Familie Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Also los«, erklärte sie entschlossen, und in plötzlicher Eile verließ das Ehepaar Gordon das Büro. Hans-Georg Leitner blieb betrübt zurück. Er wagte nicht daran zu denken, was aus Marlene, Sascha und Yasmin werden sollte. Mehr als deutlich erkannte er, daß das Schicksal dieser drei Menschen auf dem Spiel stand.
*
Mühsam stieg die alte Frau Merker die Treppen von ihrer Wohnung, die im dritten Stock eines alten Wohnhauses lag, hinunter. In der einen Hand trug sie einen Müllbeutel, den sie in die Tonne werfen wollte, mit der anderen stützte sie sich schwerfällig auf einen Stock.
Das arthritische Knie wollte nicht mehr so richtig und schmerzte bei jeder Bewegung. Doch sie hatte niemanden, der ihr helfen konnte. So biß sie die Zähne zusammen und ging tapfer weiter. Vor der Haustür angekommen, kniff sie die Augen zusammen, so sehr blendete sie das grelle Sonnenlicht. Als sie sich daran gewöhnt hatte, ging sie langsam weiter, vorbei an dem Gebüsch, das das Tonnenhäuschen säumte. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen und sah zu Boden. Unweit von ihr, auf einem Rasenstück, im Schatten einiger Sträucher, lag eine Gestalt und regte sich nicht. Frau Merker rieb sich die Augen, auf die sie sich trotz ihres hohen Alters bisher immer hatte verlassen können und schaute noch einmal hin.
Tatsächlich, es gab keinen Zweifel, da lag ein Mensch reglos am Boden. Vor Schreck ließ sie den Müllbeutel fallen und überlegte einen Moment, was sie tun sollte. Da sie aber schon immer eine sehr selbständige Frau gewesen war, ging sie nun mutig und auf alles gefaßt, auf die Gestalt zu. Als ehemalige Krankenpflegerin hatte sie schon oft Schreckliches gesehen, doch der Anblick des offenbar hochschwangeren Mädchens, das leichenblaß dort auf dem Boden lag, trieb ihr die Tränen in die Augen. So schnell es ging, bückte sie sich und ließ sich schwerfällig neben dem Mädchen auf dem Boden nieder. Mit geübtem Griff faßte sie an ihr Handgelenk und atmete kurz darauf erleichtert auf. Der Puls, den sie fühlte, war zwar schwach und unregelmäßig, aber zumindest war er da. Mühsam stand sie wieder auf und kramte in ihrer Kitteltasche nach Kleingeld. Herta Merker zog ein paar Münzen hervor, die sie umständlich studierte, denn noch immer hatte sie sich nicht an die neue Währung gewöhnen können. Schließlich stellte sie fest, daß es zum Telefonieren reichen würde und humpelte dann zu der Telefonzelle, die unweit am Straßenrand stand. Glücklicherweise handelte es sich noch um ein Münztelefon und nicht um einen Apparat, den man nur mit einer Karte bedienen konnte. Mit zitternden Fingern wählte die alte Frau die Nummer der Polizei.
*
»Das ist Yasmin Pecher«, identifizierte Schorsch Leitner kurze Zeit später die junge Frau. Als die Polizei den Notruf von Frau Merker weitergeleitet hatte, vergaßen die Beamten auch nicht, die Klinik zu informieren, die sofort einen Krankenwagen in das angegebene Wohnviertel schickte. Mehrere Beamte waren bereits vor Ort, und Dr. Leitner, der es sich nicht hatte nehmen lassen, den Rettungswagen zu begleiten, trieb seine Sanitäter zur Eile an. Keine Sekunde durfte mehr verloren werden. Noch war nicht klar, ob das Baby im Leib der Mutter noch lebte, und auch das Leben von Yasmin hing nach der langen Ohnmacht am seidenen Faden.
»Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte ein Polizist freundlich zu Frau Merker, die immer noch da war, um mitzuverfolgen, was mit dem Mädchen geschah.
»Aber das ist doch selbstverständlich«, erklärte die alte Frau und machte bereitwillig Angaben zu ihrer Person, damit sie informiert werden konnte, wie Yasmin und das Baby alles überstehen würden.
»Hier haben wir eine Tasche gefunden!« rief ein junger Polizist, der zusammen mit seinem Kollegen das Gelände nach verdächtigen Spuren abgesucht hatte.
