Ein tiefes Geheimniss. Уилки Коллинз
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Читать онлайн книгу Ein tiefes Geheimniss - Уилки Коллинз страница 8

Die Erschütterung, welche die von ihrem Herrn in der Kinderstube gesprochenen Worte ihrem Gemüt mitgeteilt, hatte ihre ganze Natur sozusagen in die Enge getrieben und in ihr endlich den moralischen Mut erweckt, sich durch einen endgültigen und verzweifelten Entschluss zu waffnen.
Immer langsamer die Pfade des verlassenen Gartens wandernd, sowie der Gang ihrer Ideen sie immer vollständiger von allen äußern Dingen abzog, blieb sie unwillkürlich an einem freien Raume stehen, der früher einmal ein wohlunterhaltener Rasenplatz gewesen und der jetzt noch die volle Aussicht auf die lange Reihe der unbewohnten nördlichen Zimmer darbot.
Was bindet mich, den Brief überhaupt meinem Herrn zu geben? dachte sie bei sich selbst, indem sie das zerknitterte Papier träumerisch mit der flachen Hand wieder glatt strich. Meine Herrin starb, ohne mich dies beschwören zu lassen. Kann sie es vom Jenseits aus an mir heimsuchen, wenn ich bloß die Versprechungen halte, deren Beobachtung ich wirklich beschworen, aber weiter nichts tue? Kann ich es nicht auf das schlimmste, was geschehen kann, ankommen lassen, so lange ich gewissenhaft alles halte, wozu ich mich eidlich verbindlich gemacht?
Hier schwieg sie in ihrem Selbstgespräch. Ihre abergläubischen Befürchtungen äußerten im Freuen und beim hellen Tageslicht noch denselben Einfluß wie in ihrem Zimmer zur Stunde der Finsternis.
Sie schwieg, dann begann sie wieder den Brief glattzustreichen und sich die Worte der feierlichen Verpflichtung, welche Mistreß Treverton sie gezwungen hatte auf sich zu nehmen, ins Gedächtnis zurückzurufen.
Wozu hatte sie sich wirklich verbindlich gemacht?
Bloß dazu, den Brief nicht zu vernichten und ihn nicht mitzunehmen, wenn sie das Haus verließe.
Außerdem hatte Mistreß Treverton noch gewünscht, daß der Brief ihrem Gemahl gegeben werde. War dieser letzte Wunsch bindend für die Person, welcher er anvertraut worden? Ja. War er so bindend wie ein Eid? Nein.
Als sie zu diesem Schlusse kam, blickte sie auf. Anfangs ruhten ihre Augen gedankenlos auf der einsamen, verlassenen nördlichen Front des Hauses. Allmählich wurden sie durch ein besonderes Fenster angezogen, welches sich genau in der Mitte in dem ersten Stockwerke über dem Erdgeschoß befand. Es war das größte und düsterste der ganzen Reihe.
Plötzlich leuchteten ihre Augen von einem seltsamen Ausdruck. Sie fuhr zusammen, eine schwache Röte überhauchte ihre Wangen und sie ging schnell näher hin an die Mauer des Hauses.
Die Glasscheiben des großen Fensters waren gelb von Schmutz und Staub und phantastisch mit Spinneweben drapiert. Darunter lag ein Haufen Unrat auf der trockenen Erde eines Platzes umhergestreut, der vielleicht einmal ein Blumenbeet oder ein Ziergebüsch gewesen war.
Die Form des Beetes war noch an einer länglichen Einfassung von Unkraut und wucherndem Gras zu erkennen.
