Detektiv-Geschichten. Уилки Коллинз
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»Gibt es in ganz Sandwich so etwas wie eine gerade Straße?« fragte er.
»Nicht eine gerade Straße im ganzen Städtchen.«
»Irgend welchen Handel, Fräulein?«
»So wenig wie möglich – und dieser ist im Verfall.«
»Kurzum, ein verkommener Ort?«
»Vollständig verkommen.«
Mein Ausdruck schien ihn in Erstaunen zu setzen. »Sie sprechen, als wenn Sie stolz darauf wären, dass Sandwich verkommen ist« sagte er.
Ich billigte gebührend seine Bemerkung, denn sie war sehr verständig. Wir freuen uns unseres Verfalles: er bildet unsere besondere Auszeichnung. Fortschritt und Gedeihen sonst überall, hier Verfall und Auflösung. Als notwendige Folge hiervon bringen wir unseren besonderen Eindruck hervor und wir lieben es, originell zu sein. Das Meer verließ uns vor langer Zeit: einst bespülte es unsere Mauern, jetzt ist es zwei Meilen von uns weg – wir vermissen das Meer nicht. Wir hatten zuweilen, der Himmel allein weiß, vor wie vielen Jahrhunderten, fünfundneunzig Schiffe in unserem Hafen; jetzt haben wir ein oder zwei kleine Küstenfahrzeuge, die die Hälfte ihrer Zeit in dem Schlamme eines kleinen Flusses liegen – wir vermissen unseren Hafen nicht. Aber ein Haus in der Stadt ist kühn genug, die Ankunft Wohnung suchender Fremden zu erwarten, und kündigt an, dass möblierte Zimmer zu vermieten seien. Welch ein passender Gegensatz zu unserem modernen Nachbar Ramsgate! Unser vornehmer Marktplatz veröffentlicht die von der Gemeindebehörde erlassenen Verordnungen, und jede Woche gibt es weniger Leute, die sie beobachten. Wie passend! Betrachten Sie unser einziges Magazin am Flusse – mit dem gewöhnlich unbenutzten Kranen, den meistens mit Brettern verschalten Fenstern und vielleicht mit einem einzigen Manne an der Tür, der sich nach Arbeit umsieht, die, wie sein Verstand ihm sagt, unmöglich kommen kann.Welch ein heilsamer Protest gegen die sonstige alles zerstörende Hast und Überanstrengung, die die Kräfte der Station zerrüttet haben. »Fern sei von mir und meinen Freunden« (um einen beredten Ausdruck Doktor Johnsons zu gebrauchen) »solch kühle Begeisterung, die uns ungerührt und gleichgültig« über die Brücke führt, auf der Sie Sandwich betreten und Brückengeld zahlen, wenn Sie zu Wagen kommen.
»Der Mann« (auch nach Doktor Johnson) »ist wenig zu beneiden« der sich in unsere labyrinthischen Straßen verirren kann und nicht fühlte, dass er die willkommenen Grenzen des Fortschritts erreicht und einen Hafen der Ruhe in diesem Zeitalter der Hast gefunden hat.
Ich phantasiere wieder. Man dulde die unüberlegte Begeisterung einer Bewohnerin Sandwichs, die die Jahre der Besonnenheit erst an ihrem letzten Geburtstage erreicht hat. Wir werden mit Sandwich bald fertig sein; denn wir sind ganz nahe dem Gasthofstore.
»Sie können jetzt nicht mehr irre gehen, mein Herr« sagte ich.
»Guten Morgen.«
Er blickte unter seinen schönen Augenwimpern hervor und sah auf mich herab (habe ich erwähnt, dass ich eine kleine Frau bin?) und er fragte in seiner überzeugenden Art: »Müssen wir wirklich Lebewohl sagen?«
Ich verbeugte mich.
»Würden Sie mir erlauben, Sie sicher nach Hause zu bringen?« warf er ein.
