Menschen, die die Welt bewegen. Nicola Vollkommer
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Die tapferen Worte täuschten über durchwachte Nächte hinweg, in denen sie viele Tränen geweint und zu Gott um Hilfe geschrien hatte. Gottes Antwort drehte sich immer um die biblische Variante der „Rache“. Hass nicht mit Hass begegnen, sondern mit einer neuen Offensive der Liebe. Erst recht in die Welt hinausgehen. Schwester Teresas Aufforderungen an ihre Mitchristen blieben nicht bei der Theorie: „Versuchen wir doch einmal, die Menschen, die uns heute begegnen, bewusster wahrzunehmen und keinen an uns vorbeigehen zu lassen, ohne ihm durch einen warmen Blick, eine freundliche Geste oder durch ein Wort Aufmerksamkeit zu schenken.“ Einfache Prinzipien des Reiches Gottes, gelernt und beherzigt – nicht in theologischen Seminaren, sondern in der Hitze des alltäglichen Gefechts.
Die Rechnung ging auf. Die Anfeindungen blieben ein Phänomen der Anfangszeit in Pegnitz und ließen nach. Stattdessen entstanden Festivals, sie erhielt Einladungen aus ganz Deutschland zu Vorträgen, Musicalaufführungen, Fernsehauftritten, bekam Preise und veröffentliche Bücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden: Schwester Teresa erlangte eine Beliebtheit, von der die meisten Kirchenfunktionäre nur träumen können. Nicht weil sie diese suchte, sondern weil sie einem Herrn diente, der „den Demütigen Gnade schenkt“ (Jakobus 4,6).
Nicht jeder kann oder soll eine Schwester Teresa werden. Aber von ihr lernen – das kann jeder. Jeder kann auf seine eigene originelle und persönliche Art ein Zeuge für Jesus sein. Denn Gott braucht nicht in erster Linie die exotischen Bühnenpersönlichkeiten und Ausnahmetalente, um sein Reich zu bauen, sondern nur Menschen, die bereit sind, sich mit allem, was sie sind und haben, ihm zur Verfügung zu stellen.
Die Elberfelder Bibelübersetzung spricht von „Talenten“, die jedem von Jesus in einem bestimmten Maße anvertraut werden (Matthäus 25,15-30). In der Geschichte, die er erzählt, handelt es sich um Geldsummen, die im symbolischen Sinne für die Ressourcen stehen, die jedem gegeben werden. Mit diesen anvertrauten „Talenten“ sollen wir arbeiten, egal wie unbedeutend sie uns selber vorkommen. Mose hat lediglich einen Hirtenstab in der Hand, als Gott ihn ruft. In Gottes Hand wird dieser zu einem Werkzeug der Macht und Autorität. Beim Hirtenjungen David ist es eine einfache Schleuder. In Gottes Hand besiegt diese Schleuder ein ganzes feindliches Heer. Der kleine Junge im Evangelium hat nur fünf Fische und zwei Brote, aber in der Hand des Herrn speist dieses kleine Mahl eine riesige Menschenmenge. In allen diesen Geschichten geht es nicht darum, wie viel man zu bieten hat, sondern in welche Hände es anvertraut wird.
Rechnen, Zählen, Vergleichen, Kalkulieren, Mathe überhaupt: All das passt nicht so richtig in Gottes Kultur. Er haushaltet nur in einer Kategorie: verschwenderische Liebe. Überfluss. Die Vernunfttypen, die am Rande der Festlichkeiten Kopfrechnungen machen, kommen bei ihm nie gut weg – wie der ältere Sohn im Gleichnis des verlorenen Sohns (Lukas 15), der nachrechnet, wie viele Jahre er dem Vater doch unentgeltlich gedient hat. Judas, der – symbolisch gesehen – mit einem Taschenrechner in der Hand zuschaut, während Maria ein Fläschchen teures Öl an die Füße des Herrn verschwendet (Johannes 12,1-8). Die Arbeiter im Weingarten, die den ganzen Tag geschwitzt haben und nun zusehen müssen, wie die Faulenzer, die erst am Tagesende zur Arbeit antreten, mit dem gleichen Sold belohnt werden (Matthäus 18,1-20). Gnade rechnet nicht. Gnade verschenkt sich.
