Menschen, die die Welt bewegen. Nicola Vollkommer
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Es war der Tag nach der nächtlichen Bibellektüre. Dana Zukics erste Bewährungsprobe hatte nicht lange auf sich warten lassen. Gerade wollte sie in gewohnter Weise die Gegnerin am Kragen packen, ausrasten und die gerechte Strafe einfordern. Aber bevor sie ihren Mund auftun konnte, fiel ihr die Sache mit der anderen Wange ein. Sie reagierte nicht. Ein tiefer Friede erfüllte ihr Herz, die Überzeugung wurde gefestigt, dass diese Botschaft wahr ist. Sie hatte sich unversehens und gleich am Anfang ihres Glaubens in einer geistlichen Disziplin geübt, mit der Christen auch nach Jahren oft hadern: Jesu Worte hören und ihnen gehorchen, schlicht und einfach, auch wenn dieser Gehorsam in erster Instanz nur Unglück mit sich zu bringen scheint. Es war keine religiöse Pflichtübung, sondern ein Gehorsam aus Überzeugung aufgrund des tiefen Vertrauens, das die junge Frau beim Lesen der Seligpreisungen auf Anhieb gespürt hatte.
„Existenziell bewegt“ blieb sie auch. Die kindliche Unkompliziertheit, mit der ihr Christenleben begann, sollte Dana Zukics Markenzeichen werden. Nicht theologische Information, sondern Herzensgewissheit war die treibende Kraft ihres Glaubens. Hören, glauben und umsetzen, egal was andere dazu sagen. Skeptische Analyse und Bitterkeit, die durch Lebensumstände, Enttäuschungen mit Menschen oder mit Gott selber hervorgerufen werden konnten, sollten nie Teil ihrer Agenda sein. Eine Devise, die immer wieder auf die Probe gestellt werden sollte.
„Ich bin unbelastet in das Christentum eingetreten“, reflektierte sie später den Vorteil, den sie als frisch Bekehrte ohne kirchlichen Hintergrund hatte. Sie lernte das Wort Gottes lieben, bevor ihr kirchliche Prägungen aufgedrängt wurden und bevor selbst ernannte Experten ihr erklären konnten, warum Gott in seinem Wort es doch nicht so gemeint hat, wie er es gesagt hat. „Vor lauter Begeisterung für diesen Gott erschien mir alles andere, was ich bisher getan hatte, als nichtig.“
Die Bergpredigt war für sie viel mehr als ein Verhaltenskodex. Sie war eine Lebensvision: die Liebe, Wärme und Barmherzigkeit Gottes in all ihren Facetten in eine kalte, gleichgültige Welt hinausstreuen. Das wurde zu Dana Zukics Definition von Kirche.
Sehnsucht nach Kirche für den Alltag
Als Studentin, die gerade zu Gott gefunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach anderen Christen, die ihre Freude über Gott teilten. Ihre Suche führte sie zunächst in eine katholische Messe. Der Herkunft nach war sie ja katholisch.
„Ähnlich wie im Sportunterricht“, war ihr erster Gedanke. Sitzen, stehen, auf die Knie, dann wieder sitzen. Und dazu noch die komischen Dinge, die der Pfarrer hochhielt. Waren das Spalttabletten?
Fragen durfte man in dieser beklemmten Atmosphäre wohl nicht stellen. Alle anderen wussten offensichtlich, was hier vor sich ging. Bevor sie Zeit hatte, sich über die liturgischen Vorgänge viele Gedanken zu machen, die sich vor ihren Augen abspielten, wurden alle Gottesdienstbesucher nach vorne gerufen, um die vermeintlichen Spalttabletten von vorhin abzuholen: Es waren Oblaten. Lange, trübe Gesichter, dann wieder sitzen, knien, aufstehen. Erst nach Abschluss des gesamten Rituals entspannten sich alle und lachten.
„Und hier soll ein moderner Mensch für den christlichen Glauben gewonnen werden?“, fragte sich Dana, als sie sich kopfschüttelnd auf den Weg nach Hause machte. Mit der befreienden und froh machenden Botschaft einer Bergpredigt hatte ihre erste Begegnung mit dem kollektiven Christsein wenig gemeinsam.
Wäre sie bei ihrer kritischen Haltung der Kirche gegenüber geblieben, hätten wir vielleicht nichts mehr über Dana Zukic gehört. Den Kern der Seligpreisungen hatte sie aber rechtzeitig verinnerlicht. Man richtet den kritischen Blick eben nicht auf die anderen, sondern – entgegen jedem Instinkt der in sich selbst verliebten menschlichen Natur – auf sich selbst. Sie entdeckte schnell, dass es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der kirchlichen Welt von Menschen wimmelt, die wissen, wie man andere Menschen schlechtmacht.
