Familie Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Lange Zeit wanderte sie durch die verborgenen Winkel des Stadtviertels und fühlte bald eine große Erschöpfung. Sie setzte sich auf eine Bank, um sich ein wenig auszuruhen und ärgerte sich darüber, daß sie vergessen hatte, eine Flasche Wasser aus der Klinik mitzunehmen. Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist. Dieser Spruch kam ihr plötzlich in den Sinn. Es war Elisabeth Weinzierls Motto, das sie zu jeder Gelegenheit zitiert hatte. Waisenkindern gegenüber zeugten diese Worte nicht von großer Feinfühligkeit, doch auf einmal mußte Yasmin darüber lächeln.
Dann verging ihr das Lächeln. Aus dem düsteren Hauseingang, der gegenüber der Bank lag, auf der sie sich gerade ausruhte, kam eine große Gestalt. Yasmin konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte, doch schnell war ihr klar, daß es ein Mann war, der sie eben entdeckt hatte. Erschrocken erkannte Yasmin, daß es zur Flucht zu spät war.
»Hallo, junges Fräulein, was machst du denn hier mitten in der Nacht?« fragte er, als er nähergekommen war.
Sie musterte ängstlich sein unrasiertes Gesicht mit den glasigen Augen. Obwohl er getrunken hatte, schwankte seine Stimme nicht. Als er sich neben Yasmin setzte, schlug ihr sein nach Alkohol und Zigaretten stinkender Atem entgegen.
Erschrocken sprang sie auf, doch er packte sie grob am Handgelenk.
»Ich erwarte eine Antwort!« erklärte er grob und drückte sie hart auf die Sitzfläche zurück.
»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig«, antwortete Yasmin, indem sie ihren ganzen Mut zusammennahm. Aber ihr Widerstand reizte den Fremden nur noch mehr.
»Frech werden auch noch, was?« fragte er und lachte höhnisch.
Yasmin wurde vor Angst schlecht. Die Sinne drohten ihr zu schwinden. Doch mit aller Kraft hielt sie sich aufrecht. »Dir gehört eine anständige Tracht Prügel. Aber ich glaube, ich habe noch eine bessere Idee!« Mit diesen Worten zog er sie zu sich heran und drückte seinen widerwärtigen Mund auf ihren Hals. Mit letzter Energie biß sie in seine stoppelige Wange und stieß den überraschten Mann gleichzeitig von sich.
Er fluchte und wollte nach ihr greifen, doch Yasmin war schon aufgesprungen und rannte so schnell sie konnte davon. Als sie sich umdrehte, sah sie, daß er sie verfolgte. Näher und näher kam er und als er sie fast erreicht hatte, stolperte Yasmin. Sie stürzte hart, und bevor sie ohnmächtig wurde, bemerkte sie noch, wie sich der Fremde mit einem hämischen Lachen über sie beugte.
*
Endlich war die Nacht vorbei. Fee fühlte sich wie zerschlagen, doch als die Vögel ihren Morgengesang anstimmten, wurde ihre Stimmung besser.
»Guten Morgen, Frau Dr. Norden. Haben Sie gut geschlafen?« wurde sie freundlich von Schwester Margret begrüßt, die eine neue Infusionsflasche brachte.
»Leider nein. Ich hatte schreckliche Träume und bin froh, daß der Tag endlich da ist«, gestand Fee müde.
»Manchmal gibt es solche Nächte, die es in sich haben. Vielleicht hat es tatsächlich etwas mit dem Mond zu tun. Heute nacht war Neumond, und ich habe auch nicht besonders gut geschlafen.«
»Eigentlich glaube ich nicht an solche Sachen, aber inzwischen bin ich mir, was den Mondeinfluß angeht, gar nicht mehr so sicher. Wenn ein Planet so großen Einfluß auf die Weltmeere hat, warum sollte er dann die Menschen und Pflanzen nicht auch beeinflussen können?« sagte Fee.