Sie folgte ihm unentschlossen der ganzen Runde nach, blickte bei jedem Schritt nach dem Fenster empor, blieb dann dicht unter demselben stehen, warf einen Blick auf den Brief in ihrer Hand und sagte kurz abgebrochen zu sich selbst:
»Ich will es wagen.«
So wie diese Worte ihren Lippen entfielen, eilte sie zurück nach dem bewohnten Teil des Hauses, folgte dem Korridor in der Küchenetage, welcher nach dem Zimmer der Haushälterin oder dem Wirtschaftszimmer führte, trat in dasselbe und nahm von einem Nagel in der Wand ein Schlüsselbund, an dessen es zusammenhaltendem Ringe ein Elfenbeintäfelchen befestigt war, auf welchem geschrieben stand: »Schlüssel zu den nördlichen Zimmern.«
Sie legte die Schlüssel auf einem Schreibtisch in ihrer Nähe, ergriff eine Feder und fügte auf der leeren Seite des Briefes, den sie nach dem Diktat ihrer Herrin geschrieben, rasch noch folgende Zeilen hinzu:
»Wenn diese Schrift jemals gefunden werden sollte – was, wie ich von ganzem Herzen bete, niemals der Fall sein möge –, so erkläre ich hiermit, daß ich zu dem Entschlusse, sie zu verbergen, gekommen bin, weil ich nicht wage, den Inhalt dieses Briefes meinem Herrn zu zeigen, an welchen er gerichtet ist. Indem ich tue, was ich mir jetzt vornehme zu tun, handle ich allerdings den letzten Wünschen meiner Herrin entgegen, breche aber doch nicht den feierlichen Schwur, den sie mich vor sich an ihrem Sterbebett ablegen ließ. Dieser Schwur verbietet mir, diesen Brief zu vernichten oder ihn mit fortzunehmen, wenn ich das Haus verlasse. Ich werde auch keins von beiden tun, denn meine Absicht ist, ihn vor allen andern Orten an dem zu verbergen, wo nach meiner Ansicht die wenigste Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß er jemals gefunden werde. Jedes Drangsal oder Unglück, welches vielleicht eine Folge dieses hinterlistigen Verfahrens von meiner Seite ist, wird über mich selbst kommen. Andere dagegen werden, wie ich fest glaube, in Folge des Verbergens des furchtbaren Geheimnisses, welches dieser Brief enthält, nur um so glücklicher sein.«
Diese Zeilen unterzeichnete sie mit ihrem Namen, drückte rasch das Löschblatt darauf, welches mit den übrigen Schreibmaterialien auf dem Tische lag, nahm den Brief, nachdem sie ihn zusammengefaltet, zur Hand, ergriff das Schlüsselbund, indem sie sich rings umschaute, als ob sie im geheimen beobachtet zu werden fürchtete, und verließ das Zimmer.
Alle ihre Bewegungen, seitdem sie dasselbe betreten, waren hastig und schnell gewesen. Augenscheinlich fürchtete sie, sich auch nur einen Augenblick Muße zum Nachdenken zu lassen.
Als sie die Wirtschaftszimmer verließ, wendete sie sich links, ging eine Hintertreppe hinaus und schloß, oben angelangt, eine Tür auf. Eine Staubwolke flog um sie herum, während sie leise die Tür öffnete. Eine modrige Kühle machte sie frösteln, während sie eine große steinerne Halle durchschritt, in welcher einige schwarze Familienbildnisse hingen, deren Leinwand sich aus den an den Wänden hängenden Rahmen herausblähte.
Nachdem sie wieder eine Treppe erstiegen, kam sie an eine Reihe von Türen, welche alle in Zimmer des ersten Stockwerks auf der nördlichen Seite des Hauses führten.
Sie kniete nieder, legte den Brief neben sich auf die Diele dem Schlüsselloch der ersten Tür gegenüber, an welche sie von der obersten Stufe der Treppe aus kam, lugte mißtrauisch einen Augenblick hinein und begann dann die verschiedenen Schlüssel zu probieren, bis sie einen fand, der in das Schloß paßte.
Es kostete ihr viel Mühe, dies zu Stande zu bringen, denn ihre Aufregung war so groß, daß ihre Hände zitterten und sie kaum im Stande war, die Schlüssel getrennt voneinander zu halten.
Endlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen. Dichtere Staubwolken als ihr bis jetzt entgegengekommen, wirbelten in dem Augenblick heraus, wo das Innere des Zimmers sichtbar ward und eine trockene, luftlose, dicke Atmosphäre erstickte sie fast, als sie sich bückte, um den Brief vom Fußboden aufzuheben. Anfangs wich sie zurück und tat einige Schritte wieder nach der Treppe. Doch gewann sie ihre Entschlossenheit sofort wieder.
»Nun kann ich nicht mehr zurück,« sagte sie verzweifelt und trat in das Zimmer.
Sie blieb nicht länger als zwei oder drei Minuten darin. Als sie wieder herauskam, war ihr Gesicht totenbleich vor Furcht, und die Hand, welche, als sie in das Zimmer ging, den Brief gehalten, hielt jetzt nichts weiter als einen kleinen rostigen Schlüssel.
Nachdem sie die Tür wieder verschlossen, besah sie das große Schlüsselbund, welches sie aus dem Wirtschaftszimmer genommen, mit größerer Aufmerksamkeit als sie demselben bis jetzt gewidmet.
Außer dem an dem Ringe, der es zusammenhielt, befestigten Elfenbeintäfelchen waren auch noch kleinere Pergamentblättchen