Ein anderer Mann würde mich gekränkt haben. Dieser Mann errötete wie ein Knabe und blickte auf das Pflaster, anstatt mich anzusehen. Unterdessen hatte ich meinen Entschluss gefasst. Er war zweifellos nicht bloß ein gebildeter Herr, er war auch ein schüchterner Mann. Sein unbeholfenes Benehmen und seine sonderbaren Äußerungen waren, wie ich mir dachte, teils Anstrengungen, seine Schüchternheit zu verbergen, teils Hilfsmittel, durch die er die eigene Empfindung davon zu verscheuchten suchte. Ich beantwortete seinen kühnen Vorschlag freundlich und mit einem Scherze. »Sie würden nur nochmals den Weg verfehlen« sagte ich; »und ich müsste Sie zum zweiten Mal nach dem Gasthofe zurückbringen.« Unnütze Wortverschwendung! Mein halsstarriger Fremder machte nun einen neuen Vorschlag.
»Ich habe hier das Frühstück bestellt« sagte er, »und ich bin ganz allein.«
Er hielt verlegen inne und nahm eine Miene an, als wenn er eher erwarte, von mir eine Ohrfeige zu bekommen. »Ich werde an meinem nächsten Geburtstage vierzig Jahre alt sein« fuhr er fort, »ich bin alt genug, Ihr Vater zu sein.« Ich brach beinahe in lautes Lachen aus und schritt über die Straße meiner Wohnung zu. Er folgte mir. »Wir könnten ja die Wirtin einladen, uns Gesellschaft zu leisten« sagte er und bot dafür das Bild eines überstürzten Mannes, den das Bewusstsein seiner eigenen Unvorsichtigkeit erschreckt hat. »Könnten Sie mir nicht die Ehre erweisen, mit mir zu frühstücken, wenn wir die Wirtin bei uns hätten?« fragte er.
Das war doch ein wenig zu viel. »Davon kann gar keine Rede sein, mein Herr – und Sie sollten dies wissen« sagte ich mit strenger Miene.
Zögernd streckte er mir die Hand entgegen. »Wollen Sie mir nicht einmal die Hand reichen?« fragte er in kläglichem Tone. Wenn wir einem Manne in der geziemendsten Weise einen Tadel ausgesprochen haben, was ist es für eine Verkehrtheit, ihn schon eine Minute nachher schwächlich zu bemitleiden? Ich war töricht genug, diese mir vollständig fremden Manne die Hand zu reichen. Und nachdem ich dies getan, zeigte ich vollendes, dass mir jede Würde mangele, indem ich weglief. Unsere armen kleinen Straßen mit ihren Krümmungen entzogen mich bald seinen Blicken.
Als ich im Hause meines Herrn die Türschelle zog, fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, der auch für jemand von einer geordneteren Gemütsverfassung beunruhigend gewesen sein mochte.
»Angenommen, der Fremde würde nach Sandwich zurückkehren.«
II
Ehe noch geraume Zeit verstrichen war, hatte ich mit meiner eigenen Not zu kämpfen, die den wunderlichen Fremden eine Zeitlang aus meinem Sinne verdrängte.
Unglüclicherweise bildete diese Not einen Teil meiner Erzählung, und mein früheres Leben ist mit ihr aufs engste verbunden. Mit Rücksicht auf das, was nachfolgt, möchte ich daher einige Worte über die Zeit meines Lebens sagen, in der ich noch nicht Erzieherin war.
Ich bin die verwaiste Tochter eines Krämers in Sandwich. Als mein Vater starb, hinterließ er seiner Witwe und seinem Kinde einen ehrlichen Namen und ein kleines Einkommen von achtzig Pfund jährlich. Wir führten das Ladengeschäft weiter; aber wir gewannen dabei weder noch verloren wir etwas. Um die Wahrheit zu sagen, es war niemand da, der unser armseliges kleines Geschäft kaufen wollte. Ich war damals dreizehn Jahre alt und bereits imstande, meiner Mutter zu helfen, deren Gesundheit zu der Zeit zu schwinden begann. Niemals werde ich einen hellen Sommertag vergessen, an dem ich einen neuen Kunden unseren Laden betreten sah. Er war ein ältlicher Herr und schien überrascht zu sein, ein so junges Mädchen wie mich mit der Führung des Geschäfts betraut zu finden und, was mehr ist, zu sehen, dass es zu dieser Führung auch befähigt war. Ich beantwortete seine Fragen in einer Weise, die ihm zu gefallen schien. Er merkte bald, dass meine Erziehung, abgesehen von meiner Geschäftskenntnis, außerordentlich vernachlässigt war, und fragte, ob er meine Mutter sehen könne. Diese ruhte auf einem Sofa im hinteren Zimmer und empfing ihn dort. Als er wieder herauskam, streichelte