»Ich habe mich ein bißchen mit dem Mondkalender beschäftigt. Leider habe ich keine Zeit, mich in allem daran zu halten. Bei Friseurterminen muß ich mich an meinen Dienstplan halten und kann nicht auf den Mond Rücksicht nehmen. Sonst hätte ich inzwischen eine rechte Mähne auf dem Kopf«, lachte die Schwester vergnügt. »Aber ich bin beispielsweise eine begeisterte Gärtnerin, und in dieser Hinsicht erzielt man wirklich große Erfolge, wenn man sich an die günstigen Tage für Pflanzung und Düngung hält«, erzählte sie enthusiastisch weiter.
»Das ist ja interessant. Wir haben einen großen Garten, vielleicht sollte ich es auch einmal probieren.«
»Tun Sie das, Sie werden begeistert sein«, versicherte Margret, während sie die Infusionsflaschen austauschte. »Haben Sie einen besonderen Wunsch zum Frühstück?«
»Eine Tasse Kräutertee wäre schön. Sonst brauche ich nicht viel«, sagte Fee. So gut ging es ihr noch nicht, daß sie großen Appetit verspürt hatte.
Margret protestierte. »Sie müssen etwas essen, damit Sie wieder zu Kräften kommen. Vielleicht können Sie sich für Grießbrei begeistern.«
Fee schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, das klingt nicht sehr verlockend, aber er ist sehr nahrhaft und leicht verdaulich. Genau das, was Ihr Körper jetzt braucht«, beeilte sich die Schwester zu sagen.
Fee mochte ihr nicht widersprechen.
»Also gut, Sie haben mich überredet«, gab sie sich geschlagen. »Aber nur eine kleine Portion.«
Lachend verließ Margret das Zimmer, als es kurz darauf erneut klopfte.
Jenny Behnisch, die Leiterin der Behnisch-Klinik, die ihr verstorbener Mann Dieter aufgebaut hatte, betrat mit den Ärzten und Schwestern das Zimmer zur Visite.
»Guten Morgen, Fee. Wie ich sehe, geht es dir bereits ein bißchen besser«, begrüßte sie die Frau ihres Kollegen und Freundes Daniel Norden.
»Sagen wir mal, ich befinde mich wieder unter den Lebenden«, lächelte Fee.
»So ganz schnell läßt es sich nicht reparieren, was du in den letzten Tagen versäumt hast«, mahnte Jenny streng. »Du hättest viel eher in die Klinik gehört.«
»Ich weiß«, sagte Fee kleinlaut. »Es war mein Fehler. Daniel drängte mich die ganze Zeit, aber bis zuletzt habe ich mich zur Wehr gesetzt. Ich wollte meine Familie nicht allein lassen.«
»In deinem Zustand warst du deiner Familie sicher keine große Hilfe«, sagte Jenny anzüglich, doch sie lächelte gutmütig dabei. Dann erkundigte sie sich bei der Schwester nach Blutdruck und Fieber.
»Das sieht ja alles ganz gut aus. Ich komme nachher noch einmal, um dir Blut abzunehmen. Deine Blutwerte waren katastrophal. Hoffentlich hat sich das auch geändert.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich, und das Team verließ das Zimmer, um auch die anderen Patienten zu besuchen. Erschöpft schloß Fee die Augen. Sie mußte kurz eingeschlafen sein, denn als sie wieder erwachte, stand ein Tablett mit ihrem Frühstück auf dem Nachtkästchen, und Daniel saß an ihrem Bett. Sie hatte nicht bemerkt, wie er das Zimmer betreten hatte. Sie lächelte ihn an.
»Guten Morgen, mein Liebling«, lächelte auch er und nahm behutsam ihre Hand. »Hast du gut geschlafen?«
»Leider nicht. Aber ich hatte heute morgen schon eine angeregte Unterhaltung mit einer Schwester. Sie erklärte mir glaubhaft, das läge am Mond.«
»Es ist schön zu hören, daß es dir schon wieder so gutgeht, daß du angeregte Gespräche führen kannst«, sagte Daniel und versuchte erst gar nicht, seine Erleichterung darüber zu verbergen.
»Weinst du, mein Schatz?« Fee hob verwundert den Kopf.
»Es