Dana Zukic beschloss, es anders zu machen. Ihre Ernüchterung über den ersten Gottesdienstbesuch belastete sie weniger als die negativen Regungen, die sie immer wieder in ihrer eigenen Seele entdeckte: Neid, Bitterkeit, Wut. Dinge, die ihr früher nicht weiter aufgefallen waren. Wer eine Kirche erneuern will, muss zuerst das eigene Herz erneuern. So beschloss sie, ihre Sportkarriere an den Nagel zu hängen und ihre Suche nach Gott in einem Kloster fortzusetzen. Sie meldete sich im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Fulda an. Später wurde dort ihr Beschluss, ihr Leben als Ordensschwester Gott und ihrer Kirche zu weihen, damit bekräftigt, dass sie einen neuen Namen bekam: aus Dana wurde Schwester Teresa. Ihre negativen Eindrücke hatten keine zynische Haltung der Resignation ausgelöst, sondern vielmehr die Entschlossenheit, die Bergpredigt nicht nur als persönliches Bekenntnis zu leben, sondern als Zeugnis für die Kirche, der sie nun ihr Leben widmete.
„Ich bekenne, dass ich diese Kirche liebe, trotz und gerade weil man an ihr oft kein gutes Haar mehr lässt“, beteuert sie bis heute. „Und es gibt für mich kein größeres Glück, als ein Kind der Kirche zu sein.“ Unzufriedenheit war für sie nie eine Option.
Raus auf die Straße
„Eure Klausur sind die Straßen der Stadt!“ Diese Aufforderung ihres Ordensgründers Vinzenz von Paul stieß in Schwester Teresa auf freudige Resonanz und stellte für ihren Lebensweg feste Weichen. Die Bergpredigt selber zu verinnerlichen und dann weiterzutragen – vor allem an die Menschen, die mit Kirche nichts anfangen konnten: Davon träumte sie. Und davon, die Kirche dadurch zu ihrer ursprünglichen, von Gott gegebenen missionarischen Bestimmung zurückzuführen.
„Es gab eine Frau, die auch so verzweifelt war wie Sie“, erzählte sie einmal einem schwer kranken Patienten im Krankenhaus, der voller Verbitterung mit seinem Schicksal haderte. „Sie warf sich vor Jesus und benetzte seine Füße mit ihren Tränen, so verzweifelt war sie. So eine Liebe gibt es tatsächlich in dieser Welt – und zwar überall dort, wo Jesus auftaucht.“
„Ich glaube Ihnen kein Wort“, erwiderte der Mann. „Mit Liebe habe ich schon vor Langem endgültig Schluss gemacht. Wer liebt schon so einen wie mich?“
„Ich beweise Ihnen, dass es so eine Liebe gibt“, konterte die unnachgiebige Schwester. Sie hob die Bettdecke am unteren Ende des Bettes sanft auf und küsste ihm zärtlich die Füße. Er brach in Tränen aus.
„Ich hatte nicht überlegt, was wohl andere darüber denken. Liebe handelt und fürchtet sich nicht“, erklärte sie später ihr ungewöhnliches Handeln. Die Schwester, die sich unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit bekehrt hatte und einem Orden angehörte, der die „Barmherzigen Schwestern“ hieß, ließ nun keine Möglichkeit aus, leidende Menschen diese Barmherzigkeit spüren zu lassen.
Ihre Arbeit auf „den Straßen der Stadt“ nannte sie ihre neun „Wanderjahre“. Diese Wanderjahre machten aus ihr ein Multitalent. Sie sammelte religionspädagogische Erfahrungen in Kinderheimen, im Behindertenheim, mit Jugendlichen aller gesellschaftlichen Schichten. Soziale Brennpunkte mit ihren Begleiterscheinungen der Kriminalität und der Verwahrlosung wurden zu ihrer Spezialität. Jesu Klientel – die Armen, die Trauernden, die Hungrigen und Durstigen – wurde auch Schwester Teresas Klientel. Sie ging mit Obdachlosen essen, rappte mit Kindern, plauderte mit Migranten, spielte Fußball mit Jungs in den Hinterhöfen der Innenstadt, forderte amerikanische Jugendliche zu Basketballpartien auf, besuchte Alkoholiker. Um in die Welt der jungen Generation besser eintauchen zu können, abonnierte sie die Zeitschrift „Bravo“. „Eine Schwester zum Anfassen“ wollte sie werden, den weltfremden Anstrich vieler Kirchen und Klöster abschütteln. „Wie wenig wir doch bräuchten,