Tun, was uns gesagt ist
Selten habe ich als Beute eines Vortrags so viele vollgeschriebene Notizzettel mit nach Hause gebracht wie nach der Tagung mit Schwester Teresa, bei der ich einmal dabei sein konnte. Es waren nicht in erster Linie die geistlichen Gedanken, die unvergesslich waren. Viele davon waren gar nicht neu, und meine Bibel sowie die Bergpredigt kannte ich schon gut. Es war die tiefe Gewissheit, die ich danach hatte, von Gott unendlich geliebt zu sein. Biblisches Wissen hatte sich ein Stück weiter in Herzensoffenbarung verwandelt.
Dabei waren ihre Predigten in keiner Weise leichte Kost für die Seele. Mit Sprüchen wie „Sexualität und Finanzen, das sind die zwei Bereiche, in die Christen Gott nicht reinlassen“ forderte sie ihre Zuhörer unverblümt heraus, ihr Leben nach den Maßstäben Gottes auszurichten. Sie schockierte, brachte zum Lachen, überzeugte, brach Tabus. Ein Hauch der Bergpredigt durchdrang alles, was sie sagte. Als ob sie damals selber auf dem Berghang des Sees Genezareth vor den Füßen Jesu gesessen hätte. Einfache Feststellungen wie: „Wir Menschen sind Gottes größter Schatz“, wechselten sich mit bewegenden Zusprüchen ab wie „Jesus sagt am Kreuz: ‚Vergib ihnen‘, nicht: ‚Es bringt alles nichts‘“. Er liebte auch – und gerade –, wenn er nicht zurückgeliebt wurde. Er liebte ohne Garantie, dass jemals einer dafür „Danke“ sagen würde. Er schluchzte in der Nacht im dunklen Garten, stolperte durch die höhnenden Menschenmengen den Golgathahang zu seiner Hinrichtung hinauf und nahm den gesamten Ballast unserer Schuld ohne die geringste Zusicherung auf sich, dass wir die Gnade dieses Freispruchs jemals annehmen oder überhaupt einsehen würden, dass wir sie nötig hätten. Einfach, weil es seine Art war.
Unsere Art darf es auch werden.
Ein Satz von Schwester Teresas Vortrag ist in meinen Aufzeichnungen besonders dick unterstrichen: „Richte nicht, dann wirst du nicht gerichtet – wenn wir nur diesen Spruch leben, haben wir ein Leben lang was zu tun.“ Wieder die Sache mit der anderen Wange. Mit der Barmherzigkeit, die den Suchenden und den Verlierern dieser Welt, sogar unseren Feinden gilt. Darin liegt vermutlich das Geheimnis von Schwester Teresas Leben: ihr schlichter Gehorsam den Anforderungen des Evangeliums gegenüber, sodass man meinen könnte, Schwester Teresa sei in der Tat bei der Bergpredigt „dabei gewesen“.
Fragen zum Nachdenken:
1. Bin ich ein Christ, der meinen Mitmenschen aktiv mit Liebe und Barmherzigkeit begegnet?
2. Wie reagiere ich, wenn mir Unrecht getan wird? „Räche“ ich mich mit Liebe und Vergebung?
3. Ist es auch mein Bestreben, um mich herum eine christliche Kultur zu verbreiten, in der auch kirchenferne Menschen mich und mein Wirken als „Ansteckungsgefahr Gottes“ erleben?
4. Welche Talente und Begabungen habe ich „in der Hand?“ Wie setze ich sie für Jesus ein?
Kapitel 2
Der bescheidene Professor
Magdalen College, Oxford
C.S. LEWIS (1898 – 1963)
Sein Stammplatz war hinten im Eck, im Schatten eines dicken Samtvorhangs, der das Fenster zum Hinterhof des Pubs zur Hälfte verdeckte. Die wenigen Sonnenstrahlen, die der Staubschicht an den Fensterscheiben trotzten, warfen ein müdes Licht auf den grob gemusterten Teppich. Der für ein englisches Pub typisch muffige Geruch war hier am intensivsten – ein Gemisch aus kaltem Stein und uralter, polierter Eiche, durchdrungen von Zigarrenrauch. Dem beiläufigen Pub-Besucher