie sich stundenlang damit, eine hübsche Blume mit spitzen Instrumenten zu zerpflücken, nur aus dummer Neugierde, zu erfahren, woraus die Blume gemacht ist. Wird etwa die Farbe der Blume dadurch schöner, oder ihr Geruch angenehmer, daß sie das erfahren? Aber die armen Menschen müssen ja ihre Zeit hinbringen. Als Kinder haben sie in häßlichem Schmutze herumgewühlt und Puddings aus Erde gemacht, und wenn sie erwachsen sind, wühlen sie in häßlicher Wissenschaft herum und seciren Spinnen und zerpflücken Blumen. In dem einen Fall wie in dem andern erklärt sich die Sache daraus, daß sie in ihrem armen, leeren Kopf nichts zu denken, und mit ihren armen, trägen Händen nichts zu thun haben. Und so kommen sie endlich dahin, Leinewand mit Farben zu verschmieren und einen übeln Geruch in’s Haus zu bringen, oder Kaulquappen in einem Glaskasten mit schmutzigem Wasser aufzubewahren, bei deren Anblick sich Einem das Herz im Leibe herumdreht, oder überall Stückchen Stein abzuhauen und dabei alle Lebensmittel im Hause mit Sand zu versetzen, oder sich die Finger beim Photographiren zu beschmutzen und erbarmungslos Jedem im Hause sein Gesicht abzunehmen. Für die, welche gezwungen sind, sich ihr Brod zu verdienen, ist es gewiß oft hart genug, für ihre Kleider, ihre Wohnung und ihre Nahrung arbeiten zu müssen. Aber wenn solche Leute ihr härtestes Tagewerk mit der Arbeit der Müßiggänger vergleichen, welche Blumen zerpflücken und Spinnenmagen durchbohren, so können sie ihrem Schöpfer noch danken, daß sie Etwas im Kopfe und in den Händen haben, woran sie denken und womit sie arbeiten müssen. Was nun Herrn Franklin und Fräulein Rachel anlangt, so mißhandelten sie, wie ich mit Vergnügen melden kann, Nichts. Sie beschränkten sich vielmehr daraus, Etwas zu verderben, und Alles, was sie verdarben, war die Füllung einer Thür.
Herr Franklin, der sich als Universalgenie mit Allem befaßte, trieb auch, wie er es nannte, Decorationsmalerei. Er hatte, wie er uns erzählte, eine neue Mischung zur Anfeuchtung der Farben erfunden, welche er als ein vorzügliches Bindemittel beschrieb. Woraus dasselbe bestand, weiß ich nicht. Was es bewirkte, kann ich mit zwei Worten sagen: es stank. Da Fräulein Rachel vor Begierde brannte, sich in der neuen Procedur zu versuchen, ließ Herr Franklin die Materialien dazu von London kommen, mischte sie und verbreitete damit einen Geruch im Hause, der selbst die Hunde zum Niesen brachte, band Fräulein Rachel eine Schürze mit einem Latz vor und etablirte sie zu einer Decorirung ihres eigenen kleinen Wohnzimmers, das in Ermangelung eines bezeichnenden englischen Ausdrucks ein »boudoir« genannt wurde. Mit der inneren Seite der Thür fingen sie an. Herr Franklin kratzte allen schönen Firniß mit Bimsstein ab und präparirte auf diese Weise eine Fläche, wie sie nach seiner Behauptung zur Bearbeitung nöthig war. Fräulein Rachel bedeckte dann diese Fläche unter seiner Leitung und mit seiner Hilfe mit Mustern und Sinnbildern, Greifen, Vögeln, Blumen, Amoretten und dergleichen mehr – Alles nach Zeichnungen eines berühmten italienischen Malers, ich kann nicht auf den Namen kommen – ich meine den, der die Welt mit Jungfrau-Marien versorgt hat und ein Bäckermädchen zum Liebchen hatte. Als Beschäftigung betrachtet, war dieses Decoriren ein langweiliges und schmutziges Stück Arbeit. Aber unser junger Herr und unser Fräulein schienen seiner nie überdrüssig zu werden. Wenn sie nicht ausritten oder Gesellschaft bei sich hatten, oder ihre Mahlzeiten einnahmen, oder ihre Musik machten, saßen sie Kopf an Kopf, emsig wie die Bienen, vor der Thür und verschmierten sie. Wer war doch noch der Dichter, der gesagt hat, daß Satan auch durch unbeschäftigte Hände Unheil anzustiften weiß? Hätte er meine Stelle im Hause eingenommen und Fräulein Rachel mit ihrem großen Pinsel und Herrn Franklin mit seinem Bindemittel gesehen, so hätte er über Beide nichts Passenderes sagen können.
Der nächste erwähnenswerthe Tag war der 1. Juni, ein Sonntag. An dem Abend dieses Tages discutirten wir im Domestikenzimmer eine häusliche Frage, die, wie das Decoriren der Thür mit etwas später zu Erzählendem im Zusammenhang steht.
Da wir sahen, welches Vergnügen Herr Franklin und Fräulein Rachel gegenseitig in ihrer Gesellschaft fanden und übereinkamem daß sie in jeder Hinsicht ein allerliebstes Paar bilden würden, so hielten wir es natürlich für möglich, daß sie noch zu anderen Zwecken als zu dem der Decorirung der Thür die Köpfe zusammensteckten. Einige von uns behaupteten, noch vor Ende des Sommers werde es eine Hochzeit in unserem Hause geben. Andere (deren Wortführer ich war) gaben zwar zu, daß Fräulein Rachel sich wahrscheinlich verheirathen werde, zweifelten aber aus Gründen, die ich gleich angeben will, daß Herr Franklin Blake der Erwählte sein werde. Daß Herr Franklin verliebt sei, konnte Niemand, der ihn sah und hörte, bezweifeln; schwieriger war es, Fräulein Rachel zu ergründen. Der Leser möge mir gestatten, ihn mit ihr bekannt zu machen, er mag sie dann, wenn er kann, selber ergründen.
Der achtzehnte Geburtstag meines jungen Fräuleins stand vor der Thür, es war am 21. Juni. Wenn mein geneigter Leser ein Freund von schwarzem Haar ist (das, wie ich mir habe sagen lassen, neuestens in der feinen Welt aus der Mode gekommen ist), und wenn er kein besonderes Vorurtheil zu Gunsten großer Gestalten hat, so brauche ich keinen Widerspruch zu befürchten, wenn ich ihn versichere, daß Fräulein Rachel eines der hübschesten Mädchen war, das man sehen konnte. Sie war klein und schmächtig, aber vom Scheitel bis zur Zehe ganz proportionirt. Zu sehen, wie sie sich hinsetzte, wie sie aufstand, und namentlich wie sie ging, war genug, um sich zu überzeugen, daß die Grazie ihrer Erscheinung (wenn man mir den Ausdruck gestatten will) in ihrem Körper und nicht in ihren Kleidern lag. Sie hatte das schwärzeste Haar das ich je gesehen habe. Ihre Augen wetteiferten mit ihrem Haar. Ihre Nase war zwar, wie ich zugeben muß, etwas zu klein. Ihr Mund und ihr Kinn waren, um Herrn Franklins eigne Ausdrücke zu gebrauchen, Bissen für die Götter und ihr Teint war nach derselben unwidersprechlichen Autorität so warm, wie die Sonne selbst, mit dem großen Vorzug vor der Sonne, daß man ihn immer mit Vergnügen ansehen konnte. Nimmt man dazu, daß sie ihren Kopf so gerade trug, wie einen Pfeil