»Wir untersuchen den Inhalt und geben die Tasche dann schnellstmöglich zurück«, erklärte der Polizist Dr. Leitner, dann brach der Krankenwagen mit Blaulicht auf. Unterwegs informierte er die Klinik, damit ein Operationssaal vorbereitet wurde. Nach ersten Untersuchungen hatte sich herausgestellt, daß Yasmins Zustand einigermaßen stabil war, die Herztöne des Kindes allerdings kaum noch zu hören waren. Ein schneller Kaiserschnitt war unumgänglich.
Noch im Rettungswagen erhielt Yasmin eine Sauerstoffmaske und eine kreislaufstärkende Infusion, denn im Gegensatz zu den letzten Tagen war ihr Blutdruck dramatisch abgesunken. Schorsch Leitner war über alle Maßen erleichtert, als diese Maßnahmen einen schnellen Erfolg zeigten. Yasmin kam noch im Krankenwagen kurz zu Bewußtsein. Verwirrt blickte sie sich um und sah in sein erleichtertes Gesicht.
»Der Mann..., er hat mich verfolgt..., wo ist er?« Mit schreckgeweiteten Augen sah sie sich um und machte sogar den Versuch, sich aufzurichten, aber Schorsch hielt sie mit sanfter Gewalt zurück.
»Alles wird gut, meine Kleine. Sei unbesorgt«, sagte er leise. Sie erkannte ihn zwar nicht, doch sein beruhigender Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht. Sie entspannte sich augenblicklich, und mit einem leisen Stöhnen sank sie zurück auf die Liege. Sie wurde also verfolgt, dachte Schorsch bei sich und nahm sich vor, diese Information bei nächster Gelegenheit an die Polizei weiterzugeben. Doch jetzt hatten Yasmin und das Baby Vorrang.
»Es tut so weh«, flüsterte sie auf einmal mit geschlossenen Augen. Ihre Hände krampften sich in das Laken, mit dem sie bedeckt war.
»Sie hat Wehen«, sagte Dr. Leitner leise zu dem Sanitäter, der ihn begleitete. »Geben Sie wehenhemmende Mittel. Hoffentlich sind wir bald in der Klinik. Eine normale Entbindung könnte den Tod für das Kind und eine große Gefahr für Yasmin bedeuten.«
Mit Blaulicht raste der Rettungswagen durch die Straßen. Endlich hatte er sein Ziel erreicht, und in Windeseile wurde Yasmin in den Operationssaal gefahren. Sie hatte die Augen geschlossen und bekam nicht viel von der Aufregung mit, die um sie herum
herrschte. Nur manchmal hörte man ein leises Stöhnen.
»Gleich hast du es geschafft«, redete Schorsch beruhigend auf sie ein und gab dem Anästhesisten ein Zeichen, daß er mit der Narkose beginnen konnte. »Du bekommst jetzt eine Narkose, damit wir dein Baby sicher zur Welt bringen können. Hab’ keine Angst, du wirst nichts davon spüren«, erklärte er ihr noch, unsicher, ob seine Worte überhaupt zu ihr vordrangen. Dann verließ er Yasmin, um sich auf die Operation vorzubereiten.
*
»Schwester, Skalpell!« dirigierte er, als Yasmin in tiefen Schlaf gefallen war und setzte einen kurzen, präzisen Schnitt. Seit einiger Zeit wurde in der Leitner-Klinik der sanfte Kaiserschnitt angewandt, bei dem nur wenig geschnitten und der entstandene Schnitt dann vorsichtig gedehnt wurde, um das Baby aus der Gebärmutter zu holen. Routiniert und zügig durchtrennte Dr. Leitner die Gewebeschichten, die ihn von der Gebärmutter trennten. Kurz darauf hatte er es geschafft. Nachdem das Fruchtwasser aus der Gebärmutter abgesaugt war, hob er den Säugling aus der schützenden Hülle. Es war ein zarter, kleiner Bub, der nur einen schwachen, jedoch sehr empörten Schrei von sich gab.
»Schnell, unter die Sauerstoffdusche«, ordnete Schorsch an, denn die Haut des Babys schimmerte bläulich. Der kleine Junge wurde eilig in weiche, vorgewärmte Tücher gewickelt, bevor die Hebamme ihn wegbrachte. Schorsch schaute ihr einen Moment zweifelnd nach. Würde es der Kleine schaffen? Doch es blieb keine Zeit zum Grübeln. Jetzt hatte er die Aufgabe vor sich, Yasmins Wunde wieder zu schließen. Er arbeitete zügig. Hin und wieder erkundigte er sich beim Anästhesisten nach ihrem Zustand, doch es gab keinen Grund zur Sorge. Alle Werte lagen im normalen Bereich. Zumindest sie würde die Operation mit großer Wahrscheinlichkeit gut überstehen.
Endlich